Boulevard-Blog vom 29.11.2023
Alle reden vom sozial-ökologischen Umbau. Die Belegschaft einer kleinen Fabrik in der Nähe von Florenz wagt den Schritt vom Reden zur Aktion. Und rettet dabei gleich auch eine der ältesten italienischen Straßenzeitungen.
130 Menschen hängen am 15. November dem florentiner Gewerkschaftsaktivisten Dario Salvetti an den Lippen. Er ist nach Wien gekommen, um im Auditorium der Universität für Angewandte Kunst zu erzählen, wie die rund 500 ausschließlich männlich gelesenen Arbeiter einer kleinen, eigentlich zur Schließung verdammten Autozulieferfabrik diese nicht nur seit Monaten besetzt halten, sondern nun den Schritt zur Gründung einer «sozialen und ökologischen Fabrik» wagen wollen.
Besetzung
Begonnen hat alles im Juli 2021, als der transnationale Hedgefonds Melrose die eine Stunde Busfahrt außerhalb von Florenz liegende GKN-Fabrik schließen wollte. Die zu diesem Zeitpunkt schon seit längerem in Form eines Fabrikkollektivs organisierten Arbeiter starteten eine zeitlich unbefristete Betriebsversammlung dagegen – eine rechtlich abgesicherte Form der Betriebsbesetzung. Zwischendurch übernahm der italienische Investor Francesco Borgomeo die Fabrik und versprach den Erhalt der Jobs und eine Zukunft. Das hat sich inzwischen als leere Versprechung herausgestellt. Vor einigen Tagen wurde allen noch an der Besetzung beteiligten Arbeitern die Kündigung zum 1. Jänner 2024 ausgesprochen.
Genossenschaft
Somit tickt nun die Uhr. Denn Salvetti und Kollegen wollen die Fabrik unbedingt am Leben erhalten. Sie wollen eine Kooperative schaffen, die sich nicht nur in der Produktion in den Dienst der Bevölkerung stellt. Sie stellen sich die Fabrik als sozialen Ort der Gemeinschaft, Kultur und gegenseitigen Hilfe vor. In der Fabrik wird gekocht. Es finden Literaturfestivals statt. Und als im Oktober ganze Landstriche in und rund um Florenz unter Wasser standen, organisierte die Belegschaft eine Solidaritätsbrigade, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Die Fabrik wurde zeitgleich zu einem Zentrum selbstorganisierter nachbarschaftlicher Hilfsmaßnahmen. «Wir können den Staat nicht ersetzen», beschreibt Salvetti auf der Wiener Veranstaltung die Situation. «Gleichzeitig sehen wir aber, dass der Staat, den wir uns wünschen würden, nicht existiert. Er hilft den Menschen und der Umwelt nicht, also müssen wir es selber tun.»
GKN For Future
Diese Mentalität steht auch für die derzeit laufende Kampagne, bis Jahresende so genannte «solidarische Anteile» für den Weiterbetrieb der Fabrik im Wert von einer Million Euro zusammenzubekommen. Wo einst Antriebswellen für schnelle Autos produziert wurden, sollen bald Lastenräder und Fotovoltaikanlagen, die ohne Lithium und seltene Erden auskommen, produziert werden. GFF – GKN For Future – ist der aussagekräftige Name der geplanten Kooperative. Das ist kein Zufall, denn die GKN-Arbeiter arbeiten eng mit der italienischen und internationalen Klimagerechtigkeitsbewegung zusammen. Und auch hier wird immer wieder ein soziales Element sichtbar. Im November spendeten die GKN-Arbeiter Geld, um das weitere Erscheinen der florentiner Straßenzeitung Fuori Binario zu ermöglichen. Diese bewirbt nun im Gegenzug die geplante Kooperative.
Internationale Solidarität
Doch all dies könnte mit dem Jahresende ein jähes Ende finden. Denn sobald die Entlassungen ausgesprochen werden, ist die Fabrikbesetzung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr legal. Sie wäre dann akut räumungsbedroht. Somit steht alles Spitz auf Knopf. «Der internationalen Solidaritätsbewegung kommt eine wichtige Rolle zu», sagt Salvetti. «Je mehr Anteile gezeichnet werden, desto stärkeren Rückenwind haben wir für unser Projekt».
Weitere Infos: https://insorgiamo.org/100×10-000/