«Gewaltfreiheit wäre schön»tun & lassen

Regierungen verschwinden, die schwarzen Blöcke bleiben / Teil 2

Der Zorn gegen die dreiste Plünderung der Gesellschaft, um den Banken die Kosten der Abwicklung der Hypo zu ersparen, wird wohl virulent werden; die Wiener_innen, deren Ururgroßeltern immerhin den Justizpalast beinahe abfackelten, sind hoffentlich besonnener geworden. Vielleicht wären sie aber radikalisiert genug, um zuzustimmen, dass junge Desperados ihnen die Arbeit – des Angreifens verhasster Symbole – abnehmen. Im ersten Teil (Nr. 361) wurde versucht, mit der «Destruktivität» der Spezialist_innen des Angriffs, die bei Demos (europaweit) immer mehr in Erscheinung treten, gelassener umzugehen.Wir bleiben beim Anlassfall des ersten Teils: einmal mehr versuchten Antifaschist_innen, den als «Akademikerball» getarnten Rummel der Rechtsextremen zu verhindern. Sie hätten lieber den schwarzen Block in ihren eigenen Reihen verhindern sollen, lautete der Tenor der Massenmedien. Der zweite Teil betrachtet die grüne Partei, die eine Partei der anständigen Eltern geworden ist, bei ihrem Versuch, den werten Nachwuchs auf das Prinzip der absoluten Gewaltfreiheit einzustimmen.

«Für künftige Demos gegen den Ball erwarte ich, dass alle Grünen klar machen, dass der Schwarze Block nicht willkommen ist. So wie wir von der FPÖ eine klare Trennung von allen Neonazis verlangen, muss es auch auf unserer Seite eine klare Trennung geben». Er habe jetzt «endgültig genug davon, dass ein paar Jungfunktionäre Jahr für Jahr dieselbe Frage aufwerfen: Wie halten es die Grünen mit Gewalt? Diese Frage ist seit unserer Gründung beantwortet. Daher: Wer jetzt gehen will – adieu. Und nicht ‚Auf Wiedersehen‘.»

Was beim ersten Blick auf diese Zeilen auffällt, ist ein paternalistischer, bevormundender Ton, der in der Bewegungsphase der Grünen von grünen Aktivist_innen nie toleriert worden wäre. Es ist der Ton des Parlamentariers Peter Pilz gegenüber den in der grünen Hierarchie offensichtlich inzwischen ganz unten Angekommenen. Diesen sind die innerparteilichen Foren der kontroversiellen Debatte abhanden gekommen; dabei hätten sie sich an Pilz` Statement auch inhaltlich reiben können. Reibepunkt 1: Weil der «schwarze Block» eine militante Demonstrationsmethode, aber keine an Mitgliedern interessierte Organisation ist, wird niemand den Empfang des grünen Verdikts («du bist nicht willkommen!») entgegen nehmen können. Reibepunkt 2: Die «paar Jungfunktionäre», die Pilz seit Jahren ärgern, sind die grüne Jugend und Teile der Basis der Grünen. Reibepunkt 3: Die Frage der Gewalt ist mitnichten seit der Grünen-Gründung beantwortet; das zeigt eine unten dokumentierte Episode eines grünen Dauerkonflikts. Reibepunkt 4: Bei allem Respekt vor den aufklärerischen Tätigkeiten des Peter Pilz: Parteiausschlüsse können auch unter postdemokratischen Grünen nicht von der Parteiprominenz dekretiert werden.

Kein Milderungsgrund für die Grünen: Fast das gesamte politische Spektrum des Landes war sich einig in der Aufforderung der Demonstrierenden, die Staatsraison zu respektieren, die auf der Ausgrenzung der militanten Teile des Widerstandsmilieus besteht. Welches Kalkül steckt hinter dem Gebot, sich öffentlich vom schwarzen Block zu distanzieren? Die Ordnungsmacht ist immer bestrebt, auf dem Laufenden zu sein, welche Teile der «kritischen Masse» sie nicht mehr kontrollieren kann, welche Gruppen und Personen das mit dem System Unversöhnliche verkörpern und wie sich die «gefährliche Klasse» entwickelt. Die Haltung zur (Gegen-)Gewalt in der politischen Auseinandersetzung gilt als Kriterium für den Grad der Gefährlichkeit. Die Gefährlichkeit steigert sich in dem Maße, in dem die Gewaltbereitschaft der widerständlerisch Handelnden als plausible Reaktion auf die primäre Gewalt dargestellt wird, die zum Beispiel von einer in Bürgerkriegsdesign, Bürgerkriegsmontur und Bürgerkriegsbewaffnung performierenden Polizei ausgeht. Wer gesehen hat, mit welch provokanter Geschwindigkeit die Polizeiautos in die von Demonstrierenden okkupierte Ringstraße rasten, wird sich nicht viel draus machen, wenn er Zeuge einer radical vandalism-Aktion ist, die ein Polizeiauto, das sich in wütenden Protesttrauben verfängt, verbeult und einsatzunfähig macht.

Unseren Hass könnt ihr haben

Entweder ihr distanziert euch vom schwarzen Block oder wir schließen euch aus: diesen autoritären Imperativ im Sinne von Peter Pilz richtete auch Parteichefin Eva Glawischnig vor dutzenden Kameras an die Parteijugend, die nicht einmal mit der früher selbstverständlichen Frage konterte, seit wann nicht der Parteitag, sondern eine Frau Glawischnig bestimme, mit welcherlei Antifaschist_innen man gegen den Faschismus demonstrieren dürfe. Am Abend nach der Demo hatten die Medien e i n e n Skandal und e i n e mutige Ausmisterin des skandalösen Stalls. Der «Skandal» bestand darin, dass die Grüne Jugend ihre Homepage mit der vermeintlichen Hauptparole der autonom-linksradikalen Szene coverte: «Unseren Hass könnt ihr haben!»

Der wirkliche Skandal, die Ausrufung des Ausnahmezustands zum Schutz der traditionellen Faschingsveranstaltung der radikalen Rechten, verschwand aus dem Aufmerksamkeitskegel der Medien. Die Ausmisterin Glawischnig wurde für Print und TV zur Heldin des Tages danach. Und zwar einerlei, ob es um Medien im «Qualitäts»- oder im Trottoirstatus ging, wie übrigens der Falter beweist, der zum Sprachrohr der grünen Zampanos und Zampanas wurde, die die parteieigene Jugendorganisation zum großen Kotau aufforderten. «Die Naivität des grünen Nachwuchses schadet der Partei», hieß es im Falter. «Kein Wunder, dass Glawischnig ihre Parteijugend prompt in die Schranken weist.» Die Falter-Reporterin fühlt sich ganz eins mit Peter Pilz, den sie so zitiert: «Es gibt eine Grenze, und die heißt Gewalt. Wer sie überschreitet, gehört nicht zu uns.» In derselben Ausgabe ruft Chefredakteur Florian Klenk («Wieso wir alle einen anderen Diskurs mit der Polizei brauchen») zur Gerechtigkeit gegenüber dem Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl auf. Die pauschale Verteufelung der Polizei durch die Linke sei schuld an der «defensiven Solidarität», die die Beamten vereine und sie kollektiv unfähig zur Reflexion über ihre Fehler mache. Die Parallelität des Weges vom Rand zu Mitte, den die Stadtzeitung Falter und die Stadtpartei der Grünen zurücklegten, ist evident.

Parteistreit per Offenen Briefen

Dieter Schrage, wir vermissen dich, dürfte so mancher basisdemokratisch verseuchte Grünaktivist geseufzt haben. Der Kulturforscher und -aktivist war bis zu seinem Tode 2011 stets zur Stelle, wo die Spitzenpolitiker_innen seiner Partei die Reste der Gründungs-Subversivität im Prozess der Verbürgerlichung abzuwickeln versuchten. Ich drehe die Zeit ein Vierteljahrhundert zurück. Die besetzten Häuser in der Ägidi- und Spalowskigasse in Wien 6 waren von der erstmals bürgerkriegsmäßig vorbereiteten und entsprechend eingestimmten Wiener Polizei zerstört worden. Die «Hausgemeinschaft Ägidi/Spalo» wirkte weiterhin als politisches Kollektiv der militanten außerparlamentarischen Opposition, das von den damaligen (1989) Bundesgeschäftsführern der Grünen, Johannes Voggenhuber und Pius Strobl, per «Offenen Brief» zur Räson gebracht werden sollte: «Wir appellieren an euch und die euch unterstützenden Personen, auf jede Form der Gewalt zu verzichten und alles in eurem Einflussbereich Stehende zu unternehmen, das Prinzip der Gewaltfreiheit nicht zu verletzen. Militanz und Androhung von Gewalt widersprechen unseren politischen Vorstellungen, laufen unserem wesentlichen Basisinhalt ,Gewaltfreiheit‘ zuwider und können von uns nicht mitgetragen werden.»

Entsetzt über die «onkelhafte Weise», wie grüne Spitzenpolitiker nicht angepassten jungen Menschen den pädagogischen Zeigefinger entgegenstreckten, entschloss sich Schrage, damals bereits grüner Funktionär, zu einem offenen Gegenbrief. «Wenn ihr schon von Gewalt sprecht, so müsstest doch zumindest du, Pius, dich daran erinnern, dass hier von der Gemeinde Wien ein einseitiger und brutaler Gewaltakt gesetzt wurde, dass mithilfe von Wasserwerfern, Baggern und Polizeiknüppel die Punks, Autonomen und Desperados aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. Seid ihr beide blind gegenüber der strukturellen Gewalt in unserer Gesellschaft, die im Falle der Diskriminierung der Hausgemeinschaft zu deutlich zutage getreten ist? Wenn im Zusammenhang mit den Ägidis und Spalos von Gewalt gesprochen wird, dann muss zunächst einmal von der Gewalt der Gemeinde Wien und von der Prügelstraße der Polizei gesprochen werden. Das unterlässt ihr in eurem Brief völlig. Aber nur auf der Basis einer differenzierten politischen Erörterung kannte dann über die Berechtigung von Gegenwehr, Gegengewalt diskutiert werden.»

Probleme mit Panzerglas


Dieter Schrage versuchte mit seinem 11-Punkte-Manifest «Gewaltvermeidung anstelle von Gewaltfreiheit» (Mai 1989) die nötig gewordene innerparteiliche Debatte anzuzetteln. Im Punkt 2 philosophiert der Autor: «Gewaltfreiheit ist ein Grundsatz der Grünen, der bei näherer Betrachtung auf Sand gebaut ist – und sei es auch nur der Sand in den eigenen Augen. Sehen wir denn nicht, dass wir beispielsweise in unserem Alltagsleben allzu oft bereit sind, auf die Staatsgewalt zu bauen, zum Beispiel als in einen Verkehrsunfall Verwickelte?» Punkt 6, daran anknüpfend: «Wie vereinbart sich letztlich das Prinzip der Gewaltfreiheit mit dem Bejahen der Staatsgewalt?» Schrages Manifest endet mit diesem Bekenntnis: «Für mich, der ich die Idee einer herrschaftsfreien Gesellschaft in mir trage, ist in der vorliegenden Form – und in der derzeitigen Gesellschaft – der Grundsatz der Gewaltfreiheit nicht aufrechtzuerhalten. Ich trete für Gewaltvermeidung ein. Gewaltfreiheit wäre schön, ist zur Zeit aber noch eine Illusion. Herrschaftsfreiheit wäre noch schöner.»

Die schwarzen Blöcke, die unsere Demos in Hinkunft begleiten werden, ob wir sie wollen oder nicht, mögen sich in den kommenden stürmischen Tagen eher an die Eingangstüren der großen krisenrelevanten Banken halten als an die Auslagenscheiben eines Wiener Kaffeehauses. Was ist das größere Verbrechen, der Besitz einer Bank oder ein Bankraub oder aber ein symbolisches Loch in der gläsernen Wand der Bank, fragten sich einige Mutige bei der Demo gegen den Burschenschafterball. Sie scheiterten kläglich am Sicherheitsglas einer auf der Demoroute gelegenen Bankfiliale. Aber auch diese fehlender Erfahrung geschuldete Inkompetenz sollte kein Grund sein, sich vom schwarzen Block einfach nur zu distanzieren.

 

Weitere Links zum Thema Demos:

1. Teil der Serie «Regierungen verschwinden, die schwarzen Blöcke bleiben»

Bericht zu «Burschenbundball» in Linz

«Es ist was los in der Stadt» Herr Hüseyin

«Die Parallelwelten der Ballsaison» Herr Groll

Gefühlte Falschinformationen,…

 

Foto: Robert Newald

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