Gesundheit als sozialer Akttun & lassen

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Jetzt haben sie uns jahrelang erklärt, dass wir alle selbst für unsere Gesundheit verantwortlich sind, dass das unsere private, eigene Angelegenheit sei. «Es liegt in der Eigenverantwortung der Menschen, ihre eigene Gesundheit als besonderen Wert zu achten und dementsprechend zu pflegen», sagt eine Ärztin in der Zeitung und möchte ein eigenes Schulfach zur Gesundheitsbildung einführen. Da soll dann Kindern die Vorstellung nähergebracht werden, dass wir alle für unsere Gesundheit selbst zuständig sind.
Bildung zur Gesundheit finde ich auch super. Health Literacy heißt das jetzt im Fachjargon. Statistiken, Wahrscheinlichkeiten und epidemiologische Studien verstehen können, das hilft. Gesundheitskompetenz ist wirklich brauchbar im Alltag und im Ernstfall. Aber da darf es nicht um diese ideo­logische Engführung gehen, die Gesundheit als persönliche Leistung missversteht. Diese Verengung ist auch längst nicht mehr aktueller Stand der Wissenschaften. Die Einflussfaktoren auf Gesundheit betreffen die Verhältnisse im Ökonomischen, Sozialen und in der Versorgung genauso wie im Verhalten mit Ressourcenbedingungen und Lebensstilen. Die renommierte Globe-Studie ermittelte den hohen Anteil, den die Verhältnisse an den gesundheitlichen Unterschieden haben: Über fünfzig Prozent werden durch soziale und umweltbedingte Belastungen erklärt. Arzt und Gesundheitswissenschaftler Michael Marmot: «Wir untersuchten alle Risikofaktoren, die mit dem Lebensstil zu tun haben: das Rauchen, den Cholesterinspiegel, der mit einer fettigen Ernährung zusammenhängt, die sitzende Lebensweise mit wenig Bewegung. Sie alle zusammengenommen erklären zwischen einem Viertel und einem Drittel des Unterschieds in der Lebens­erwartung. Nicht mehr.» Arme Raucher sterben früher als reiche Raucher.
Die sozialen Bedingungen und Umwelten durchdringen unser Leben, unser Verhalten und unser Sterben. Dort, wo wir stehen, dort, wo wir arbeiten, dort, wo wir Einkommen generieren, und dort, wo wir wohnen: je nach Status, Bezirk, Kontinent. Die gleiche Schmerzintensität – bei gleichen betroffenen Körperteilen – wurde von Personen mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status als zwei- bis dreimal beeinträchtigender empfunden als von Personen mit dem höchsten. Diese Erkenntnisse sind im Verständnis und in der Behandlung von Kindern, die in Armut leben, mehr als relevant.
Jetzt haben sie uns jahrelang erklärt, wir sind allein für unsere Gesundheit zuständig. Heraus kommt dabei eine Ideologie «Gesundheit als private Leistung», nach dem Motto: «Wer stirbt, ist selber schuld.» Jetzt haben sie uns jahrelang erklärt, dass wir alle selbst für unsere Gesundheit verantwortlich sind. Aber gerade diese ideologische Einseitigkeit hat dazu geführt, dass die Leute jetzt nicht verstehen, warum Impfen ein sozialer Akt sein kann. Warum Impfen etwas mit allen zu tun hat. Dass es bei Gesundheit nicht nur um mich geht, um meine Eigenes, um mich selbst.

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