Das Thema Gewalt gegen Frauen wird derzeit verstärkt diskutiert. Grund: die schlimme Bilanz an Morden seit Jahresbeginn. Nicht oft genug kann also über konkrete Maßnahmen gesprochen werden. Was müssen wir tun, um Frauen zu schützen? Ruth Weismann fasst zusammen. Illustrationen: Silke Müller*
* Die Illustrationen sind aus Silke Müllers Kalender Alles Okay? – 11 mutige Schritte für 2019
silkemueller.net
Jede fünfte Frau in Österreich hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren, jede dritte eine Form der sexuellen Belästigung. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) von 2014. Nach wie vor geht Gewalt gegen Frauen zu rund 95 Prozent von Männern aus, und meistens stehen Opfer und Täter in einem Beziehungsverhältnis – ob familiär oder anderweitig. Und oft handelt es sich nicht um einmalige Vorfälle. 647 Frauen und 609 Kinder fanden 2018 Zuflucht in einem der vier Wiener Frauenhäuser, die Mordrate an Frauen steigt seit 2014 wieder an (Stand 2018: 41 ermordete Frauen in Österreich). Und beim 24-Stunden-Frauennotruf stehen die Leitungen selten still. Gewalt gegen Frauen passiert täglich. Was also tun?
Prävention.
«Es braucht Prävention», sagt die Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser, Andrea Brem. Für eine langfristige Wirksamkeit wären flächendeckende Maßnahmen wie Coachings und Trainings gegen Gewalt mit allen Jugendlichen wichtig, ist Brem überzeugt. «Wenn Kinder daheim immer Gewalt erleben, ist es wichtig, dass jemand sagt, dass es ganz anderes geht», sagt sie – und spricht sich für Verhaltenstraining und das Lernen von Konfliktmanagement aus. Es gibt immer wieder kleine Projekte etwa in Schulen. Man müsste Gewaltpräventionsmaßnahmen aber flächendeckend umsetzen, größer machen und natürlich die finanziellen Mittel dafür bereitstellen, so Brem. Denn wer nie gelernt hat, über Gefühle zu sprechen, neige eher dazu, Gewalt anzuwenden.
Dazu gehören auch Anti-Aggressions-Trainings für Täter, die langfristig sind. Brem fände es am besten, wenn diese schon nach der ersten polizeilichen Wegweisung verpflichtend wären. Aber dem ist nicht so, und generell gibt es zu wenig davon. Es können auch nur jene Männer mitmachen, die Bereitschaft signalisieren.
Langfristig müsse auch stets im Fokus von Politik und Gesellschaft liegen, «dass Frauen gestärkt werden und ökonomisch unabhängig sind», sagt Brem. Denn wer kein eigenes Geld hat, tut sich mit dem Verlassen einer Gewaltbeziehung noch schwerer. Dasselbe gilt für den Aufenthaltsstatus: Frauen, die hier keine Sicherheit haben, suchen eher nicht Hilfe bei offiziellen Stellen.
Im Akutfall.
Wer Zeug_in einer Gewalttat wird, muss rasch handeln: «Auf der Straße muss ich mich zuerst selbst in Sicherheit bringen, dazwischengehen nur mit jemandem zweiten», erläutert Andrea Brem. Und: «Die Polizei rufen. Das muss ich, ich kann nicht weggehen, wenn ich sehe, dass da jemand geschlagen wird.» In U-Bahn-Stationen gibt es zudem Notrufsäulen.
«Verhaltensregeln» für Frauen, um Gewalt vorzubeugen, gebe es nicht, auch wenn das immer wieder mal behauptet wird. «Die funktionieren nicht», sagt Brem. Aber: «Wenn ich mich bedroht fühle, ist das beste, möglichst schnell die Situation zu verlassen und Hilfe zu holen.» Die gilt für die Straße ebenso wie für Zuhause, leider ist dies allerdings nicht immer möglich. Für den öffentlichen Raum rät die Expertin, wenn möglich jemanden anzusprechen und um Hilfe zu bitten, wenn ich mich etwa verfolgt fühle.
Bekommt man akut mit, dass es häusliche Gewalt in der Nachbarschaft oder der eigenen Familie gibt, «dann muss ich die Polizei rufen, das kann Leben retten», sagt Brem. Auch wenn das durchaus umstritten ist, da es schlechte Erfahrungen mit Polizist_innen gibt, die wenig adäquat auf solche Situation reagieren. «Aber ich glaube, das Risiko, dass einem daheim etwas passiert, ist deutlich größer», meint sie. Danach oder auch schon, wenn man von Gewalt im näheren Umfeld weiß und sich nicht sicher ist, wie man damit umgehen soll, sei es das Beste, sich an den 24-Stunden-Frauennotruf und/oder die Beratungsstelle der Frauenhäuser im 12. Bezirk zu wenden und zu schildern, was man weiß. Das geht anonym und kostenlos.
Opferschutz.
«Die Interventionsstelle gegen Gewalt ist ganz wichtig», sagt Andrea Brem. Wenn die Polizei eine Wegweisung vornimmt, wird immer die Wiener Interventionsstelle verständigt, eine staatlich anerkannte Opferschutzeinrichtung, die seit 1998 besteht. Diese nimmt Kontakt mit den betroffenen Frauen auf und bietet Unterstützung an.
Wenn ein Daheimbleiben nicht möglich ist, nehmen die Frauenhäuser Betroffene auf – egal wann, so Brem: «Wir nehmen immer auf. Wenn wir ganz voll sind, schlichten wir eben zusammen.» Ein Anruf bei der Beratungsstelle ist ebenfalls sinnvoll, dort kann telefonisch oder im persönlichen Gespräch beraten werden, welche nächsten Schritte gesetzt werden können.
Nicht zuletzt spricht sich Andrea Brem für Haft aus: «Wir brauchen auch Haft, um Frauen und Kinder zu schützen. Es braucht die staatlichen Sanktionsmaßnahmen, es braucht U-Haft, es braucht Strafverfahren. Weil das ein klares Zeichen ist: So geht’s nicht.» Wenn es zu einer Anzeige kommt, sollten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, damit es zu einer Verurteilung kommen kann. Aber das ist oft nicht der Fall. Und viele Frauen möchten sich den zermürbenden, teils retraumatisierenden Verfahren, die dann ohne Verurteilung enden, nicht aussetzen. «Vor allem im Bereich der sexualisierten Gewalt haben wir leider eine hohe Einstellungsrate, da müssen wir überlegen, was langfristig gemacht werden kann», sagt Brem. Anzusetzen wäre u.a. bei der Beweisführung. Denn: «Wenn der Gefährder von der Polizei befragt wird, gibt’s nur ein Polizeiprotokoll. Ich finde, das geht nicht, da müsste zum Beispiel die Staatsanwaltschaft den noch mal befragen. Ein Verfahren auf Grund einer einmaligen Befragung einstellen, das geht doch nicht. Es braucht auch eine Verbesserung der Spurensicherung durch Ärzte und Ärztinnen», meint Brem.
Da für Frauen die Gerichtsverfahren oft schlimm sind, gibt es auch die Möglichkeit der kontradiktorischen Einvernahme, also ohne Beisein des Beschuldigten. Was leider viele nicht wissen, so Brem, ist, dass es kostenlose Prozessbegleitung gibt, wo Gewaltbetroffene auf den Prozess vorbereitet werden und Rechtsbeistand bekommen. In Anspruch nehmen können das Opfer und Hinterbliebene und es umfasst psychosoziale und juristische Unterstützung bis zum Ende des Verfahrens. Opferschutzeinrichtungen wie etwa der Weiße Ring bieten Prozessbegleitung an.
Wohin kann ich mich wenden?
24-Stunden-Frauennotruf MA 57
Tel.: (01) 71 71 9
E-Mail: frauennotruf@wien.at
Es gibt mehrsprachige Beraterinnen und Dolmetscherinnen
Frauenhausnotruf Wien
Tel.: 05 77 22
Beratungsstelle: 12., Vivenotgasse 53, 3. Stock
Tel.: (01) 512 38 39
Frauenhelpline
Tel.: (0 800) 222 555
Anonym und kostenlos
www.frauenhelpline.at
Frauenberatung
Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen: (01) 523 22 22
www.frauenberatung.at
Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie
Muttersprachliche Beratung in Armenisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Georgisch, Farsi (Persisch), Russisch, Türkisch, Englisch, Französisch,
Italienisch, Slowenisch und Spanisch
www.interventionsstelle-wien.at