Genderless Fashiontun & lassen

Warum gibt’s überhaupt Damen- und Herren-Abteilungen? Mode kann spektakulär, kreativ und mutig sein. (Vermeintliche) Geschlechtergrenzen aufzulösen sorgt aber immer noch für Aufruhr. In den letzten Jahren tut sich etwas. Wird die Mode gleichberechtigter?

TEXT: RUTH WEISMANN
FOTOS: CAROLINA FRANK

Wer etwas über modische Kleidung wissen will, kann einfach mal auf die Straße gehen. Abgesehen vom Herbst, der in Wien oft mit dunklen Farben und dicken Mänteln, Funktionsjacken und Jeans begrüßt wird (­Farbe kommt vor, ist aber rar), sieht man auch weite Sakkos mit breiten Schultern, die von Frauen in ­weiten Hosen getragen werden. Wir sehen ­außerdem junge Männer mit lackierten Fingernägeln und Perlenketten um den Hals. Von den Letztgenannten gibt es nur wenige, sicher, aber immer mehr. Im Grunde können wir zwar nicht wissen, welchem Geschlecht sich Personen zuordnen, wenn sie es uns nicht sagen. Aber wie es auch sei, man merkt: Da liegt was in der Fashion-Luft.
In den letzten Jahren war «Genderless Fashion» (also «­Geschlechtslose Mode»), im Fachjargon auch «Non-­binary Fashion» («Nicht-binäre Mode») genannt, Thema in der Branche. Damit ist ein Kleidungsstil gemeint, der nicht für die binäre Geschlechterordnung von Mann und Frau steht, die wir alle gewöhnt sind, sondern davon ausgeht, dass die Kategorien Frau und Mann auch bloß zwei Punkte in einem Universum an Geschlechtsidentitäten (Gender) sind.

En Vogue.

Genderless Fashion kann bedeuten, dass Personen mit Kleidungs-codes spielen, die allgemein als männlich oder weiblich gelten. Drag Queens und Kings und viele queere Menschen machen das schon lange vor. Seit einiger Zeit ziehen Cis-Männer nach. Harry Styles, britischer Sänger und Schauspieler etwa, lässt sich in Tutu und Strumpfhosen genauso blicken wie im Anzug, liebt Pastell-Farben, enge Shirts mit Ausschnitt und war einer jener Männer, die die Perlenkette populär machten. Gewandet in ein glamouröses schwarz-weißes ­Rüschenkleid und frackähnliches Jäckchen war er 2020 als erster Mann auf dem Cover der amerikanischen Vogue zu sehen – einer der einflussreichsten Modezeitschrift der Welt. Pop-Star Janelle Monáe wiederum bedient sich gerne aus dem Fundus der gehobenen Männermode: schwarze Anzüge mit weißem Hemd und Fliege am Kragen. Für ihr modisches Herausfordern von Geschlechtergrenzen wird sie von vielen gefeiert.
Non-binary oder Genderless Fashion auf der Ebene der Kleidung selbst kann heißen, dass Modedesigner:innen auf die traditionelle Zweiteilung in ­Frauen- und Männerkleidung pfeifen und Kleidungsstücke herstellen, die keine Geschlechterlabel tragen. ­Damit umgehen sie, überhaupt erst in die ­Falle von ­engen Kategorien zu tappen, und versuchen, eine Art hierarchiefreie Stil-Welt zu erschaffen. Einige globale Modehäuser der High-End-Industrie, in der es sonst Standard ist, Frauen- und/oder Männerkollektionen zu trennen, haben sich in den letzten Jahren mit Gender­less Fashion beschäftigt. So etwa ­Balenciaga, deren Models verschiedener Gender bei der letzten Modeschau in schwarzen, flatternden, komplett körperverhüllenden Gewändern und in in High Heels über den Laufsteg stöckelten. Bei der italienische Marke Miu Miu hingen bei allen Models, darunter auch Männer, kurze Tennisröckchen an den Hüften, darüber bauchfreie Polo­shirts im Schlabberlook.
«In den vergangen Jahren hat das Thema nicht-binäre Mode während der Laufsteg-Präsentationen ­zugenommen», bestätigt Daniel Kalt, Mode­journalist und Chefredakteur des Schaufenster, der Wochenendbeilage von Die Presse. «Oft hat sich das primär auf der Ebene des Castings ausgedrückt.» Gewisse Marken und Designer:innen hätten eine ­größere Sensibilität zum Thema Non-­Binary und Genderless, und würden auch die Agenden der LGBTIQ+-Community aufgreifen, so Kalt. Auf Nachfrage bei den Pressestellen höre man: «Ja, wir sind Allies und stehen dem ­Thema nahe, aber, so habe ich das Gefühl, sie möchten nicht direkt sagen, dass sie non-­binäre Mode machen. Man trifft mit der Laufsteg-Präsentation eine Aussage, aber gleichzeitig vermeidet man es auf dem kommerziellen Parkett, sich festzulegen», sagt Kalt. Seine Interpretation dieser Haltung: Es sind Modehäuser, die für perfekt auf Körper geschneiderte Kleidung stehen wollen und den Begriff nicht-binär scheuen würden.

Schneider:innenkunst.

Nicht-binäre Marken gibt es allerdings, aber (noch) nicht viele. Das kleine Wiener Modelabel amaaena ist eines der wenigen, die sich auf nicht-binäre Mode spezialisiert ­haben. Designer:in Anna Menecia Antenete Hambira entwirft alle Stücke aller ­ihrer Kollektionen für alle. «Für mich ist wichtig, dass man Kund:innen nicht vorreglementiert. Das bedeutet Non-binary oder Genderless Fashion für mich» erklärt die gebürtige Bayerin. Sie sitzt in ihrem Atelier zwischen Nähmaschine und Kleiderständern und zeigt die letzte Kollektion aus Frotteestoffen, für die sie sich mit den Themen Empathie und Community beschäftigte. Weite Umhänge, Hosen, Taschen, Jacken, teils mit Slogans darauf. Sie selbst trägt ein weißes Ensemble aus knielanger Hose und langem Hemd, dessen Vorderseite im unteren Teil in zwei Bahnen verläuft.
Beim Entwerfen von Schnittmustern sind Körperformen zentraler Bestandteil. Beine, Arme, Rumpf, ganz generell. Wieviel Platz braucht jemand im Schritt, wie viel um die Schultern oder am Oberkörper, wenn man ins Detail geht. Dass es biologische Vorgaben gebe, sei natürlich komplex, erklärt Hambira. «Es gibt schon Kleidungsstücke, wo es schwieriger ist. Aber man muss immer bedenken: Nur weil es ein biologisch männlicher Körper ist, heißt das ja nicht, dass es auch ein gender-männlicher Körper ist. Ich versuche Designlösungen zu finden, die es möglich machen, sich von diesen biologischen Unterschieden zu lösen.» Während sie den Gummizug ­ihrer Hose fester zurrt, erklärt sie die Entwurfsbasis ihres Outfits: «Bei dieser Kollektion habe ich die Größensysteme von Frauen und Männern zusammengenommen und ein eigenes Größensystem entwickelt. Dann muss man eine Lösung finden um das Kleidungsstück am Körper anpassen zu können- die einfachste ist zum Beispiel ein Gummizug.»
Hambiras Entwürfe sind meist eher weit geschnitten, demnächst will sie aber auch mit dehnbaren Stoffen arbeiten, die schon von vornherein Elastizität bieten. Körper seien ohnehin alle anders, egal welchen Geschlechts, sagt Hambira. «Es ist ein sehr steifes ­Konzept, in das man Körper einsortiert.»
In ihrer Jugend, so erzählt die Designer:in, habe sie sich in «Jungs-Kleidung» am wohlsten gefühlt. Auch weil sie eine Art Schutz geboten hätten. Als sie später auch Röcke und Shirts mit Ausschnitt trug, sei ihr bewusst geworden, wie mächtig die Gender­normen sind. «Auch durch meinen Freundeskreis, in dem sich verschiedene Identitäten treffen, ist mir immer mehr bewusst geworden, wie verletzend so eine Zuweisung ist. Dass eine Person im kapitalistischen System so reglementiert wird, finde ich nicht in Ordnung. Ich habe mich entschieden, dass ich das anders machen will.»

(Mode-)Systeme ändern.

Ein Teil vonModegeschichte besteht auch daraus, dass mittels Kleidung Statements gesetzt werden, um die Verhältnisse zu verändern. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert etwa befreiten ­Frauen sich vom ­Korsett, das sie in schmale Taillen zwängte. Und als ­Frauen begannen Hosen zu tragen, war das in westlichen Metropolen ein Skandal. «­Damals war schon das Tragen ­einer Hose durch eine Frau gender-nonkonform, weil es die Gendercodes durcheinander gebracht hat», sagt Modeexperte Daniel Kalt. Hosen waren für Frauen an vielen ­Orten auch noch lange Zeit offiziell verboten. Kalt erinnert auch an die weiten Reform­kleider, wie sie Emilia Flöge und ­Gustav Klimt in Wien ­Anfang des 20. Jahrhunderts trugen, die jegliche Körperformen versteckten und damit eine Angleichung der ­Silhouetten hervorbrachten. Die Kleider waren Avantgarde, auf breite Resonanz stießen sie nicht.
In den 1970er Jahren sorgte der 1938 vor den Nazis aus Wien in die USA geflohene Mode­macher Rudi Gernreich mit seinem Unisex-Projekt für Furore und Skandal. Zwei Models, die sich in Größe und Statur ähnlich sehen – ein männlich und ein weiblich konnotierter Körper –, mit abrasierten Haaren und Augenbrauen, die die gleichen Outfits ­tragen, stehen für eine Foto­serie Modell. Weiße Hüfthosen und gestreifte Tops, knallenge Body­suits mit Rollkragen oder auch nur ­Bikinihosen, oben ohne. ­Gernreich hinterfragte traditionelle ­Ideen von Körper und Kleidung und ­wollte Mode für die Zukunft machen. Mode, die von allen getragen wird. In den 1980ern war nicht nur Sängerin Grace Jones eine Ikone des androgynen Stils, sondern auch ­Frauen in Power-Suits – Hosenanzügen mit breiten Schultern – angesagt, was auch mit dem sich entwickelnden Image der «Businessfrau» zu tun hatte. Das Parfum CK One von Calvin Klein war ein (Marketing)-Leuchtturm des Unisex-Trends der 1990er. Die 2000er brachten dann den «metro­sexuellen» Mann hervor, mit Fußballer David Beckham als Role-Model – ein Mann, der sich gerne pflegt, auf Mode steht und seine «femininen Seiten» hervorstreicht.
In den letzten Jahren richtete sich der modeaffine Blick – auch durch die Arbeit vieler Aktivist:innen – vermehrt auf die Styles queerer Menschen, die Geschlechtergrenzen schon immer als Konstruktion entlarvten. Die:der US-Amerikaner:in Alok Vaid-­Menon, nicht-binär:e Autor:in, ­Comedian, Aktivist:in und Ikone der Genderless Fashion, betont immer wieder, dass nicht-binäre Personen, trans Personen, queere Personen einen großen Beitrag zu modischen Entwicklungen leisten. Sei es als Stylist:innen, Make-up-Artists, Designer:innen, Künstler:innen und mit ihren Alltag-Styles. In einem Interview zeigte sich Alok Vaid-Menon kürzlich verwundert: «Wir haben 2022 – und Männer tragen immer noch ­keine Röcke!» Dabei sei es eines der bequemsten Kleidungsstücke in Zeiten der Hitze.

Markt(non)konform.

Viele Annäher­ungen an eine Mode, die keine Ge­schlech­tergrenzen kennt, scheitern oft, so ­Daniel Kalt, am (Mainstream)-Markt. «Der Modedesigner Jean-Paul Gaultier hat seit den 1990ern versucht, den Männerrock auf den Laufstegen populär zu machen. Und es gibt Thom Brown in New York, der für seinen Männerfaltenrock bekannt ist. Aber im normalen Einzelhandel spielt das kaum eine Rolle», stellt Kalt fest. Nicht mal bei den Street-Style-Looks in den modebewusstesten Metropolen würde man Röcke in nennenswerter Anzahl an männlich gelesenen Personen sehen. Sogar große Retailer wie H&M haben sich schon an Genderneutralen Kollektionen versucht. Grundsätzlich gibt es inzwischen einige, kleinere Labels, vor allem im angloamerikanischen und asiatischen Raum, die Kleidung unter der Überschrift «Genderless» oder «Gender neutral», wie es auch manchmal heißt, anbieten. In Wien macht neben amaaena etwa das seit 2006 bestehende Label House of the very island’s «All sexes avantgarde casual wear», wie sie es selbst nennen.
Anna Menecia Antenete Hambira hat mit ihrem Label ohnehin nicht vor, eine große Marktplayerin zu werden. Ihre Kund:innen, so sagt sie, seien nicht alle, aber viele als Frauen gelesene Personen, queere Personen, ­Schwarze Personen. «Die spreche ich auch bewusst an. Es geht mir überhaupt nicht darum, unsere Ästhetik wieder an die weiße Mehrheitsgesellschaft anzubringen.» Trotz allen Trendgeflüsters überwiegt in dieser immer noch die Binarität. Obwohl der Street-Style aus Jeans und Hoodie inzwischen alle Geschlechter erfasst hat, stellt sich hier die Frage, ob das schon gender­less ist. Und: Damen- und der Herren-­Abteilungen mit getrenntem Sortiment sind immer noch Standard. Wenn die:der geneigte Shopper:in im Kindergeschäft des Vertrauens nach einer Hose für Zweijährige fragt und «Bub oder Mädchen?» als Antwort bekommt, wird klar, wie früh das Einüben der Zweiteilung der Geschlechter und ihrer modisch akzeptierten Möglichkeiten schon beginnt.

Zukunft.

Faris Cuchi Gezahegn kauft Kleidung meistens in der Damen-, manchmal in der Herren-Abteilung. «Die violette ­Jacke, die ich hier trage, ist aus der Damen-Abteilung.» Gezahegn ist der Meinung, dass wir uns von eingelernten binären Regeln befreien sollten. Nicht nur modisch. Faris Cuchi Gezahegn definiert sich als «Femme non-binary» wie Gezahegn im englischsprachigen Gespräch, dessen Zitate hier übersetzt sind, angibt, und ist Aktivist:in für Menschenrechte mit Fokus auf die LGBTIQ+-Community, Künstler:in und Performer:in. «Ich nenne mich auch Style-Activist», so Gezahegn. «Ich nutze jede Gelegenheit, um die Dominanz der Heteronormativität zu dekonstruieren. Ich verwende Kleidung, ich verwende Make-up, ich verwende Schmuck, ich verwende Stil auf eine Art, die Menschen aus ­ihrer Komfort-Zone holt. Um aus dieser binären Dimension des Sehens auszubrechen. Weil mein Körper sich auf eine Art zeigt, wird von mir erwartet, mich auf eine bestimmte Art zu kleiden, auf eine bestimmte Art zu sein. Und ich fordere diese Erwartung heraus».
Damit macht Gezahegn täglich klar, dass Mode und Stil immer auch politisch sind. Gezahegn trägt modisch eine klare Message mit sich, die auch noch über die Frage nach Nicht-Binarität und Geschlechtsidentität hinausgeht: «Wir sollten alle körperlich selbstbestimmt sein, uns erlauben zu sein, wie auch immer wir sein wollen, und uns gegenseitig res­pektieren.» Faris ­Cuchi Gezahegn hat oft genug das Gegenteil erlebt, ­wurde auf der Straße angegriffen. Anstatt sich einzuschränken, beschloss ­Gezahegn, zu sich selbst zu stehen. Gezahegns Lieblingsfarben sind Rot, Gelb, Grün und Violett, die sich oft in ihrer:seiner Kleidung, im aufwändig gestalteten Make-up und in Schmuck wiederfinden. Inspiration gibt auch die äthiopische Kultur. «Ich bin in ­Äthiopien geboren und aufgewachsen, mein Stil ist oft damit verbunden. Ich trage auch Dinge, von denen gesagt wird, sie sollen von Frauen getragen werden, oder von der königlichen Familie. Ich bin da ein Störimpuls.» Für Faris Cuchi Gezahegn hat das Respektieren aller menschlichen Audrücke auch mit Empathie und dem Wunsch nach einer besseren Zukunft für alle zu tun.
Genderless Fashion mag als Laufsteg-Trend wieder abflauen, so wie das bei Trends eben der Fall ist. Aber sie sagen etwas über den Zeitgeist aus, nehmen oft auf, was abseits vom Laufsteg längst brodelt. Dass die Zukunft nicht binär ist, davon sind Faris Cuchi Gezahegn und Anna Menecia Antenete Hambira jedenfalls überzeugt.

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