Gönn dir einen Schluck Freiheittun & lassen

Zwei Wiener Kurden irritieren mit ihrem Bier den türkischen Staat

KurdBier.jpgAli Can, Journalist, und Nurettin Keske, Gastronom, stammen aus derselben Gegend des Kurdengebiets im Osten der Türkei. In Wien, wo die kurdische Diaspora nur etwa 30.000 Seelen umfasst, lernt man einander rasch kennen, wenn man aus denselben Bergen kommt. Die Berge trägt man auf der Zunge wie bei uns die Täler, so ist das immer noch mit den Dialektfärbungen. Nurettin Keske, der in Wien aufwuchs, und Ali Can, der 1988 emigrierte, hatten noch etwas gemeinsam, was der führenden politischen Klasse der Türkei suspekt ist: null Bock, ihre kurdische Identität zu verstecken.

Als die beiden Freunde 2001 das Bier-Unternehmen Roj gründeten, war bei Freund und Feind eine Emotionalität im Spiel, die nur jene ins Staunen bringt, die über die Intensität des türkisch-kurdischen Konflikts nicht informiert sind. Die beiden Roj-Protagonisten leugnen nicht, dass sie rein geschäftliche Überlegungen (Ali Can: In ganz Österreich leben schätzungsweise 110.000 Kurdinnen und Kurden, die als primäre Zielgruppe für das weltweit erste kurdische Bier unsere Vermarktungs-Erwartungen begründeten), mit kurdisch-emanzipatorischen Anliegen verquickten. Gönn dir einen Schluck Freiheit, so lautet der Slogan, der den KonsumentInnen deutlich machen soll, dass eine Flasche Roj nicht einfach ein Bier von vielen ist.

Die organisierten Gegner kurdischer Freiheitsbestrebungen, nämlich türkische Nationalisten und türkische Staatsorgane, hatten sofort ihre Sprachregelung gefunden: Roj sei das Terroristenbier. Die Biografien der Bier-Unternehmer, der Name des Biers (Roj, sprich Rosch, ist das kurdische Wort für Sonne, das zufällig auch ein kurdischer Untergrundsender benutzt) und der Freiheits-Slogan seien ausreichende Indizien dafür, dass die Gewinne an Organisationen fließen würden, die gegen die Interessen des türkischen Staates handelten.

Die rassistische Grundhaltung, die Kurden pauschal als terroranfällig bezeichnet, ist im EU-Anwärterland Türkei weit verbreitet. Ein aktuelles Beispiel mag ausreichen, um das Klima im Land zu beschreiben. Sechs Mitglieder eines Kinderchors standen in Diyarbakir, der Kurden-Metropole im Südosten der Türkei, vor Gericht, weil sie ein kurdisches Lied gesungen hatten. Laut den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft hatten die angeklagten Kinder im Alter von 14 und 15 Jahren im vergangenen Oktober bei einem Auftritt während des World-Music-Festivals im US-amerikanischen San Francisco den Marsch Ey Ragip angestimmt und sollen so Propaganda für die in der Türkei verbotene PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) geleistet haben. Angeklagt wurden die Kinder nach dem berüchtigten Antiterrorgesetz, das verschärfte Strafen vorsieht. Wir wissen nicht, wie das Verfahren ausgegangen ist. Jedenfalls versuchten die Verteidiger dem Richter klarzumachen, dass das Lied nicht nur von PKK-Leuten gesungen werde; es ist nämlich die Nationalhymne der kurdischen Autonomieregion im Nordirak und in allen Teilen Kurdistans populär, unabhängig von der politischen Position der Singenden.

Erinnerung an den blutenden Schafskopf

In diesem kurdenfeindlichen Klima kann man den Umstand, dass die polizeilichen und militärischen Nachrichtendienste den entsprechenden Ministerien geraten haben, den Import, den Vertrieb und die mögliche Produktion des Roj-Bieres zu verbieten, kaum als Sensation bewerten. Ein entsprechendes Geheimpapier ist den Wiener Roj-Machern in die Hände gespielt worden. Einer in Österreich eingetragenen Firma ein kommerzielles Engagement in der Türkei auf diese dreifache Weise zu behindern, widerspricht nicht nur dem EU-Recht, sondern auch den wirtschaftsliberalen Leitsätzen des türkischen Establishments. Wir haben gegen diese Marktdiskriminierung Anklage erhoben. Das Verfahren ist schwebend, sagt Ali Can im Augustin-Gespräch. Wir möchten nicht warten, bis die Türkei in der EU ist dann wäre Roj-Bier ohnehin nicht mehr aufzuhalten. Wir wollen mit dem kurdischen Bier jetzt schon präsent sein. Wenn wir in die Türkei mit unserem Produkt reinkämen, könnten wir mit einem Bier-Marktanteil von sieben Prozent rechnen. Die Kurdinnen und Kurden der Türkei würden gerne von Effes zu Roj hinüberwechseln. Aber vielleicht wurzelt der Optimismus der beiden Sonnenbierbrauer bloß in der Gewöhnung an deutsche Sprachklänge. Danach wären KurdInnen ja fast identisch mit KundInnen …

Wie wenig neutral das seit einigen Jahren in Rumänien abgefüllte Roj-Bier gilt, zeigte ein Vorfall, der zwar schon drei Jahre zurückliegt, die kurdischen Bierbosse Ali Can und Nurettin Keske aber immer noch zur Vorsicht gemahnt. Eines Tages lag vor der Bürotür des Firmensitzes im ersten Wiener Gemeindebezirk ein noch blutender Schafskopf. Auf ebenfalls blutigem Papier stand die in türkischer Sprache verfasste Botschaft: Es gibt keine Kurden, also kann es auch kein kurdisches Bier geben.

In der Pilot-Bar am Salzgries, ein geschäflicher Nebenzweig der beiden Bier-Kurden, wird täglich der Beweis geliefert, dass Roj auch der österreichischen Gurgel mundet. Hier kann man das Bier, zum Einkaufspreis, auch kistenweise erwerben. Ich glaube, dass mehr Liter in einheimische Kehlen als in migrantische fließen, sagt Ali Can. Er selbst habe getestet, dass sein Bier am allerbesten zum Wienerschnitzel passt. Sollte sein Traum in Erfüllung gehen und dereinst in Diyarbakir die erste Roj-Brauerei eröffnet werden, wird Ali Can erweiterte Marktforschung betreiben: Wie stünden die Chancen von Wienerschnitzel-Kiosken in der bald freien kurdischen Hauptstadt?

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