Die Taktwechsel im Leben des Roma-Multitalents Willi Horvath
Er winkt mir auf der Straße schon von weitem zu. Und eines kann man sagen: Zu übersehen ist er nicht. Eine stämmige Erscheinung, locker gekleidet mit einem Baseball-Cap auf dem Kopf. So stellt man sich das Aussehen von Zigeunern nicht unbedingt vor, doch darüber macht er sich keine Gedanken: Ich weiß nicht, wie ein typischer Zigeuner aussehen soll. Ich bin aber auch kein hundertprozentiger Rom, sondern ein Halbblut. Meine Mutter ist eine Gadji (Nicht-Romni), mein Vater Rom. Das erklärt vielleicht den Zwiespalt in mir. Ein Halbblut zu sein ist eine Gratwanderung zwischen zwei Kulturen, zwei Welten.
In seiner Wohnung, die eher einem Palais gleicht, überrollt mich eine Welle der positiven Verwunderung. Die über 100 Quadratmeter große Altbauwohnung mit Parkettböden und Doppelflügeltüren vermittelt internationales, edles Flair und weckt den Wunsch in mir, sofort umzuziehen. Auf die Frage, wozu man alleine so viel Platz brauche, meint er, dass diese Wohnung mehr sei als nur sein Schlafplatz. Sie sei Kommunikationszentrum, Drehscheibe für aktive Roma-AktvistInnen und Treffpunkt für die Musiker. Willi ist nämlich nicht nur Roma-Aktivist, sondern auch Schlagzeuger in mehreren Bandformationen.
Damit er sich das leisten kann, jobt Willi unermüdlich: Seit einigen Jahren arbeite ich in der Sicherheitstechnik. Eine Tatsache, die ihn selbst zum Schmunzeln bringt. Es ist schon irgendwie amüsant, wenn Kunden mir erschocken von den steigenden Einbruchsraten erzählen, die angeblich durch die erhöhte Ost-Einwanderung entstehen. Da fällt das Wort Zigeuner schnell einmal im negativen Kontext. Er reagiere jedoch gelassen darauf, viele KundInnen würden zum Schluss doch peinlich berührt wirken, wenn er preisgibt, dass er selbst Zigeuner sei.
Das ist einer der vielen Gründe, warum Willi den Verein Lovara Österreich ins Leben rief: Die Organisation wird ein Instrument, um endlich offiziell für die Lovara eintreten zu können, denn wir fühlen uns durch Institutionen wie den Volksgruppenbeirat nicht vertreten. Diese Organisation unterliegt so gut wie keinen Kontrollorganen. Was dort passiert, dringt nie an die Öffentlichkeit. Vereine wie der unsere hat kaum Chancen, um diesem Rat beizutreten. Nur jene Vereine, die schon bei der Gründung aktiv waren oder seit mehreren Jahren bestehen, haben eine Chance, hineingewählt zu werden, das Niveau der Erfolge in der Lobbyarbeit für Roma ist dabei kein Kriterium, so lautet die herbe Kritik Will Horvaths an der minderheiteninternen Bürojratie
Ankläger bringen nichts, ich will ein Aufklärer sein.
Ein Feind des bestehenden Systems sei er jedoch nicht: Ankläger bringen nichts, ich will ein Aufklärer sein. Den jungen Roma fehlen die Vorbilder. Sie haben Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Sie sind gewissermaßen eine Generation der zweierlei Maße und Geschwindigkeiten, das ist keine leichte Position und sie wird durch politische Hülsenredner nicht leichter.
Auch schmerzhafte Erfahrungen aus seinem eigenen Leben bewogen ihn zur Arbeit im Verein: Mein Vater ist vor kurzem gestorben. Ein würdiges Begräbnis ist heutzutage aber leider Luxus. Ich hatte große Probleme, das Geld aufzubringen. Ich will erreichen, dass Zeitzeugen des Holocaust und deren Nachkommen Förderungen bekommen, um eine würdige Andacht und eine geregelte Grabpflege zu garantieren. Willi wird ruhig, und für einen Moment flammt ein Feuer in seinen Augen auf, das Zorn und Unverständnis ausrückt: Das man so etwas überhaupt erkämpfen muss, ist eine Schande. Anscheinend wird die Welt nur noch von Paragraphen bestimmt, nicht mehr von Menschlichkeit oder den Träumen von mutigen Individualisten. Ich will etwas verändern, ich will zeigen, dass es auch anders geht.
Im Kampf für Veränderung kann Willi aber nicht auf viel Unterstützung durch die EU oder andere Mitglieder der Volksgruppe zählen: Die EU setzt zwar seit einigen Jahren mehr Aktivitäten für Roma, doch das Misstrauen in der Community ist groß. Es gibt immer noch Ängste im Roma-Milieu, die aus den Erlebnissen im 2. Weltkrieg herrühren. Daher leben Roma heute noch oft in einer Art von ihnen selbst gewählter Abgrenzung. Ich bin jedoch guter Hoffnung, dass diese Scheu vor Institutionen mit der Zeit vergehen wird. Die neue Generation der Roma, sprich die 3. Generation nach dem Krieg, und das tolerantere Klima in Europa haben dazu beigetragen, dass das Schweigen stückweise gebrochen wird. Es ist trotzdem klar, dass es noch dauert, bis eine Chance auf ein wahres Miteinander besteht. Zudem kämpfen Roma mit existenziellen Problemen. Im Moment sehe ich keine echte Zukunftsperspektive. Es gibt viele Dinge die man anpacken müsste, aber niemand hat Zeit für Projekte und Visionen, wenn kein Geld zum Essen da ist.
Eines jener Dinge ist der Erhalt des Romantschago- des Inbegriffs für Romakultur. Ich finde es schade, dass immer mehr junge Roma ihre Muttersprache Romanes nicht mehr erlernen. In meiner Familie legte man sowohl Wert auf Bildung als auch auf den Erhalt von Traditionen.
Womit auch schon beim oft heiklen Punkt Familie angekommen wären. Für Willi ist der Begriff jedoch durchaus positiv besetzt: Ich besuchte die Mittelschule, nachher das Franz-Schubert-Konservatorium, um Schlagzeug zu studieren. Meine Familie unterstütze mich dabei. Der Zusammenhalt und die Solidarität bei uns waren groß.
Er vergisst nicht zu erwähnen, dass dies vielleicht auch an der freien Atmosphäre des Elternhauses lag: Meine Eltern gehörten zur 68er-Generation. Sie waren Hippies und damit waren ihnen Kriterien wie Einkommen, Kultur oder Herkunft egal. Mein Vater war ein bekannter Szenegitarrist, der sich durchaus mit Karl Ratzer und Harri Stojka messen konnte. Unser Zuhause war immer offen für kreative und herzliche Menschen, viele Freunde wohnten praktisch bei uns. Ich bin gerne in dieser lebendigen Umgebung aufgewachsen.
Proberaum statt schiefe Bahn
Auch die Entscheidung, Musik zu machen, fällt durch die musikalische Umgebung in der Jugend: Die Entscheidung zum Schlagzeug und damit, Musiker zu werden, war natürlich auch durch meine Familie beeinflusst. Ich habe in meiner Jugend die Musik als große Liebe empfunden, vielleicht half mir das auch, nicht auf die schiefe Bahn zu rutschen. Für mich hieß es auf jeden Fall: Proberaum statt rumhängen.
Die Musik füllte indessen nicht ausreichend das Leben aus. So verschlug es Willi in der Hochzeit der Clubbings in die Welt der Veranstalter: Mitte der neunziger Jahre beschloss ich, Veranstalter zu werden. Groovements Nightlife Design hieß das Ganze. Es war eine tolle Zeit. Der Club Zimmermann, die Feste im Technischen Museum und in den Sophiensälen hatten ihre Blütezeit. Irgendwann jedoch dreht die Welt sich weiter, die Zeit und die Menschen hatten sich verändert und ich beschloss nach 5 Jahren aufzuhören und mich seriöseren Dingen zu widmen wie zum Beispiel der Sicherheitstechnik.
In meinem Kopf formen sich die absurdesten Karikaturen: Ein Zigeuner als Profi-Schlosser das klingt doch ein wenig absurd, fast schon skandalös, oder? Was da wohl einige Politiker von sich geben würden, wenn sie das hörten? Und was sagt die Familie dazu? Gibt es da keine Probleme, ja ist dieses Business überhaupt roma-konform? Ich hatte niemals ernste Probleme deswegen, aber es wurde immer hinter meinem Rücken geredet: Der ist kein echter Rom, der wird auch nie einer. Als ich dann in der Sicherheitstechnik begann, erntete ich einerseits viel Verwunderung, andererseits aber auch Interesse und Bewunderung für meinen Unternehmergeist. Ich habe nie auf andere gehört. Es ist wichtig, auf seine innere Stimme zu hören und für sich selbst zu entscheiden, was einem wichtig ist und was nicht.
Das Interview endet, Willi muss weiter, zum Coke-Musik-Nachwuchsband-Wettbewerb in der Arena. Dort spielt er mit DeWieners, einer jungen Hip-Hop-Funk-Formation. Die sind toll, ich glaube, wir haben gute Chancen!
Anmerkung der Redaktion:
Die Band hat die Qualifikation für die nächste Runde geschafft.