Sein letztes schriftliches Zeugnis hat Martin Luther einen Tag vor seinem Tod geschrieben. Die letzten Worte dieses Zettels heißen: «Wir sind Bettler. Hoc est verum (Das ist wahr).» Dieselbe Einsichtigkeit wird jenen zwei Dutzend KünstlerInnen zugeschrieben, die sich am Widerstand der Kunst gegen das steirische Bettelverbot beteiligten. Ihr «Wir sind Bettler» klingt jedoch kämpferischer als das lutherische.Haben wirs mit Luthers resignierender Vorahnung zu tun, dass auch die Religion die Menschen nicht von ihrer Armut befreien wird, weil nämlich die Armut der Mehrheit die Voraussetzung für die Kontinuität der Herrschaftsverhältnisse ist? Die von der Grazer Kunstakademie initiierte Ausstellung mit dem Titel «Wir sind Bettler», die dieser Tage im Steirischen Landesmuseum zu Ende geht, wird an diesen Herrschaftsverhältnissen, die auf einer Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich beruhen, ebenfalls nichts ändern; im Gegenteil: Der Anlass, das Inkrafttreten des generellen steirischen Bettelverbots am 1. Mai 2011 macht ja geradezu evident, wie sicher die Triumphatoren über die armen Leute im Sattel sitzen. Obwohl es nirgends in Österreich eine auch nur annähernd so breite zivile Solidaritätsbewegung für die Rechte der BettlerInnen wie in Graz gibt, hatten die Entscheidungsträger keine Mühe, diese Rechte radikal wie kaum sonst wo in Österreich abzubauen.
Genug Gründe eigentlich, um zu resignieren. Gut, dass es KünstlerInnen gibt, die sich in dieser Situation ihre Handlungs- und Hoffnungsfähigkeit bewahren. Kurator Martin Behr hat jedenfalls jede Menge Mut machende Beispiele der künstlerischen Solidarität «mit den Schwächsten der Schwachen in dieser Stadt, die vertrieben werden sollen durch eine Gesetzgebung, die sehr fragwürdig ist» vereinigen können. Die in der Ausstellung vertretenen KünstlerInnen wollten ein Zeichen setzen, dass in dieser City of Design (aktuelle PR-Kampagne in Graz, die Red.) es auch noch etwas anderes gibt als den schönen Schein. Galerist Joachim Baur hat, unabhängig von der Ausstellung, selbst den schönen Schein mit Humor in Frage gestellt, indem er das offizielle Kampagne-Plakat, das nun in der Auslage seiner «Werkstadt Graz» in der Sporgasse klebt, etwas manipuliert hat. Statt «City of Design» ist hier «City off Design» zu lesen.
Die dichte Schau war auch eine Chronologie der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Bettlerthema in Graz seit 1989. Schon Christof Schlingensief ließ hier von einem Hochstapler aus Geld herunterregnen, um das sich die Menschenmasse stritt, in der sichtlich nicht nur die Unterschicht vertreten war das Video war in der Ausstellung zu sehen.
Die Ironie der Realität übertrifft die Ironie der Kunst
Betrat man die Ausstellung, fiel der Blick zuerst auf das lebensgroße Porträt des Bettlers Ladislav Alocai aus einer Roma-Siedlung in Ostrava, Slowakei. «Please don’t pass me by» hat der in der Oststeiermark lebende Künstler Josef Schützenhöfer dieses Bild genannt. Von ihm erfährt der Augustin pikante Aspekte dieser Arbeit und deren Weg in das Landesmuseum. Schützenhöfer hatte den Bettler in Graz kennen gelernt und ihn wiederholt in sein Atelier eingeladen. Die dabei entstandenen Skizzen wurden zur Vorlage für das Bild, das Schützenhöfer im Sommer 2010 für eine soziale Benefizversteigerung der Caritas zur Verfügung stellte. «Bei der Versteigerung des Bettlers gab es zum Schluss zwei Konkurrenten: ein bekannter Grazer Grün-Politiker und der ÖVP-Landtagsabgeordnete Drexler. Der VPler bot mehr. Mein Bettler ist nun im Privatbesitz eines Mannes, der maßgeblich für die Einführung des absoluten Bettelverbots im Land Steiermark verantwortlich war, welch eine Ironie!»
Drexler gilt als der «intellektuelle» Kopf des Schutzes der «Anständigen» vor den angeblichen Sicherheitsgefährdungen durch BettlerInnen. In der entscheidenden Landtagssitzung argumentierte er in der Rhetorik des Weltmanns: «Welche sozialpolitische Konzeption verfolgen Sie eigentlich damit, wenn Sie mit Zähnen und Klauen an diesem Betteln festhalten wollen? Ich für meinen Teil bin stolz darauf, dass wir in einem Lande leben, wo wir einen Sozial- und Wohlfahrtsstaat entwickelt haben, der es Gott sei Dank nicht notwendig macht, betteln zu müssen. Tun Sie nicht so, als wäre es ein großer Ausdruck von Menschenwürde, wenn man betteln muss » Drexlers fiese Rhetorik der Unterstellungen kennend, machte sich Schützenhöfer keine Hoffnungen, den «Bettler» für die Dauer der Ausstellung im Landesmuseum von diesem Politiker verliehen zu bekommen. Der aber ließ den Künstler die Nonchalance der ungefährdet Mächtigen spüren. Er stellte das Kunstwerk für einen Zweck zur Verfügung, der ihm höchst illegitim dünkt.
2000 Euro soll der ÖVP-Landespolitiker für den «Bettler» bezahlt haben; um das Hundertfache dieses Beitrags, um 200.000 Euro, hat ein Grazer Sammler «die Schnorre» von Franz West in seinen Besitz gebracht es ist somit das Ausstellungsobjekt, das teurer ist als alle anderen Objekte der Grazer Schau zusammengenommen. Die «Schnorre» ist ein Hut, der an einer drei Meter langen hohlen Stange befestigt ist. Franz West schnorrte damit 2007 in der Grazer Innenstadt für die notleidende Kunst.
Um eine letzte künstlerische Position zum Problem der Enthumanisierung der Politik hervorzuheben: Karl Grünling, Künstler aus Graz, war dem Kurator mit einer Miniauswahl seiner Bettelschilder zu Diensten. Schon 1997 hatte Grünling damit begonnen, den BettlerInnen ihre selbst gebastelten und beschriebenen Bettelschilder abzukaufen, auf denen in Kürze steht, warum sie um Almosen bitten. Grünlings Anliegen ist, die weltweit größte Bettelschilder-Sammlung aufzubauen.