Großstadtinseln für „Könige“tun & lassen

Europas jüngste Straßenzeitung:Augustin Besuch im subkulturellen Ljubljana

So schön kann Sommer sein: In Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens, tanzen die Punks in der Metelkova mesto. KünstlerInnen und antirassistische Aktivisten besetzten eine riesige, alte Fahrradfabrik und die Verkäufer der neuen Straßenzeitung Kralji ulice verfügen über wirklich viel Auslauf, um sich zu amüsieren.Einmal verbrachten meine Studenten 24 Stunden rund um die Uhr mit den Obdachlosen, um ihr Leben richtig kennen zu lernen. Ohne Proviant oder sonst etwas mit zu nehmen. Doch eigentlich wollten wir kein längeres Projekt machen und die erste Ausgabe der Straßenzeitung sollte die letzte sein, erzählt Spela Razpotnik, die an der Universität Ljubljana Sozialpädagogik unterrichtet und mittlerweile auch zur Straßenzeitungs-Redakteurin avancierte. Spela sitzt im Lokal Jalah Jalah im Kulturgelände Metelkova Mesto, dem seit 1992 besetzten Gebiet nahe dem Bahnhof Ljubljanas, und freut sich über die unerwartete Akzeptanz ihrer Zeitung, die monatlich mit 10.000 Auflage von fünfzig KolporteurInnen verkauft wird. Um je einen Euro oder 200 slowenische Tolar.

Im Juli 2005 erschien die erste Kralji ulice (Könige der Straße) die erste Straßenzeitung Sloweniens überhaupt. Für ein an Medien und Literatur sehr reiches Land, trotz der nur zwei Millionen Einwohner, ist dieser späte Zeitpunkt erstaunlich. Das politische Magazin Mladina wurde zwar schon Ende der 80er von eigenen Verkäufern mit kleinen Ständen und Klappstühlen auf der Straße verkauft, begriff sich aber nie als Straßenzeitung. Es ist neu für Ljubljana, dass die Zahl der Leute auf der Straße ansteigt. Waren vor zehn Jahren nur fünf Leute obdachlos, so gibt es inzwischen um die 400 bis 500 Betroffene, davon 30 Prozent Frauen. Es leben zunehmend junge Drogensüchtige auf der Straße, erklärt Spela.

Ihr Kollege Bojan Dekleva, ebenfalls ein universitärer Sozialpädagoge, überlegt: Im Sozialismus wurden viele Obdachlose auf die Psychiatrie oder ins Gefängnis verfrachtet. Deswegen gab es wohl keine auf den Straßen. Auch die so genannten Behinderten kamen nicht aus den Heimen heraus. Nach den politischen Veränderungen vor 15 Jahren konnte ich zum ersten Mal einer Frau im Rollstuhl persönlich die Hand schütteln. Sie war mit einem schnellen Rollstuhl aus ihrem Heim abgehauen. Inzwischen gibt es in der Metelkova einen eigenen Klub für Menschen, die von anderen behindert werden.

Zuständig für Kreuzworträtsel und Humor

Das Konzept der Kralji ulice ist ziemlich puristisch angelegt. Ausschließlich Obdachlose veröffentlichen hier ihre Erzählungen, Lebensgeschichten oder Philosophien. Gregor B. Hann, Verkäufer der ersten Stunde und Teil des Redaktionsteams, spricht ein seltsam veraltetes Deutsch. Sein Vater war ein deutscher Kriegsverbrecher, der nach dem Krieg im Gefängnis saß. Gregor lebt seit drei Jahren auf der Straße und verbringt viel Zeit mit den Punks der Metelkova. Hier habe ich meinen Frieden, meine Ruhe und trotzdem Gesellschaft, sagt er, während ein glücklich Betrunkener in dem aus Holz selbst gebauten und auf Pfählen stehenden Lokal das Tanzbein schwingt. Die Punks haben sich an die fünf ehemaligen Militärbaracken eigene Terrassen angebaut und thronen nun hoch über den Besuchern.

Die Zeitung hat Gregors Leben verändert. Er ist für Kreuzworträtsel (krizanke), Sudokus und für den Humor zuständig. Gemeinsam mit Spela trat er in einer Fernsehshow auf. Für mich ist es nicht wichtig, woher du kommst und wer du bist, ob du an Gott glaubst oder nicht. Für mich ist es wichtig, ob ich mit dir über die politische, ökonomische Situation in der Welt reden kann, über Techno, Rock oder klassische Musik…, sagt Gregor, der momentan in der Kirche der Mormonen gratis Englisch Kurse besucht. Der gelernte Bäcker und Konditor lebte schon in den 70er Jahren mit seinem Großvater in einem Camp für arme Leute in Kraljevica. Eine Ethnologin drehte damals eine TV-Dokumentation, in der man beobachten kann, wie ein kleiner, eifriger Gregor schon damals den Anschluss an die Medienszene sucht.

Nationalmannschaft in Schubhaft

Die EinwohnerInnen der Metelkova mesto baten Gregor dringend einen Artikel zu schreiben, als im Juli eines Morgens schon ein Bulldozer bereit stand, um die selbst errichtete mala sola abzureißen. In der kleinen Schule finden Kurse und Diskussionen statt. Gerade ist eine Gruppe palästinensischer und israelischer StudentInnen zu Besuch und alle sollen gefälligst leise sein, um nicht zu stören. Nach internationalen Protesten konnte der Abriss in letzter Minute verhindert werden. Die Bundesregierung hat gewechselt und verfolgt uns bis ins Kleinste. Die Stadtregierung ist positiv eingestellt, obwohl unser Grundstück im Zentrum der Stadt sehr viel wert ist.

Kaja ist die Chefin des Klubs Galahala und organisiert vorwiegend französische Rapper-Konzerte. Nun darf sie keine Getränke mehr verkaufen: Letztes Jahr sind drei Mädchen in der Lipa-Disko in Pirnice, einem Dorf nahe Ljubljana, bei einer Art Stampede zu Tode gekommen. Das war eine furchtbare, kommerzielle Techno-Hütte, die illegal gebaut wurde. Seitdem gehen die Inspektoren bei uns ein und aus.

Das ROG in der Trubarjeva cesta 72 ist eine alte Fahrradfabrik, die jahrelang leer stand. FREE LAND ist auf die Mauer gesprüht. Der nach Eigendefinition am meisten motivierte Außen-Kooperateur der Straßenzeitung, erscheint leicht schwankend auf seinem Fahrrad. Als ich Spela und die anderen traf, habe ich mit Drogen aufgehört, behauptet er. Und von meinen zehn Bierdosen täglich komme ich auch noch runter. Schick mir ein email und ich trinke ein Bier weniger! Tomi schreibt zwei Kolumnen für jede Kralji ulice, außerdem spielt er in der Theatergruppe Bühne des Lebens. Begeistert führt er uns die Betonstiegen, die am Rand mit Metallgittern gesichert sind, hinauf. Eine riesige, lange Halle, deren Wände links und rechts aus Glas bestehen.

Die Aussicht über die Dächer Ljubljanas ist atemberaubend. In kleinen, selbst gebauten Käfigen aus Maschendraht haben sich hier schon KünstlerInnen Ateliers gesichert. Im nächsten Stockwerk ist der Gemeinschaftsraum. Das ist hier kein besetztes Haus, sondern eine vorübergehende Besetzung für die kulturelle Produktion. Strom erzeugen wir mit unserem eigenen Generator, mit dem man 32 Computer betreiben könnte. Der Mann arbeitete lange Jahre in der Fahrradfabrik als Kontrolleur, bis er mit 1300 anderen Arbeitern auf die Straße gesetzt wurde. Seitdem ist er arbeitslos und nun mit drei anderen ehemaligen Hacklern wieder zurück in seiner Fabrik. Er will eine Fahrradreparatur-Werkstatt eröffnen, es gibt auch Pläne eine Druckmaschine aufzustellen. Wir hoffen, dass wir bleiben können, bis die Gemeinde entscheidet. Das kann so zwei bis drei Jahre dauern… Der enthusiastische Tomi schleppt eine junge Künstlerin heran. Im Moment ist die Stimmung so: Ich habe dieses Fenster geputzt und du darfst nicht durch schauen, lacht die junge Ajda. Sie macht Kunst gegen die fortschreitende Privatisierung des freien ROG-Raumes. An der Wand hängt ihre Keramiktasse auf einem Holzbrett mit einem Zettel dran: Dies ist die Tasse von Person 60 vom Haus 50. Am Zaun draußen hat Ajda ein Schild befestigt: Bitte die Bäume nicht abschneiden. Person 60 vom Haus 50.

Die 7000 Quadratmeter ROG sind ein Anti-Metelkova Projekt, behauptet Darij Zadnikar, ein Philosoph von der Uni und Mitbesetzer. Wir wollen keine Privatisierung von Klubs, die Künstler, die sich hier schon Ateliers abstecken, brauchen wir nicht. Im Hof arbeiten wir an einem kleineren Haus, das als soziales Zentrum, als Integrationshaus, eingerichtet wird. Darji betreut in Postojna in der Schubhaft die gambische Fußballnationalmannschaft, die um Asyl angesucht hat. Seit acht Monaten sitzen die Fußballer in Haft, allein zwei wurden bereits an slowenische Fußballklubs verkauft. Wir fanden Ansätze von Folter, z.B. machen die Polizisten in der Nacht alle Viertelstunde das Licht an und zählen die Flüchtlinge durch. Die Behörden wollen keine Afrikaner in der Stadt haben. Die Leute rufen die Polizei an, wenn sie irgendwo einen Schwarzen sehen, erzählt Darij. Die verantwortliche Botschaft für Gambia sitzt in Wien. Darij Zadnikars Vorlesung auf der Universität nennt sich Mechanismen der sozialen Konstruktion durch die Institutionen.

Info:

www.metelkova.org

www.kraljiulice.org

www.galahala.com

Tomis email: lukijada.gts@email.si

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