Großer Kampfgeist, langer Atemtun & lassen

Aufstand der Alleinerziehenden. Eine selbstorganisierte Gruppe kämpft für bessere Bedingungen für Ein-Eltern-Familien, ist genaue Beobachterin der Regierung und plant, noch lauter zu werden. Von Julia Grillmayr

Foto: https://www.facebook.com/Alleinerziehendenaufstand/

Kurz vor der Angelobung der türkis-blauen Regierung, Ende des Jahres 2017, übergab der «Aufstand der Alleinerziehenden» der Volkspartei einen Offenen Brief – der AUGUSTIN berichtete. Das ­Schreiben machte auf die schwierige Situation von Ein-Eltern-Familien aufmerksam; es führte an, dass fast die Hälfte dieser Familien in Österreich von Armut bedroht ist und dass die staatlichen Hilfestellungen nicht ausreichen. Der «Aufstand» ist eine selbstorganisierte Gruppe, die vor eineinhalb Jahren in den Reihen der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende (ÖPA) entstand, wuchs und sich unabhängig erklärte. In dem Brief formulierte sie zwei zentrale Forderungen an die Politik: eine Unterhaltssicherung und eine Kinderkostenstudie.

Obwohl dies nach österreichischem Recht Pflicht ist, kommt es nicht selten vor, dass der getrennt lebende Elternteil keinen, zu wenig oder nur unregelmäßig Unterhalt für sein Kind bezahlt. In diesem Fall springt der Staat mit einem Unterhaltsvorschuss ein, allerdings nur, wenn er die Alimente zurückfordern kann. Gelten diese als uneinbringlich, etwa weil die Person, die zahlen sollte, nicht verfügbar ist, dann kann auch dieser Vorschuss verweigert werden, und das Kind erhält keinerlei Unterhalt. Eine Unterhaltssicherung würde bedeuten, dass der Staat diese Unterstützung für jedes Kind garantiert. Eine Kinderkostenstudie wiederum soll erheben, wie viele finanzielle Mittel ein Kind im Monat braucht – die derzeit gültige Berechnung dieses Regelbedarfs stammt aus den 1960er-Jahren.

Verstärkte Armutsgefährdung.

Wie sich zeigen sollte, braucht der «Aufstand» aber nicht nur Kampfgeist, sondern auch einen langen Atem. «Zur Übergabe des Offenen Briefes schickte die ÖVP eine Person, die nichts entscheiden konnte», erzählt Barbara Stefan, die im «Aufstand der Alleinerziehenden» aktiv ist. «Immer wieder wurden neue Termine verschoben und wir wurden vertröstet.» Schließlich gab es im Frühjahr ein zweites Treffen, bei dem die Alleinerziehenden ihre Forderungen vorlegen konnten. «Seither ist nichts passiert», sagt Stefan. Dabei war die Reform des Unterhaltsgesetzes lange geplant und stand bereits jahrelang im Regierungsprogramm der vorherigen rot-schwarzen Koalition. «Das Thema Unterhaltssicherung ist im Sand verlaufen», kritisiert Claudia vom «Aufstand». Die Situation der Ein-Eltern-Familien habe sich unter der Politik der aktuellen Regierung sogar noch verschlechtert. «Wir sind aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden.» Gesprochen werde nur vom «Familienbonus», und der komme als Steuerbonus lediglich besserverdienenden Familien zugute. «Das ist eine Riesenungerechtigkeit», sagt Claudia. «Der Familienbonus schließt die meisten Alleinerzieherinnen aus», bestätigt Barbara Stefan. Und auch die «Mindestsicherung neu» bringe lediglich für Mindestsicherung beziehende Alleinerziehende mit einem Kind eine Verbesserung, «ansonsten steigt man schlechter aus als vorher», denn für weitere Kinder erhält man gestaffelt geringere Zuschläge. «Auch der 12-Stunden-Tag trifft die Mütter besonders schlimm. Die Armutsgefährdung wurde noch verstärkt.»

Mehrfach belastet.

Der «Aufstand der Alleinerziehenden» geht daher weiter. Die Gruppe macht politische Arbeit, schreibt Forderungspapiere, organisiert Diskussionsveranstaltungen und tritt als eigener Block bei Demonstrationen auf. Sie ist aber gleichermaßen auch Solidaritätsnetzwerk. Die Alleinerziehenden tauschen sich über tägliche Herausforderungen, aber vor allem über juristische Fragen aus. «Das ist ein sehr weitläufiges Gebiet, und es gibt keine Anlaufstelle», sagt Claudia. Eine weitere Forderung des «Aufstands» sei daher eine juristisch hochwertige Auskunft spezifisch für Alleinerziehende.

Einmal im Monat organisiert der «Aufstand der Alleinerziehenden» Netzwerktreffen. «Die sind besonders für Neueinsteigerinnen wichtig», erklärt Barbara Stefan. Außerdem ist im Jänner eine Klausur geplant, wo über das weitere Vorgehen beraten wird. Ansonsten tauscht sich die Gruppe vor allem über das Internet aus. «Es ist sehr schwierig, viele Alleinerziehende an einem Ort und Termin zusammenzubringen – aufgrund der Doppel- und Dreifachbelastung ist für sie die Hürde, sich zu organisieren, noch größer als für andere.» Diesen Aspekt hebt auch Claudia hervor: «Es ist sehr einfach, eine solche Gruppe zu unterdrücken und ihre Interessen zu ignorieren.»

Vielfach stigmatisiert.

Nicht zuletzt habe man auch mit vielen Vor- und Pauschalurteilen seitens der Gesellschaft zu kämpfen, sagt Claudia. Neben den konkreten politischen Forderungen ist für den «Aufstand» daher zentral, das gesellschaftliche Bild von Ein-Eltern-Familien neu zu definieren. «Alleinerziehende leiden stark unter dem liberalen Arbeits- und Familienbegriff», sagt Barbara Stefan. Dieser verstehe nur Lohnarbeit als Arbeit und nur eine Vater-Mutter-Kind-Konstellation als Familie. «Alles was da nicht darunterfällt, wird nicht berücksichtigt, und das macht sich auch in der Politik bemerkbar.»

Etwa 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. Alleinerziehen ist damit notwendigerweise auch ein feministisches Thema. «Ein Frauenstreik wäre ganz toll», denkt Barbara Stefan den «Aufstand der Alleinerziehenden» weiter: «Zu zeigen, was alles lahmliegt, wenn Frauen einmal für einen Tag alles hinlegen. Wer leistet dann die ganze unbezahlte Arbeit?»

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