«Genosse Kenich»vorstadt

Lokalmatador

Wasil Schneider alias Vasil Šnajdr erklärt, wie man sich in der Diktatur den Humor bewahrt. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).«Da der Genosse Kenich weiß, dass niemand an sein Kenichreich glaubt, lässt er an den Grenzen Sprengfallen errichten.» Wenn Wasil Schneider bei einem seiner seltenen Konzerte über seine Zeit als Vasil Šnajdr im schensten Behmisch erzählt, schwingt in seinen Worten immer ein Augenzwinkern und eine einzigartige Großzügigkeit mit.

Der in der Tschechoslowakei sozialisierte Musiker und Regimekritiker, der nach der Unterzeichnung der Charta 77 sein Heimatland verlassen muss, verspürt keinen Hass gegen jene, die ihn damals beschattet, eingesperrt, stundenlang verhört und am Ende mit einem Auftrittsverbort belegt haben: «Na, das waren doch lauter Bledmänner. Jeder Komplexler konnte dir mithilfe seines Parteibuchs Probleme machen. Aber selbst der Bledmann hat nicht daran geglaubt, was der Genosse Kenich von sich gegeben hat. Sonst hätte er ja beim Verhör unsere tschechischen und nicht die West-Zigaretten geraucht.»

Die verkehrte Welt oder wie ich nicht berühmt wurde: Wasil Schneider, im Jahr 1954 in der ČSSR als Vasil Šnajdr geboren, hat seine Geschichte in einem satirischen Text verarbeitet.

Mit 14 beschleichen ihn erste Zweifel. Da merkt er, der gut behütet in einer böhmischen Provinzstadt aufwächst, dass im Kenigreich des realen Sozialismus etwas faul ist. Und es ist weniger das Tränengas, das er auf dem Bahnhof in Prag in die Augen bekommt, an jenem Augusttag des Jahres 1968, der im Weltgeschichte-Kalender rot markiert ist. Es ist wohl mehr einer der letzten Auftritte im Leben des Jimmy Hendrix. Der soll 1969 im damals für Vasil unerreichbaren Wien ein Konzert spielen.

In seiner Erinnerung klingt das so: «Ich wollte auf dem Bahnhof meiner Heimatstadt eine Fahrkarte nach Wien kaufen. Doch das haben mir die kleinadeligen Genossen untersagt.» Was den Untertan Vasil auf verbotene Gedanken bringt: «Komisch, zum Essen haben die Esterreicher angeblich nix, aber den Hendrix können sie sich leisten.»

Bevor aus Šnajdr ein Schneider wird, lebt er jahrelang als Gejagter. Heute weiß er: «Vor meiner Gitarre hatten sie eine unglaubliche Angst.» Umĕla Hmota 3, Plastic People of the Universe, Wasil and Sandwich Company, Mezzanin – er spielt mit langen Haaren und einer unbändigen Energie in Underground-Bands, die heute in Tschechien ähnlichen Kultstatus genießen wie Vaclav Havel und andere damalige Dissident_innen.

Das heißt, er spielt, wenn sich die Stasi wieder einmal austricksen lässt. Ständig muss irgendwer im politischen und künstlerischen Untergrund heiraten: «Weil bei Hochzeiten durften wir noch auftreten, und da waren natürlich auch unsere Fans eingeladen.»

Zwischendurch Zwangsarbeit: «Sackl­picken in Heimarbeit oder Landvermessen im Wald, doch dazwischen gab es immer wieder Möglichkeiten, ungehindert Musik zu machen.» Der Intelligenz des Landes haben die «Kommantschen» in Prag einzig ihre Brutalität entgegenzusetzen. «Weil sie aber reihenweise die Kreativen ausschalteten und auswiesen», erklärt Schneider, «waren sie am Ende nicht überlebensfähig». Ein beruhigender Gedanke in diesen Tagen, da überall in Europa wieder die Autoritären aufmarschieren.

Zu Beginn der 1980er-Jahre wird es dann ungemütlich für den Mann mit der Gitarre. Man steckt ihn in die Psychiatrie, und er beginnt sich Sorgen um seine Frau und die beiden Kinder zu machen. Wien scheint ihm die einzige Rettung zu sein. Er kann zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht wissen, dass seine Mutter, eine brave Beamtin des Verteidigungsministeriums, unmittelbar nach seiner Ausweisung ihre Arbeit verlieren wird.

Wien ist 1981 anders als Prag. Das Schnitzel ist ein Schnitzel, keine Brösel-Attrappe. Und dazu gibt es mehr als nur zwei kleine Stück Kartoffel. Einzig das Bier kann er anfangs nicht trinken: «Das war Kohlensäure-Wasser mit Biergeschmack.» Doch immerhin gibt es damals schon die Wiener Heurigen, und das hiesige Bier macht aus Sicht des heutigen Anrainers der Ottakringer Fabrik auch Fortschritte.

Was ihm hingegen bis heute fehlt, sind seine ehemaligen Bandkollegen, und die Fans aus früheren Zeiten. Wenn er heute in Prag unterwegs ist, sprechen ihn ständig Menschen an. Bei unserem Treffen in einem Kaffeehaus in der Thaliastraße bleibt er dagegen inkognito.

Nach der Wende, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs darf ihn seine Mutter in Wien besuchen. Der vormals Ausgewiesene erinnert sich noch genau: «Als wir über den Graben spaziert sind, hat sie zu mir völlig schockiert gesagt: Vasil, die haben uns die ganze Zeit über angelogen.»

Ihr Sohn spielt indes in Wien mit großartigen Musikern zusammen. Er betont auch, dass er nicht frustiert ist. Tatsächlich hat er sich bis heute seinen Humor und seinen ungetrübten Blick auf die Welt bewahrt. Doch irgendwie würde es ihn natürlich schon freuen, würde seine Satire über den Genossen Kenich und die kleinadeligen Kommantschen den Weg zwischen zwei Buchdeckel finden. Seine Anfragen bei deutschsprachigen Verlagen waren bis dato nicht von Erfolg gekrönt. Mehr über Vasil Šnajdr und auch sein Angebot, mit seiner Band aufzutreten (Lesung und Konzert):

www.wasil-schneider.com.

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