Geschenke dürfen nicht wieder zu Waren werdentun & lassen

«Sozialmärkte» in der Zwickmühle zwischen Armenhilfe und Kapitalismus

Matschige Bananen, schimmlige Gurken, teils zerdrückte Orangen, gelber Salat, aufgebrochenes Mehl, abgelaufenes Joghurt Weder die Warenwelt noch (wie in einem Folgeartikel berichtet werden wird) die Kommunikationsformen in den Wiener Sozialmärkten entsprechen den problemgereinigten Darstellungen der Medien. Eine vierköpfige Studierenden-Forschungsgruppe an der soziologischen Fakultät der Uni Wien hat im Rahmen des zweisemstrigen Praktikums «Prekariat und Stadt» mit Methoden des «teilnehmenden Beobachtens» zwei dieser Sozialmärkte untersucht.

Sozialmärkte helfen, Entsorgungskosten zu sparen. Was sowieso für den Müllcontainer wäre, landet im Magen armer Menschen, die quasi als biologische Abfallverwerter_innen fungieren und so die Bilanzen großer Handelsketten entlasten. Wenn Sozialmärkte mit Lebensmitteldiskontern kooperieren wollen, müssen sie alle abgeschriebenen Waren mitnehmen, die täglich im Lager für sie bereitgestellt werden. Das Gute herauszuklauben und das Schlechte im Lager liegen zu lassen, geht nicht! So würde der Sozialmarkt mit großer Wahrscheinlichkeit einen potenziellen Kooperationspartner verlieren. Also nehmen Sozialmarkt-Mitarbeiter_innen alles mit, auch wenn die Hälfte der Ware schließlich im eigenen Müll landet.

Die abgeschriebenen Waren, die sich die Sozialmärkte abholen können, sind verschenkte Waren. Von einer sozialen Einrichtung sollte man sich erwarten, dass Verschenktes an die Betroffenen weiterverschenkt wird. Genau das passiert in einem Sozialmarkt nicht. Verschenktes wird verkauft. Die Kund_innen der Sozialmärkte finanzieren auf diese Weise einen Teil der Entsorgungskosten der Handelsketten. Warum verschenkte Ware verkauft wird, war einer der Hauptforschungsfragen der vier Soziologiestudierenden, die zwei der momentan sechs Sozialmärkte in Wien näher untersucht haben.

Auch wenn die Entstehungsgeschichten der Sozialmärkte sich ähneln, unterscheiden sie sich in der inneren Organisation sehr stark voneinander. Sie müssen ihre Kooperationspartner eigenständig gewinnen, selbst wenn sie in der Mitgliedsliste des SOMA-Dachverbandes eingetragen sind. Denn die Waren, die der Dachverband unter den Sozialmärkten aufteilt, reichen nicht aus, um einen Betrieb zu erhalten. Neben Betriebs-, Transport- und Personalkosten kommt einiges hinzu, was mit den Einnahmen gedeckt werden muss. Auch wenn Kund_innen für einen sogenannten Einkaufsberechtigungsausweis die Einkommensgrenze zwischen 850 bis 900 Euro pro Person nicht überschreiten dürfen, haben die Sozialmärkte das Interesse, die Anzahl der Kundschaft zu steigern, um den Dilemmata des Überlebens zu entkommen. Denn prekär ist nicht nur die Kundschaft, sondern genauso das Personal. Somit werden im Sozialmarkt zwei unterschiedliche Gruppen in direkte Konfrontation gesetzt, was Konfliktsituationen nicht ausschließt. (Näheres dazu im Folgeteil.)

Schwerpunkt liegt nicht auf Grundnahrungsmitteln

Die beiden erforschten SOMAs waren der Sozialmarkt Wien (SMW) von Alexander Schiel und der Sozialmarkt der Vinzenzgemeinschaft (Vinzimarkt). Der Vergleich dieser beiden Läden war ein wichtiger Aspekt der Studie. Was in einem Markt die Regel war, war im anderen Markt die Ausnahme. Nicht immer werden die Waren, wie angegeben, um ein Drittel des Marktpreises angeboten. Vor allem die Grundnahrungsmittel im Sozialmarkt stellten sich oft als gleich teuer wie in üblichen Supermärkten heraus, sodass das Untersuchungsteam Sinn und Zweck der Sozialmärkte zu hinterfragen begann.

Der Marktbetreiber des Sozialmarktes Wien (SMW) eröffnete am 26. Mai 2008 den allerersten Sozialmarkt der Bundeshauptstadt. Die Idee des Sozialmarktes muss in der Luft gelegen sein, denn auch andere Initiator_innen wurden aktiv. Alexander Schiel kündigte in den Medien an, demnächst seinen dritten Sozialmarkt eröffnen zu wollen.

Sein SMW ist ein eigener Verein. Er gehört nicht dem SOMA-Dachverband an und muss sich um eigene Kooperationen kümmern. Kooperationsspartner sind Unternehmen aller Art. Im SMW sind 10 Prozent des Angebots Waren, die die Unternehmen an den Verein verschenken. 90 Prozent der Waren sind «zugekaufte» Waren. Sie sind darum auch nicht abgelaufen, sondern stehen zwei bis drei Monate vor Ablaufzeit. Kosmetika, Pflegeprodukte, Vitamintabletten etc. dominieren das Sortiment des Sozialmarktes. Grundnahrungsmittel hingegen sind in sehr beschränkten Mengen zu finden.

Das täglich frische Brot kostet 80 Cent, ein Liter frische Milch 69 Cent, was nicht gerade billig ist. In den üblichen Supermärkten zahlt man nicht mehr für diese Dinge.

Wenn man im SMW einkaufen möchte, muss man nicht unbedingt die Einkaufsberechtigungskarte, die im Sozialmarkt ausgestellt wird, vorweisen. Jede Kundschaft ist willkommen, womit das Zielgruppenproblem sichtbar wird und der Gedanke auftaucht, dass es sich womöglich um einen «Zwischenmarkt» handelt. Große Handelsketten verursachen durch Überproduktion und schlechtes Management Marktlücken, welche die Sozialmärkte durch Ankauf dieser Überschüsse wieder schließen. Die Großunternehmer werden ihre Produkte los, und die Sache hat sich somit erledigt. Der Gewinner dieses Geschäftes ist in erster Linie wieder der Große.

Die geschenkte Ware im Vinzimarkt ist dem Forschungsbericht zufolge zu 90 Prozent abgelaufen. Vieles war nicht mehr «verzehr- und genießbar». Es ist klar, dass «abgelaufen» nicht gleich «abgelaufen» heißen muss; beispielsweise sind viele Milchprodukte selbst nach Erreichen des Ablaufdatums noch esstauglich. Wenn aber für schimmliges Obst und Gemüse im Vinzimarkt der volle Sozialmarkt-Preis verlangt wird, müsste man sofort Stopp sagen. Die Forscherinnen lerrnten die Praxis kennen, dass abgelaufene Fleischprodukte oder Geflügel nicht gleich verkauft wurden, sondern zunächst eingefroren, um alles zu einem späteren Zeitpunkt zu verkaufen.

Marktamt drückt ein Auge zu (manchmal zwei)

Das Brot wäre eine eigene Geschichte wert. Laut Sozialmarkt-PR wird das Brot täglich «gratis» an Sozialmarktkund_innen ausgegeben. Das stellte sich als Gerücht heraus. Was wirklich täglich gratis ausgegeben wird, ist nämlich kein frisches Brot, sondern sind nach Erfahrung der Forscherinnen oft steinharte alte Brotlaibe, die im dreckigen, unhygienischen Einkaufswagerl teils verpackt, teils unverpackt herumliegen. Hinzu kommt: Erst n a c h dem Einkauf darf Brot mitgenommen werden! Also, nur Gratisbrot abzuholen, duldet der Vinzimarkt nicht. Gemäß den «äußerst sozialen Prinzipien» (Selbstdartsellung) des Vinzimarktes haben nur jene Kund_innen ein Recht auf altes Gratisbrot, die um mindestens zwei Euro einkauften. Frisches Brot aus Fehl- bzw. Überproduktion kostet 50 Cent, wenn man sonst nichts anderes kaufen will. Um 50 Cent zu viel für eine Ware, die der Vizimarkt geschenkt bekommt.

Die Studentinnengruppe hielt folgende Episode fest: Ein Mann mittleren Alters kam genau fünf Minuten nach Geschäftsschluss. Er zeigte auf das Einkaufswagerl, in dem noch Brot lag, und sagte: «Bitte Brot». Die ehrenamtliche Mitarbeiterschaft verscheuchte den Mann äußerst unfreundlich: «Wir haben schon zu, morgen wieder!»

Das Marktamt, dem der Zustand der Waren bekannt ist, verzichte laut Forscherinnengruppe auf strenge Kontrollen, weil der «politische Wille» Sozialmärkte erhalten möchte. Die Kompetenz, zu beurteilen, ob die im Sozialmarkt angebotene Ablaufware gesundheitsschädlich ist oder nicht, hat das Marktamt der Sozialmarktleitung überlassen. Übrigens gibt es im Lebensmittelgesetz auch keinen rechtlichen Rahmen dafür, wie lange abgelaufene Lebensmittel verkauft werden dürfen, nachdem sie im Sozialmarkt gelandet sind.

Die Betreiber oder die Trägerorganisationen der Sozialmärkte wiesen die Kritik der angehenden Soziologinnen, die an ihrer Studie ein Jahr arbeiteten und einen Teil ihrer Forschungszeit als Mitarbeiterinnen in den beiden Sozialmärkten verbrachten, zurück. Zur Problematik des Nicht-Weiterschenkens verschenkter Waren betonten die Verantworlichen: Menschen Almosen anzubieten, sei demütigend. Deswegen werde für Lebensmittel im Sozialmarkt ein «symbolischer Preis» verlangt.

Die Studierenden kommen in ihrer Arbeit dagegen zur These, dass ein «symbolischer Preis» moralisch nur gerechtfertigt ist,, wenn die «freiwilligen Armenhelfer_innen» sich positiv zum Prinzip bekennen, dass auch die Ärmsten ein Anrecht auf Lebensmittel haben, die uneingeschränkt ess- und genießbar sind.