Goidanes Heißl und Wuide Jogdvorstadt

Ein Menüvorschlag für Weihnachten oder: Die Innviertler Exotik der Festtagsspeisen.

Text: Anna Schrems
Foto: Didi Sommer

«Wenn vom morgendlichen Aufwachen bis zum Einbruch der Dunkelheit kein Bissen gegessen und kein Schluck getrunken wird, dann könnte, wenn man Glück hat, am verheißungsvollen Himmel des Heiligen Abends das Goidane Heißl gesehen werden», erzählte meine Großmutter meiner Mutter. Und mit einer der Zeit innewohnenden Abrasion, die den Glauben etwas schmälert, erzählte meine Mutter mir vom Goidanen Heißl. Ob ich jenes sphärischen Gabenbringers, also des Goldenen Rössels, je ansichtig wurde, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, denn kindliche Vorstellungskraft und weihnachtlicher Himmel sind bekanntermaßen unendlich, nicht nur im Inn­viertel. Und zudem legte meine Mutter keinen Wert darauf, mir und meiner Schwester das Fasten näherzubringen. Vielmehr war es ihr und wohl auch meiner Großmutter ein Anliegen, ihre Kinder darin zu bestärken, sich aus eigener Kraft der Möglichkeit zu etwas Wunderbarem nähern zu können. Und wunderbar war der 24. Tag des Dezembers stets, wunderbar und angefüllt mit Aufregung, Vorfreude und Appetitlosigkeit, die aber andere Gründe hatte als astronomische Absichten.
Die eigene Kindheit ist jene, die naturgemäß am eindringlichsten in Erinnerung bleibt. Und gewiss ist Nostalgie keine dienliche Form von Vergangenheitsbewältigung. Dass Fasten nur dann eines ist, wenn freiwillig und Nahrung in greifbarer Aussicht steht, weil es ansonsten als Hungern erkannt zu werden hat, soll zwar am Rande, doch nachdrücklich gesagt werden. Ich selbst hab nie hungern müssen, aber jene vor mir haben es, und allzu viele müssen es heute noch, mitten unter uns.
Über die köstliche Erinnerung an die Köstlichkeit verspeister Gerichte in vergangener Zeit kann mit ausufernder Inbrunst geschwelgt werden, und Sie müssen wohl oder übel zustimmend darben, da gerade die memorierten Speisen jene sind, die am wenigsten auf Delikatesse überprüft werden können.
Nun kann den literarischen Genüssen jedoch ein auf bereits vielfach begangenem Weg überprüfbarer Zugang geschaffen werden, und dies ist jener, Ihnen Rezepte zu unterbreiten, auf dass Sie selbst wählen mögen unter den essbaren Teilen meiner Erinnerung und Sie nachkochen, wonach Ihnen lüstet. Lassen Sie mich Sie bewirten. Weil meine Kindheit eine innviertlerische war und ich keine andere anzubieten habe, zudem gerade wieder einmal die Weihnacht auf uns zutrabt wie ein schnaubendes Ross, sind es eben Innviertler Rezepte, die ich mit dem höchsten Festtag während der Zwölften, der Rauhnächte, in denen auch die Wuide Jogd, die Wilde Jagd, sich umtreibt, verbinde. Ob und wie Sie dieses Fest begehen, welche Erinnerungen hinter Ihnen stehen oder Sie überhaupt Kenntnis davon nehmen möchten, ist Ihre Geschichte.

Bitte nehmen Sie Platz.

Mit dem Gang zur Christmette legte man nicht nur ein Stück Weg zurück, sondern brachte auf der Rückkehr auch die Vorfreude auf eine Mettsuppe mit, die bei uns eine Schnittlsuppe war. Dieses wärmende Gericht, das die kirchliche Dunkelheit und Kälte gut austreibt, ist eine kräftige, klare Suppe mit am Ofen gebähten Semmelschnitten. Zuweilen finden sich auch Bratwürst darin. Aber das Festlichste daran waren die früher noch teuren Semmeln, die selten genossen werden konnten. Mit Freude ließ ich das Gebäck die gesamte Suppe im Teller aufsaugen und schmauste hingebungsvoll den Semmelbrei. Wenn Sie die Schnittln in Milch weichen, in zerklopftem Ei drehen und dann in Schmalz backen, haben Sie Pofesen, die, in Suppe gegessen, mit Pracht den Einstand der Festtage noch eindringlicher zu beschwören vermögen.
In ihrer Schlichtheit möchte ich hier eine Köstlichkeit erwähnen, die weniger mit Weihnachtlichem als mit meiner Kindheit in engster Verbindung steht und gerade ob des ubiquitären Alltags ihre Berechtigung auf dem Tisch haben soll: die Saure Suppe oder ihre gehaltvollere Schwester, die Rahmsuppe. Meine andere Großmutter trug sie, über Brotschnittln angerichtet, in einer weiten Schüssel auf, aus der von uns allen gemeinsam gegessen wurde. Eine Gemeinschaft, die sich über das Suppenlöffeln erklärte. Und welch ein Fest es stets aufs Neue war, dieser Gemeinschaft anzugehören. Sind es gerade die schlichtesten Gerichte, die oftmals besonders glänzen, weil sie den Menschen, mit denen sie verzehrt wurden, den Vortritt lassen?
Oder, wie wäre es mit dem Festtagsbraten unter den schöpfbaren Gerichten, wie wär es mit der Weinbeerlsuppe? Ob Sie nun Rosinen oder gar Sultaninen zur Hand haben, diese für den heutigen Geschmack gar ungewöhnliche Schleckerei wurde wirklich nur zu den ganz hohen Feiertagen aufgetragen, denn, wer hat schon ohne besonderen Grund Weinbeerl erstanden? Die bescheidenere Variante davon wäre halt die Kletznsuppe, wobei die getrockneten Birnen, die Kletzn, zuerst geweicht und dann zur herb-süßen Suppe verkocht werden. Gegenwärtig ist letztere der beiden Viktualien rarer, aber mit etwas Mut lässt sich alles finden, wenn man nur entschlossen genug danach sucht. Betrachten Sie es als eine Art persönliche Wilde Jagd, bei der Sie abseits des Weihnachtsgalopps in der an eigenwilligen Gestalten nicht armen Stadt (etwas Salz in der Manteltasche schützt dem Glauben nach vor dämonischer Heimsuchung) nach Beute Ausschau halten, die etwa ein Schatz säuerlicher Äpfeln sein könnte, ein wahres Kleinod an einem Krauthaupt oder Juwelen von delikaten Erdäpfeln.
Mit diesem Prunk wird es Ihnen beispielsweise möglich sein, ein gutes Apfelkompott zu bereiten. Täglich begleitete es die Speisen meiner Kindheit, egal, welcher Art diese sein mochten, warum also sollte das Kompott ausgerechnet beim Fest fehlen? Dazu, und jetzt gedenke ich, Sie heranzuführen an einen wirklichen Ausbund fettester Festtagsausschweifung, würden Oa&Schmoiz-Knon (= Knödel) trefflich munden. Die grundsätzliche Bedingung dafür ist der vorbehaltlose Einsatz von Schweins- oder Butterfett, um eine geschmalzene Eierspeise zu erschaffen, wert, in Knödelteig gefüllt zu werden. Jedenfalls ist dieses Gericht tatsächlich nur alle Heiligen Zeiten verträglich.
Dem stehen aber die Erdäpfelnudeln in nichts nach. Stücke von Erdäpfelteig werden mit Apfelspalten gefüllt, und, gebadet in Butterschmalz, eng nebeneinander im Ofen knusprig gebacken. Zum Glück isst man sie mit Rahm und Zucker. Die gleichfalls delikate, mit Sauerkraut gefüllte Variante führt Sie und mich zum Haupt.
Es ist mir ein Anliegen, über Kraut zu sprechen. Der vornehmste aller Begleiter feiertäglicher Speisen war für mich der warme Krautsalat. Ob seiner Noblesse bedarf er einer liebevollen Aufmerksamkeit. Übergießen sie ihn mindestens dreimal mit der warmen Marinade, wenn sie wollen, mit ausgelassenem Speck untermischt, und lassen sie ihn dazwischen ruhen. Er wird eine Blume unter den Salaten werden. Wird er gehetzt, vergisst er, gut zu schmecken. Aber mit Ihrem mühevoll erworbenen Kraut können Sie auch noch ganz anderes anstellen, wie Stöckelkraut bereiten zum Beispiel. Dieses Gericht, das tatsächlich ein Hauptgericht sein kann, wenn seine Zubereitung mit nötiger Sorgfalt begangen wird, hat auch die Statur, um als Festtagsspeise zu bestehen. Ob mit zerlassenem Speck oder gerösteten Zwiebeln bedeckt, es wird Ihr Herz erquicken.

Wie steht es nun mit dem Trunk?

Rosiges Himbeerkracherl war meine außerordentliche Feiertagsfreude. Aber was mögen Sie? Liegt Ihnen gerade Eierlikör am Herzen oder Leitungswasser? Zum Wohl!
Bedürfen Sie des Weins, so verweise ich zuerst, abseits jeglicher supermärktlicher Komparative, auf Weinhandlungen, die besondere Expertise mit bequemer Lieferung per Rad verbinden.
Gelüstet es Sie jedoch nach anderem, könnte ich Obstmost empfehlen. Dieser wird mittlerweile auch wienseits in außerordentlicher Qualität und Auswahl, unter Beratung kundiger Persönlichkeiten, angeboten.
Guter Obstmost wäre etwa dann von Nöten, wenn Sie als krönenden Abschluss Ihres Mahls den Bsoffnen Kapuziner zubereiten möchten, einen Biskuit, der sich seinen Rausch mit gesüßtem Most antrinkt. Trug meine Tante diese Kostbarkeit an Backkunst auf, bekrönt von Obers und Stolz, geleitete sie von der Küche her ein lieblicher Duft.
Käme Ihnen die vehement per Reklame forcierte häusliche Keksbackerei schon zu den Ohren heraus, schlage ich einen Kapuziner vor. Denn damit ist alles auf einen Sitz erledigt, diese Mehlspeis ist wesentlich saftiger und es bleibt Zeit für anderes wie etwa Ruhe.
Falls Sie Platz haben, erzähle ich noch schnell von den Millifleck, einer Innviertler Köstlichkeit aus dünnen Teigblättern, die, mit Butter bestrichen und mit Weinbeerl bestreut, locker gerollt in Milch gesotten werden. Meine Eltern kredenzen mir Millifleck, wenn ich nach Hause komme. Diese Millifleck sind mein persönliches Festtagsgericht, weil sie für mich nach Heimat schmecken.
Sind der Weg, der begangen und die Sorgfalt, mit der etwas bereitet wird, jene besonderen Notwendigkeiten, die im Fest das feierliche Geheimnis hervorbringen?
Lassen Sie es sich wohl sein.

Anna Schrems, geboren im Innviertel, ist Historikerin, Bühnen­arbeiterin und Köchin. Sie lebt in Wien.
Die Rezepte zu den im Text angeführten Speisen finden Sie auf: augustin.or.at/rezepte