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Ein E-Mail landet in meinem Postfach. Meine Meinung ist, wer immer genug eingezahlt hat, bekommt auch im Alter genug zum Leben, schreibt Frau Waltraud V. Ist ja nur gerecht, wer immer brav arbeiten war und immer eingezahlt hat. Und weiter: Bei mir war es so: Ich hatte eine Operation, wurde gekündigt und dann in die Pension geschickt. Man hatte keine Verwendung mehr für mich. Der Gipfel war dann, man hat mir noch Pension abgezogen. Das hat auch keinen gekümmert, und ich war immer arbeiten. Das E-Mail endet mit zwei Sätzen: Die wollen ja gar nicht arbeiten, und da sehe ich nicht ein, dass man so etwas unterstützt. Die lachen und sagen, wir bekommen eh alles, wozu soll ich arbeiten.Nur wer arbeitet, soll auch eine Pension bekommen, dekretiert Frau V. zu Beginn. Im Umkehrschluss deutet sie an, dass, wer das zu wenig getan hat, auch nichts bekommt. So ist das. Pech gehabt. Braucht sich keiner aufregen. Dann aber regt sich doch jemand auf. Und zwar sie selbst. Über die Tatsache, dass sie bis zu ihren gesundheitlichen Problemen gearbeitet hat, dann aber rausgeworfen wurde mit Mindestpension. Was sie nicht fair findet und für sie auch zur Folge hat, von ihrem Mann abhängig zu sein.
Lachen, das sie den Anderen zuordnet, würde sie wohl selbst gerne. Das Enteignete wird gegenüber einer als anders definierten Gruppe als Eigenes angesprochen. Das ungelebte, für unmöglich gehaltene Leben wird von den Anderen gelebt und erscheint somit als möglich. Es ereignen sich zwei Dinge. Einerseits die Ausblendung der eigenen Erfahrung, dass mangelnde soziale Sicherung nicht von zu geringer Arbeitsleistung abhängt, andererseits die Unterordnung unter die Instanz, die diese Einsicht verbietet. Hier wird der innere Verzicht bzw. das äußere Verbot auf das, was man selber gerne täte, offensichtlich.
Und Lachen tun nur die Anderen. Das heißt auch: Der Andere genießt, obwohl ich nicht darf. Ich verzichte auf das, was ich eigentlich gerne hätte oder gerne wäre, was mir gefällt, Spaß macht, ein gutes Leben ermöglicht bin es aber gleichzeitig allen anderen neidisch, die sich das gönnen. Es handelt sich hier um ein eingesperrtes Genießen, das beziehungslos bleibt. Dabei kommt das Genießen von seiner Begriffsgeschichte ganz woanders her: Das mittelhochdeutsche geniesz bezeichnete eine gemeinsame nutznieszung. Der Genuss im ursprünglichen Sinne des Wortes ist nicht ein besonders einsamer, enger und konsumistischer Akt, sondern ein geteilter. Man genießt gemeinsam die Früchte der Erde. Das tut allen gut. Das Wort genießen hängt schließlich auch mit genesen zusammen.
Weil wir das, was wir wollen, selbst zu hassen begonnen haben, und es in diesem Hass verkleidet genießen, brauchen wir die Fiktion des anderen als eines echten Besitzers des Glücks, den wir dann genauso hassen wie dieses Glück. Denn wir dürfen uns ja nicht eingestehen, dass wir selbst den Hass auf das Glück dem Glück vorgezogen haben, so der Philosoph Robert Pfaller. Die eigene Ohnmacht produziert Machtansprüche gegenüber anderen Ohnmächtigen. Diese genießen in unserer Phantasie, was wir zu genießen wünschen, uns aber durch andere oder uns selbst verboten haben. Nur so kann man verstehen, warum Sozialhilfebeziehern ihre 600 Euro geneidet werden.
Aus diesem Befund ergeben sich drei Perspektiven: 1. Nicht Ängste und Sorgen nachplappern und damit die ganze Gesellschaft noch weiter neurotisieren, sondern Wünsche, Begehren, Lust freilegen, an den gefesselten Verwirklichungschancen, dem verbotenen Genuss ansetzen. 2. Kränkungen wahr- und ernst nehmen und nicht zukleistern, nicht mit Ignoranz oder trügerischen Hoffnungen antworten.
3. Menschen in eine Position der Stärke bringen. Selbstwirksamkeit und Ermächtigungen ermöglichen, Handlungsspielräume ausweiten. Es gilt: Wer nicht genießen darf, wird ungenießbar.