Grazer Strassenzeitung dokumentiert Strassenmusiktun & lassen

So klingt Graz

Eine Straßenzeitung berichtet von der Straße und verkauft sich auf der Straße. Gedruckt und bunt. Was sie aber nicht kann: Den Lärm, die Klänge, die Musik der Straße festzuhalten. Da musste ein anderes Medium her. Mit dem CD-Projekt st.mk – grazerstraßenmusik dokumentiert das MEGAPHON die Grazer Straßenzeitung – erstmals den Sound von Graz.Ein sommerlicher Spaziergang durch die Grazer Innenstadt ist begleitet von Musik. Egal, ob man sie hören will oder nicht, sie ist da. Klassik, Volksmusik aus aller Menschen Länder und natürlich auch ab und zu etwas Modernes. Da gibt es zum ersten die „everybody darlings“, die Jazzensembles, die mitunter auch zu Hochzeiten geladen werden, die stillen QuerflötistInnen und GeigerInnen, die AIMS im Sommer nach Graz bringt, Classics in the City, tagsüber und auch abends, Jazz im öffentlichen Raum, die Stadt klingt, und alle sind begeistert.

Und dann gibts die, die niemand so recht wahrnimmt, die einsam an einer Ecke stehen und standhaft und oft stundenlang alte Weisen aus ihren mitunter recht mitgenommenen Instrumenten zaubern. Sie klingen vielleicht nicht immer ganz rein wahrscheinlich zum Leidwesen so mancher geplagter Geschäfts- und Büroleute -, aber sie haben ihren eigenen Charme. Darauf muß man sich manchmal bewusst einlassen, es lohnt sich. Da klingen andere Heimaten, andere Leben, unbekannte Geschichten mit.

Und jeder dieser Musiker erzählt auch bereitwillig und gerne wenn es die sprachlichen Kenntnisse erlauben aus seinem Leben. Sie begegnen uns, die wir mit unserem Aufnahmegerät auf sie zukommen, ohne Skepsis.

Votejch B. steht mit seiner Geige beim Grazer Casino. Er ist adrett gekleidet, eine Postkarte der Jungfrau Maria und der Rosenkranz schmücken seinen geöffneten Geigenkasten. Auf unsere Frage, ob wir ihn aufnehmen dürfen, reagiert er außerordentlich erfreut und entschuldigt sich sofort für seine schlechten Deutschkenntnisse: „Deutsch kenne ich leider nur aus Büchern“. Für die Aufnahme stimmt er seine Geige neu, plaziert sich und legt los. Quer durch sein Repertoire spielt er die „Träumerei“ von Schumann, Gougnots „Ave Maria“ und eine leicht verfremdete Version unserer Landeshymne. Für unser Herz gewissermaßen. Sein Herz und auch sein Fuß im Takt schlagen beim nun folgenden ungarischen Roma-Volkslied.

Vojtech stammt aus einem kleinen Ort bei Kosice. Er war über 25 Jahre als Krankenpfleger in der chirugischen Abteilung eines kleinen Spitals tätig. Gesundheitliche Probleme und zwei Operationen zwangen ihn dazu, mit 50 Jahren in Frühpension zu gehen. Seit einem Jahr versucht er, sich mit seiner Geige ein bißchen zu seiner geringen Pension zu verdienen. Er und seine Frau haben zwei Töchter. Leicht fällt es ihm nicht, sich tagtäglich für bestenfalls 200,- auf die Straße zu stellen. Und dabei gehts ihm vergleichsweise noch gut. Die meisten seiner Kollegen haben bis zu acht Kinder zu versorgen, und nur geringste soziale Unterstützungen durch den Staat.

Stefan D. ist 70 Jahre alt. Bei seinen Fahrten durch Österreich und Deutschland wird er von seinem Sohn begleitet. Stefan spielt auf dem Zymbalo, eine Art Hackbrett, seine lyrischen Melodien. Diesfalls eine recht freie Variation von „La Paloma“. „Budapest“ steht in wackeligen Buchstaben auf seinem Instrument, da hat er für lange Zeit gearbeitet. Nun ist er gezwungen, seine Unterhalt auf musikalische Weise zu verdienen, nicht nur für sich, sondern auch für seine zahlreichen Kinder und Enkel.

Ein beschwingtes Medley aus verschiedensten Rhythmen spielen uns Atila H. und Zoltan H. vor dem Grazer Rathaus. Sie wurden uns bereits von ihren Kollegen empfohlen. „Tango“ und „Swing“ nennen sie selbst ihre auf dem Akkordeon und der Gitarre dargebrachten Melodien. Auch sie stammen aus dem Kreis um Rimavska Sobota und finden seit Jahren keine Arbeit. Sie haben seit einem Auftritt bei einem Fest der Caritas bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad in Graz. Zu Hause, beteuert Zoltan, hätten sie keine Zeit zum Musizieren, „nur viel Arbeit“.

„Demokratie Scheiße“, erläutert der Klarinettist Eugen V. mit klaren Worten seine Einstellung zur politischen Situation in der Slowakei. Über 20 Jahre war er als LKW-Fahrer unterwegs. Die Konsequenzen, die der Zerfall des kommunstischen Systems mit sich führte, bekam er als Roma bald zu spüren. Er verlor kurzerhand seinen Arbeitsplatz und tourt seitdem durch Österreich und Deutschland um seine große Familie ernähren zu können.

Die meisten der in Graz musizierenden Roma stammen aus dem östlichsten Winkel der Slowakei. Sie gehören zur größten ethnischen Minderheit, ihre Zahl beträgt Schätzungen zufolge an die 500.000. Ihre gesellschaftliche Akzeptanz ist außerordentlich gering, ihre Lebensbedingungen elend. Zu kommunistischen Zeiten wurden sie noch in den Arbeitsmarkt integriert und zu wenig qualifizierten Arbeiten herangezogen, eine gesellschaftliche Integration hat aber auch damals nicht stattgefunden. Die politischen Änderungen in den ehemaligen kommunistischen Ländern hatten vor allem für die Roma verheerende Folgen. Aufgrund ihres meist sehr schlechten Bildungsgrades und der offenen Antipathie der Slowaken waren sie die ersten, die die Folgen der Marktwirtschaft zu spüren bekamen. „Zwei Arbeiter, einer zuviel, Roma weg“, erläutert ein im Vinzinest lebender Musikant die Situation. Im Kreis um Rimavska Sobota, der Gegend aus der die meisten Roma stammen, die nach Graz kommen, beträgt die Arbeitslosenrate unter den Roma über 70%. In anderen Gegenden der Slowakei erreicht sie mitunter fast 100%.

Um ihre meist sehr großen Familien zu ernähren, sind die Roma gezwungen, sich auf Reisen durch das westliche Ausland das nötige Geld zum Überleben zu erbetteln. Manche jedoch greifen lieber zu ihrer Geige, und üben somit einen der wenigen noch bestehenden traditionellen Berufe der Roma aus. Weniger aus absoluter Überzeugung als aus ihrer Not.


St.mk – grazerstraßenmusik sind keine Studioaufnahmen der herkömmlichen Art. Gespielt wurde live. Auf der Straße. Mit allen Hintergrundgeräuschen und speziellen Effekten. Die Musiker wurden an ihren gewohnten Spielplätzen aufgenommen. So authentisch wie immer. „strietsaunds“ ist damit die planmäßige Dokumentation eines Teils Grazer Stadtkultur. Aufgenommen vom Grazer Musiker Wernfried Lackner. Von ihm und anderen Musikern finden sie auf der selben CD außerdem elektronische Remixes einiger Roma-Weisen.

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