Grenz-WerteDichter Innenteil

Chilip in Druk Yul (10)

Sechs Stunden Busfahrt und einige Klimazonen weiter ’gen Tropen erreicht man von Thimphu die Grenzstadt Phuentsholing. Das Stadtbild ist unverkennbar bhutanisch. Die weiten Straßen laden zum Flanieren ein, der zentrale Tempel mit seinem angrenzenden Park ist eine Oase der Ruhe, dabei drehen sich die Gebetsmühlen unentwegt zu den leisen Mantras der Passant_innen.

Foto: © Namgay Tshering

 

Aus den zahlreichen kleinen Cafés und Restaurants duftet es. Die warme Brise und die geradezu unwirklich strahlenden Blüten und die Palmen bringen dabei ein völlig anderes Lebensgefühl mit sich als die Hauptstadt. Auch scheinen sich mehr kleine Läden für Reparaturen (Uhren, Schmuck, Elektrowaren…) zu finden. Vielleicht liegt das an meinem suchenden Auge – so oder so freue ich mich, dass meine Uhr nicht mehr hinterherhinkt und sich endlich jemand findet, der meine alten Filme entwickeln kann. Vielleicht liegt es auch an der unmittelbaren Nähe zu Indien, wo die Uhren anders laufen, schneller und langsamer zugleich.

Kaum bemerkbar überquert man zu Fuß die Grenze vom sauberen Phuentsholing durch einen kleinen Zaun zu den Reizüberflutungen Jaigaons: Saris strahlen in grellen Farben, der Duft von Kokosnüssen und Bananen übertüncht kaum den der langsam verrottenden Müllberge, Straßenlärm durchschneidet das leise Flehen der bettelnden Kinder und Greise. Selbst die Luft scheint wärmer zwischen all den Menschen. Vermischung scheint bei aller Getrenntheit der Städte vorzuherrschen: Kiras und Ghos werden auf beiden Stein feilgeboten, Bhutaner_innen und Inder_innen bewegen sich auf beiden Seiten ebenso frei wie Ngultrum und Rupien Hände wechseln. Von leisen, selten direkt angesprochenen Rivalitäten merkt man hier nicht viel. Diplomatisch verschleierte Zankereien scheinen nicht Teil der gelebten Realität und Vorurteile selbstverständlichem Miteinander zu weichen.

Ich fühle mich auf beiden Seiten wohl. Beim Schlängeln durch die geschäftigen Straßen Jaigaons, wo schier alles als Ware oder Dienstleistung feilgeboten wird, kann ich einen kurzen Kommentar meiner Freundin nicht vergessen. Dignity of Labour – Arbeitswürde. An ihr fehle es in Bhutan, so ihr Urteil. Ich frage mich, ob die eklatante und viel sichtbarere Armut in Indien dazu führt, dass jede Tätigkeit, die den Selbsterhalt erlaubt, wohlwollender und stolzer bedacht wird. Und warum diese enge Verbindung von Arbeit und Würde und oft Identität? Fehlt es tatsächlich an Arbeitswürde, oder wie wäre es mit einem Mehr an Menschenwürde – und einem (Wieder-)Erkennen von Arbeit als Beitrag zu Gesellschaft und Allgemeinwohl, und als solcher in ganz anderen Ausprägungen als heute üblicherweise wahrgenommen wertvoll und – ja notwendigerweise – würdevoll. Doch diese Gedanken führen an ganz andere Grenzen als diese zwischen Indien und Bhutan.

Marisa Kröpfl schreibt aus Druk Yul (Königreich Bhutan) von ihren Eindrücken als Chilip, wie Ausländer_innen im Land des Donnerdrachen genannt werden.

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