Zwischen lethargisch und kämpferisch: So klingen die Texte des Briten Mark Fisher, die sich mit Popkultur, Depression und politischen Verhältnissen beschäftigen. Anfang 2017 hatte die Nachricht von seinem Tod viele überrascht. Nicht zuletzt, weil er immer wieder zu verstehen gegeben hatte, dass Selbstmord keine Lösung sei. Postskriptum von Barbara Eder
Wenn es jemanden gab, der in ganz besonderer Weise um die soziale Konstruktion von Krankheit – und damit auch um die verschiebbare Grenze zu dem, was in dieser Gesellschaft gesund genannt wird – wusste, dann war es der 1968 geborene Autor, Lektor und Blogger Mark Fisher. Seine Texte, von denen viele im Popkultur-Magazin The Wire, noch mehr davon aber auf seinem Blog K-Punk erschienen, haben zugleich einen lethargischen und einen kämpferischen Unterton. Ersterer kommt aus dem Bewusstsein eines Verlusts, der die Grundfesten der politischen Linken im zwanzigsten Jahrhundert schwer erschüttert hat. Letzterer aus dem Versuch, die daraus resultierende Trauer zu überwinden. Die Disposition, die dieser Konstellation zugrunde liegt, wird seit der Antike Melancholie genannt.
Verlust.
Bei Fisher ist Melancholie jedoch keine Ausgeburt eines übermäßigen Ausflusses schwarzer Galle; es sind die herrschenden politischen Verhältnisse, die das angemessene Betrauern eines folgenreichen Verlusts unmöglich machen: jenen der Arbeiter_innenklasse, die es für einige einflussreiche neoliberale Wirtschaftswissenschafter nie gegeben hat. Fisher hingegen hat die letzten Spuren dieses vormals revolutionär gedachten Kollektivsubjekts in unorthodoxer Weise in die Gegenwart hinübergerettet. Auch aus diesem Grund war seine Arbeit Gespensterkunde: Im Anschluss an Jacques Derrida, der in seinem Buch Spectres des Marx (Marx’ Gespenster) von 1993 einen dekonstruktivistischen Rettungsversuch des marxistischen Erbes unternahm, nannte Fisher sein unvollendetes Projekt Hauntology (Anm.: to haunt, engl. – heimsuchen, verfolgen, spuken).
Ghostbuster im neoliberalen System.
Mark Fisher war nicht nur ein Ghostbuster der deregulierten Gegenwart; auch außerhalb des Textes wurde er des Öfteren von Lemuren heimgesucht. Im Verlauf seines Lebens hatte Fisher immer wieder mit depressiven Episoden zu kämpfen, demnach ist es auch eine pessimistische Grundhaltung, die seine Texte durchzieht. Die Ursachen dafür ortete er weder in einem Ur-Trauma noch in einem vermeintlichen chemischen Ungleichgewicht. Während er seinen Blick auf den Niedergang des britischen Bildungssystems unter neoliberalen Bedingungen richtete, wartete der Common Sense längst mit neo-biologistischen Erklärungsmustern für den rapiden Anstieg von Depressionserkrankungen auf. «Die Pandemie der seelischen Qualen, die unsere Zeit befällt, kann nicht richtig verstanden oder geheilt werden, wenn sie als ein privates Problem angesehen wird», konterte Fisher im Essayband Capitalist Realism: Is there no alternative?, der 2009 im Independent-Verlag Zero Books und 2013 in deutscher Übersetzung erschien.
Die Geschichte scheint Fisher dahingehend recht zu geben: Aus der ökonomischen «Great Depression» heraus hat dazumal nur der «New Deal» geführt. Heute hingegen geht man zwecks Ich-Stärkung zum/zur Therapeut_in, bei der man sich das medikamentöse Gegengift zur Krise abholt. Man muss alleine damit fertig werden, wenn das Honorar die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden nicht abdeckt, wenn die Fertigstellung eines aufwändigen Werks die eigenen Ressourcen anzapft. Die Rechnungen müssen bezahlt werden, die dafür nötigen Aufträge können morgen mehr werden, übermorgen aber vielleicht schon gar nicht mehr existieren. Prekäre Tatsachen wie diese lassen sich nicht einfach medikalisieren, und Mark Fisher wusste das. Einen Vortrag mit dem Titel Cybertime Crisis leitete er mit einem sehr persönlichen Exkurs zur Paralyse ein: Infolge von depressivem Stupor konnte er sich einmal wochenlang nicht bewegen.
Ich-AGs unter Druck.
Jeder Selbstmord ist auch ein Mord durch die Gesellschaft – dahingehend hätte Mark Fisher dem französischen Dramatiker Antonin Artaud beigepflichtet. Die toxischen Verhältnisse, die dazu führen, sehen von außen aber oft anders aus. Aller akademischen Weihen ungeachtet fand auch Fisher, bis zuletzt am Londoner Goldsmith College lehrend, sich als frei flottierender Entrepreneur seiner selbst wieder, der nie genug Standbeine hätte haben können. Die prekären Lebensbedingungen der neuen «kreativen Klasse» wurden am Höhepunkt des postmodernen Hypes jedoch mit Euphemismen flankiert. Der hochgezüchtete Jargon der sogenannten Creative Industries verriet nichts vom Elend universitärer Teilzeit-Angestellter mit semesterweisen Verträgen. Fisher hingegen suchte nach Ausdrucksformen, die an dieser Oberfläche kratzen. Fündig wurde er in der Plattenkiste der Populärkultur.
Das Stück Vinyl, für dessen Entdeckung er verantwortlich zeichnet, stammt von einem dazumal fast vollständig unbekannten Londoner Dub-Step-Produzenten, der es von Beginn an verweigerte, ein Gesicht zu haben. Unter dem Pseudonym Burial veröffentlichte William Emmanuel Bevan 2007 sein erstes Album Untrue. Der Künstlername nimmt das Timbre der dreizehn Tracks vorweg, die so funktional organisiert sind wie der Ablauf eines Beerdigungsrituals. Die Spannungsbögen sind ungewöhnlich lang, Sprach-Samples aus virtuellem Found Footage schweben über den wohlgeordneten Beats. Zum Ausdruck einer profanen Magie, die «die akzidentielle Materialität des Klangs» in den Vordergrund rücke, hat Fisher Burials Soundcollagen in seinem Text London nach dem Rave bezeichnet. Die Anfänge dieser «Crackology», wie er diese Ästhetik nennt, ortete er, ähnlich wie sein Kollege, der Schriftsteller und Journalist Kodwo Eshun, in der Strömung des Afrofuturismus.
Fantasie als Ausweg.
Bei einer Konferenz im November 2013, die posthum zum Gründungsmoment des Akzelerationismus – einer Bewegung innerhalb der politischen Linken, die den Kapitalismus beschleunigen und dadurch zerstören will – wurde, sprach Mark Fisher noch von Fluchtlinien, auch im Sinne von möglichen Auswegen aus den Sackgassen eines grenzenlos gewordenen kapitalistischen Realismus. Einer davon ist in Lana Wachowskis Botschaft am Ende von Burials Track *Come Down To Us* zu finden, auf einer der Lieblingsplatten von Mark Fisher: «This world that we imagine in this room might be used to gain access to other rooms, to other worlds, previously unimaginable.» (dt.: Diese Welt, die wir uns in diesem Raum vorstellen, könnte dazu verwendet werden, uns Zutritt zu anderen Räumen zu verschaffen, zu anderen Welten, die wir uns vorher nicht hätten vorstellen können).
Lesetipps:
Das Seltsame und das Gespenstische
Aus dem Englischen von Robert Zwarg
Edition Tiamat 2017
176 Seiten, 18 Euro
Gespenster meines Lebens – Depression, Hauntology und der Verlust der Zukunft
Aus dem Englischen von Thomas Atzert
Edition Tiamat 2015
256 Seiten, 20 Euro
Auf k-punk.org sind Mark Fishers Blog-Einträge nachzulesen.