„Gleich eingeschnappt“vorstadt

Lokalmatadorin

CorneliaEhmayer.jpgCornelia Ehmayer bittet die Metropole auf die

Couch sie ist Wiens erste Stadtpsychologin.

Stadtpsychologische Praxis Ehmayer, hier muss es sein! Die korpulente, etwas aufgedonnert wirkende Dame seufzt, erleichtert. Na alsdann! Sie hat sich heute vom Naschmarkt kommend in den vierten Bezirk bequemt, ist durch die Pressgasse ohne erkennbare Eile mehr stolziert denn spaziert. Noch immer ein wenig skeptisch, tritt sie nun in das Haus Nr. 6. Dort wird sie bereits erwartet. Von Cornelia Ehmayer, von der ja erzählt wird, dass sie Wiens erste und bisher einzige Stadtpsychologin ist.

Die ältere der beiden Frauen nimmt behutsam ihren Hut ab, dann sagt sie mit nasalem Achterbezirkunterton, dass man ihr von der Frau Magistra einen Satz vorgelesen hat, der ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen mag. Wenn es also wirklich stimmt, dass sich auch eine Stadt auf die Couch legen kann, dann würde sie jetzt, bittschön, gern Platz nehmen. Die Stadtpsychologin, sie wirkt deutlich legerer, nickt freundlich. Auch als ein Zeichen der Genugtuung für diese spät zuteil werdende Ehre. Es hat nämlich fast zehn Jahre lang gedauert, bis sich die konservative Metropole zu ihr herabließ. Stadtpsychologin? Zu was brauchma das. Eine Frau ist sie auch noch? Geh bitt euch gar schön.

Cornelia Ehmayer möchte vor der ersten Sitzung Grundsätzliches sagen: Dass ihre Arbeit auf einer These der italienischen Gemeindepsychologin Donata Francescata beruht, wonach man sich eine Stadt wie eine Person vorstellen kann, mit Stärken und Schwächen. Dass sie selbst im niederösterreichischen Industriestädtchen Ternitz sozialisiert wurde. Dass sie in Wiener Neustadt ins Gymnasium gegangen ist. Dass sie Wien ursprünglich nur vom Schulstangln her kannte, Südbahnhof, Flohmarkt, Indienschals statt Industrieproduktion. Dass sie in Wien später auch ihr Studium mit Erfolg abgeschlossen hat, dabei auch erkennen musste, dass Wien anders, jedenfalls nicht Ternitz ist. Und dass ihr die großen Distanzen anfangs zu schaffen gemacht haben. Bei uns daheim geht man alles zu Fuß, oder man fährt mit dem Radl. Na gut, Ternitz hat ja auch keine U-Bahn.

Die Gnädigste auf der Couch rutscht bereits unruhig auf ihrem Popo hin und her. Sie möchte unbedingt wissen, wo die Stadtpsychologin persönliche Stärken vermutet. Das ist aufgelegt. Über das Wesen von Wien hat Ehmayer eine eigene Studie verfasst. Demnach kann Wien wie andere europäische Großstädte auch auf ein unverwechselbares Image bauen: Wien steht für etwas, Wien hat auch im Ausland eine Identität, die geprägt ist von der Kunst und dem Hang zum Vergangenen.

Und wo sehen Sie, Verehrteste, meine Schwächen? Auch bei dieser Frage kann die Expertin aus dem Vollen schöpfen: Eine Identität, die vor allem von der Tradition lebt, verstellt zwangsläufig den Blick für neue Ideen. Vieles scheint festgefahren, einzementiert. Auch bei Ihren Beamten und Politikern. Immer noch hat der Satz in Wien Gültigkeit, wonach nur derjenige etwas gilt, der bereits tot ist oder wenigstens im Ausland erfolgreich war. Verglichen mit Berlin wirken Sie, gute Stadt, deutlich älter, vorsichtiger, skeptischer.

Und stimmt es, was die Leute sagen, dass ich mit den Zuwanderern nicht so recht zurechtkomme? Dieses Problem haben nicht nur Sie. Zuwanderung ist für jede große Stadt eine Herausforderung. Die Wiener Integrationspolitik muss den Vergleich mit anderen nicht scheuen. Hier gibt es immerhin ein Bewusstsein, daher auch Kompetenz.

Weniger hilfreich, um nicht zu sagen kontraproduktiv, sei hingegen die mangelnde Bereitschaft zum Dialog mit den Bürgern: Wehe, jemand weist auf einen Missstand hin, Stichwort Hundstrümmerl, auch dazu gibt es natürlich eine Ehmayer-Studie, dann ziehe sich Madame sofort auf ihre barocke Position zurück, und die ist halt noch immer von oben herab: Ist jemand anderer Meinung, sind Sie gleich eingeschnappt, anstatt den Einwand als Chance zu betrachten. Das monotone Abschasseln erinnert die Psychologin an festgefahrene Beziehungen. Stadtbewohner: Schatz, wir sollten reden. Stadt: Über was sollten wir noch reden?

Die Frau Oberstudienrat auf der Couch weiß nicht, was sie erwidern soll, hört daher ihr Gegenüber dozieren: Je mehr Mitsprachemöglichkeiten die Bewohner in einer Stadt haben, umso besser ist das für die urbane Entwicklung. Ganz schlecht sei es hingegen, wenn sich kreative Köpfe auf ein Mittelmaß reduziert fühlen und deshalb der Stadt angewidert den Rücken kehren. An dieser Stelle reißt fürs Erste die Therapieeinheit ab, es wird hoffentlich nicht die letzte gewesen sein.

Wichtig ist vielleicht noch: Die Stadtpsychologin ist nicht bei der Gemeinde Wien angestellt, wodurch sie ihre Außen-, ihre Übersicht leichter bewahren kann. Zu ihrer Klientel zählen inzwischen Stadtentwickler im Rathaus, Gebietsbetreuer draußen in den Bezirken, der Verband Wiener Volksbildung sowie private Planungsbüros. Über Wien will Ehmayer am Ende keineswegs Böses kommen lassen, im Gegenteil: Hier wohne, hier arbeite und hier reise ich. Der nahe Naschmarkt dürfte es ihr besonders angetan haben. Jedenfalls hat sie gegen einen Fototermin auf der klassischen Wiener Delikatessen-Meile wenig einzuwenden.