Gespräch mit dem TodDichter Innenteil

Storyboard zu «Der Tod g'hört nur mir» (Illustration: © Jella Jost)

Cherchez la Femme (Dezember 2024)

Kannst du dir das vorstellen; du beginnst ein Gespräch mit deinem Tod. Du personifizierst ihn, abstrahierst ihn, du zeichnest ihn, du tanzt ihn oder du machst einen Film darüber und schreibst ein Lied. So mache ich das. Zurzeit. Wieso, wirst du dich fragen, macht man so was? Vielleicht meinst du, ich sei lebensmüde (dem muss ich widersprechen), es ist auch möglich, dass du der Überzeugung bist, ich sei depressiv (auch da muss ich widersprechen) oder was immer du ­denken magst. Nein, ich ­konfrontiere mich mit meinem zukünftigen Ableben, weil mich der Tod meiner Mutter unermesslich erschüttert hat. Das ist mein Ausgangspunkt. Eine ­direkte Erfahrung. Nichts, aber rein gar nichts wusste ich damals über das Alt-Sein, über den Umgang mit ­alten Menschen, über Pflege, Schmerz, Krankheit, Trauer, Tod und der Bürokratie im Sterben. War es vor 60 Jahren noch der Sex, der tabuisiert wurde, macht mir heute eine Leistungsgesellschaft weis, das Leben ginge so weiter und weiter, unveränderlich. Aber Kultur-Tabus müssen enthüllt werden, aufgemacht, betrachtet, genossen und gefürchtet, wie die Box der Pandora, ganz nach Belieben und kultureller Erwartung. Wer weiß, was sich da öffnet. Wer weiß, was da zutage tritt. Die meisten Menschen wollen das Thema Tod nicht anrühren, schon gar nicht darüber schreiben oder nachdenken, wie es ihnen in den letzten Stunden ergehen könnte. Kulturell ist die Beschäftigung mit dem Tod hochinteressant. Ich lese zu diesem Thema seit einigen Jahren. Unlängst habe ich das leichtfüßig daherkommende Buch von Katja Lewina Was ist schon für immer gelesen. Es hat mich berührt, hatte aber gleichzeitig jede Art von allzu großer Schwere eliminiert. Ein kleines Kunstwerk der Autorin dies zu vollbringen, wenn man über die ­eigene lebensbedrohliche Erkrankung spricht, an der auch das Kind gestorben ist. Aber vielleicht ging es für Lewina eben nur so. Federnd schwere-los. Sie schreibt gegen das Wegsehen an und sagt: Es rächt sich irgendwann. «Ja verdammt wir sind am Leben! Machen wir was draus!», sagt sie. Kann der Tod, kann er uns lehren besser zu leben? Ich sage ja, die Auseinandersetzung mit ihm ist es ganz besonders wert. Der ­letzte Akt. Der letzte Vorhang. Von unserem Leben mit der Endlichkeit. Und Lewina erzählt, wie größte Liebe und größter Schmerz gleichzeitig nebeneinander sein können.

«Wer das Sterben lernt, der ­versteht das Dienen nicht mehr» (Michel de Montaigne)

Der alltägliche Tod ist aus den Straßen und Zimmern verbannt. Gesäubert. Klinisch. Weg. Der Tod war früher eine Zeremonie, schreibt der Historiker Philippe Ariès in seinem Klassiker Studien zur Geschichte des Todes im Abendland, das Zimmer des Sterbenden wandelte sich zur öffentlichen Räumlichkeit mit freiem Eintritt. Ob das für die Sterbenden angenehmen war, ist unbekannt. Eltern, Freund:innen, Nachbar:innen mussten zugegen sein. Man führte die Kinder herein! Keine Darstellung eines Sterbezimmers bis zum 18. Jahrhundert ohne Kinder. Denken wir ­dabei an heute und vergegenwärtigen wir uns die Sorge und Angst, mit der Kindern die gesamte Sphäre des ­Todes vorenthalten wird. Die traditionelle Einstellung zum Tod ­hatte den Anschein von Unveränderlichkeit, sagt Ariès, diese alte Einstellung, für die der Tod vertraut, nahe und abgeschwächt, indifferent in eins war, stellt sich in schroffen Gegensatz zur unsrigen, bei der der Tod uns Angst einflößt, bis zu dem Grade, dass wir nicht mehr wagen, ihn beim Namen zu nennen. Und das ist das Schockierende heute. Doch Menschen weltweit setzen dem etwas entgegen, veranstalten Death Cafés oder Death Dinner oder treffen sich in philosophischen Zirkeln. Man könnte auch einfach mal wieder über unsere Wiener Friedhöfe spazieren. Wer da ­aller liegt! Ariès spricht über den gezähmten Tod. «Der Tod in der Klinik ist heute nicht mehr Anlass für eine rituelle Zeremonie, die der Sterbende im Kreise seiner versammelten Angehörigen und Freunden lenkt, nein, der Tod ist dort ein technisches Phänomen, das sich aus dem Abbruch der medizinischen Betreuung ergibt.» Patient:innenverfügungen sind ein komplexes Kapitel. In der Mehrzahl der Fälle, schreibt Ariès weiter, hat der oder die Sterbende schon lange das Bewusstsein verloren. Der Tod ist in eine Serie von kleineren Teilphasen aufgelöst, zerstückelt, von denen man nicht mit Sicherheit weiß, welche den wirklichen Tod bedeutet. Alle diese kleinen stillen Tode haben den großen dramatischen Vorgang des Todes ersetzt und unkenntlich gemacht, und niemand hat Kraft oder Geduld, über Wochen hinweg einen Zeitpunkt zu erwarten, der einen Teil seiner Bedeutung eingebüßt hat. Der Sinn, sich damit auseinanderzusetzen: Wir sehen die Entwicklung unserer Kultur deutlicher, vor allem in welche Richtung sie tendiert. Und die gefällt mir gar nicht. Denn wir müssen annehmbar sterben. Ein annehmbarer Tod ist ein Tod, der für Hinterbliebene annehmbar oder erträglich ist. Emotionen sind das, was im Krankenhaus genauso wie überall sonst in der Gesellschaft, auch am Friedhof, im Prinzip unerwünscht ist. Das Recht, die eigene Erschütterung zu zeigen, hat man nur im Verborgenen. Der Tod darf die Hinterbliebenen nicht in Verlegenheit bringen. Nun, da haben wir schon das nächste Tabu:

Die Verweigerung der Trauer

Moderne Gesellschaften haben den Menschen seines Todes beraubt, sagt Ariès, und ihn ihm nur zurückerstattet, wenn er sich seiner nicht bedient, um die Lebenden zu belästigen. Ich begebe mich also bewusst in die Verbotszone, in die Todeszone, um mich kennenzulernen. Ja, vor allem mich und mein Leben zu erfassen. Nun kenne ich einen Filmemacher, mit dem ich gut zusammenarbeiten kann; so entsteht gerade ein Musikvideo, in dem es um meinen Tod geht. Wann immer er auch daherschlendern oder eiligen Schrittes gefährlich nahekommen mag. Ich spiele also mich als Tod, in der Szenerie einer Hochebene in den Bergen, in Eis und Schnee. Ich hatte anfangs keine Ahnung, welche Szenen was erzählen sollen, doch als ich dann endlich anfing, das Drehbuch zu zeichnen, übernahm

etwas in mir die Feder und den Faden und im Zeichnen selbst entstand Einstellung für Einstellung der Inhalt. Es ist immer wieder faszinierend, was Kunst hervorbringen kann. Verdecktes. Unbewusstes. Noch nicht Gedachtes. Neues und Spannendes über uns selbst, als Mensch. Natürlich kenne ich das Ende meines Drehbuches nicht, es gibt vielfältige, offene Varianten. Ich bin gespannt darauf zu erfahren, mich selbst in der Rolle zu erleben und meine Aktionen oder Bewegungen zu beobachten. Es ist ein Spiel mit offenen Karten und offenem Ende. Ich trauere also zu Lebzeiten um mich und um mein wunderbares, geliebtes und erschreckendes Leben und meine geliebte Familie. Ich trauere bei bester Verfassung um das, was ich einst verlieren werde oder schon beginne zu verlieren. Ich gewöhne mich also an die Verluste, die mal kleiner, mal größer erscheinen und beachtet werden wollen. Trauern können wir so oft. Es gibt so viel zu betrauern, Natur, Tierwelt, Erde, Menschen, Soldaten, Bevölkerungen, Demokratien, Gesundheit, die Ökonomie … Würden wir mutig vollumfänglich trauern können, wären wir näher an unseren Emotionen. Dass Emotionen wichtige gesundheitliche Aspekte sind, ist vielen Menschen offensichtlich nicht bewusst. Und vor allem: Sie verbinden uns Menschen in der Tiefe. Was gibt es Schöneres?! Auch der Erlebnisreichtum ist um ein Vielfaches intensiver. Ja, all das geht auch ohne Substanzen. Meine persönliche innere Welt hatte ich lange versperrt, aus Schutz, aus Vulnerabilität in einer lebensbedrohlichen Phase meines Lebens. Wie so oft sind solche Zeiten Gamechanger. Aber nicht auf einmal, schön langsam, Jahr für Jahr. Geduld … Geduld …
Ich mache mich morgen auf den Weg, den langen, verschütteten Weg des Todes zurückzugehen. Ich hole ihn mir zurück. Auf meine ganz besondere Art und Weise. 

Katja Lewina: Was ist schon für immer. Vom Leben mit der Endlichkeit. DuMont 2024

Philippe Ariès: Studien zur Geschichte des Todes im Abendland. Hanser 1976 / dtv 1986 (antiquarisch erhältlich)

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