Grundeigentum muss Thema werden!tun & lassen

Nicht nur das Wiener Wasser gehört allen, sondern auch - der Steinhof

Das neoliberale Dogma «privat statt Staat» feiert auch in einer Stadt Triumphe, in der die regierenden Sozialdemokraten ihren «Kampf gegen die Privatisierung» plakatieren. Vielleicht hilft’s – und das Wiener Hochquellwasser bleibt auch weiterhin öffentliches Gut. SPÖ-Plakate gegen die Verscherbelung der besten Immobilienlagen der Stadt wird man andererseits vergeblich suchen. Das riesige Areal des Otto-Wagner-Spitals auf dem Steinhof droht mittelfristig zu einem abgesperrten Ghetto der Reichen zu werden.

Ab 6. Juni ist im Bezirksmuseum Penzing, im Rahmen einer Otto-Wagner-Sonderausstellung, das Modell der weltberühmten Kirche am Steinhof zu sehen. Normalerweise steht die Kirche in der Kirche, oft aber ist sie auf Reisen, denn es herrscht ein wahres «G’riss» um sie. Bei der «Wien um 1900»-Ausstellung war sie 2008 im Leopold-Museum zu betrachten, bei der «Wahnsinn und Modernität»-Ausstellung 2009 in London im Jahr darauf wurde sie im WienMuseum am Karlsplatz und bei der «Wien 1900»-Schau in Basel ausgestellt, 2011 flog sie über den Teich, um den Wiener Jugendstil in der Neuen Galerie in New York zu repräsentieren. Dass das Bezirksmuseum in der Ottakringer Straße 91 nun auf der Liste der illustren Standorte steht, muss es in der Aufmerksamkeitsökonomie logischerweise punkten lassen.

Die Aufmerksamkeit der Kenner_innen dieses Modells richtet sich weniger auf das detailverrückte Objekt, vielmehr auf seine Entstehungsgeschichte. Es war in den 20er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts von Patienten der damals größten und modernsten Heil- und Pflegeanstalt Europas «für Nerven- und Geisteskranke», dem von Otto Wagner entworfenen Pavillon-Ensemble am Steinhof, angefertigt worden. Den Faschismus überlebte die Nachbildung der Kirche mit der goldenen Kuppel nicht unversehrt. 1997 wurde sie im «Zwölfer-Pavillon», ebenfalls von Langzeitpatienten der Psychiatrie, instandgesetzt. Die drei Männer, die dieses Kunststück zuwege brachten, werkelten daran 1500 Arbeitsstunden. Sie restaurierten das Kirchenmodell aber nicht rigide ursprungsgetreu, sondern bauten ein Läutwerk und eine Beleuchtung in ein, ersetzten die verzogenen Rahmen der Holzfenster durch Aluminiumfenster und restaurierten die Wagner’schen Jugendstilengel in feinster Detailtreue.

Träger dieser Aktivität war der vom Sozialarbeiter Robert Hutfless gegründete Verein «Projekt Museum am Steinhof», der damals im Pavillon 12, heute im Keller des Pavillon 26 beheimatet ist und in Zusammenarbeit mit der Verwaltung des Otto-Wagner-Spitals in Psychiatriepatienten, insbesondere von der Station für alkoholkranke Männer, im Sinn eines Empowerment-Konzepts die Leidenschaft für das Handwerken, die kreative Arbeit, die Restaurierung erweckt. Die Männer aus dem Pavillon 26 sind heute zu Spezialisten der Restauration geworden, die vor keinem Auftrag zurückschrecken. Kein Wiederherstellungswunsch gilt als undurchführbar. Als Wiederhersteller der vom Altersverschleiß betroffenen Detailobjekte oder der traditionellen Inneneinrichtung der Otto-Wagner-Architektur hat das Hutfless-Projekt inzwischen die Rolle des angewandten Denkmalschutzes eingenommen, ist im Bezirksmuseum Penzing zu erfahren.

Stoff genug für ein imaginäres Good-News-Magazin? Schön wär’s. Die wunderbare Lage des Pavillons 26 – wie der gesamten Anlage Otto Wagners – könnte der Kreativwerkstatt zum Verhängnis werden. Eine der größten derzeit in Wien aktiven Bürger_innenbewegungen, die «Initiative Steinhof», scheint ohnmächtig gegen die geplante Verscherbelung des denkmalgeschützten Ensembles zu sein. Wer das Geld hat, hat ein Recht auf die «besten Adressen», auf die Traumlagen, auf die schönsten Aussichten der Hauptstadt, so lautet das neoliberalistische Credo. Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) braucht das Otto-Wagner-Spital (OWS) nicht mehr und darf sich – obwohl er eigentlich keine Rechtsperson ist – den bestbietenden Investor suchen, der die Gesamtanlage am Südhang des Galitzinberges (oder Teile davon) verwerten will. Die Anlage ist städtisches Eigentum, aber die Stadt Wien hat dem KAV die Kompetenz übertragen, die öffentliche Liegenschaft Steinhof zu verkaufen. Ab einer bestimmten Wertgrenze muss die Verscherbelung zwar durch einen Gemeinderatsbeschluss abgesegnet werden, solange es aber einen Bürgermeister Häupl gibt, ist die Privatisierung von städtischen Hoffnungsflächen «Staatsräson» in dieser Stadt. Diese Haltung findet ihre Entsprechung in der Verscherbelung von zentrumsnahen Traumbauflächen durch die Immobilienfirma der ÖBB.

Krischanitz: Grundbesitz als entscheidendes Faktum

Bevor eine beliebige Bürger_innenbewegung zur kritischen Masse wird, die ein beliebiges Vorhaben der Hauptakteure der Stadtentwicklung (Geld, Stadtregierung und Magistrat) zu gefährden droht, kommen sogenannte partizipative Verfahren ins Spiel, die ein Mitspracherecht der Bevölkerung vorspielen oder tatsächlich in einem bestimmten Rahmen gewährleisten. Manchmal lassen sich Bürger_inneninitiativen auf solche Verfahren ein, in der Absicht, Schlimmeres zu verhindern. Im Fall des Otto-Wagner-Spitals kam es zu einem Mediationsverfahren, das aus der Sicht der Privatisierungsgegner_innen zunächst zu unverhofft akzeptablen Resultaten führte. Es wurde nämlich eine Expert_innenkommission installiert, in die auch zwei Personen von der Widerstandsseite einbezogen wurden.

Die erfreulichsten Punkte des im April 20013 veröffentlichten Expert_innenstatements: «Das Gesamtareal des OWS soll im Eigentum der öffentlichen Hand bleiben und kann mit zeitlich begrenzten Nutzungsrechten (z. B. im Baurecht) auf Basis genauer Gestaltungsrichtlinien vergeben werden. Für das Gesamtareal sollen in Abhängigkeit der Absiedlungspläne Nachnutzungsszenarien entwickelt und kontinuierlich umgesetzt werden. Im Hauptteil und im westlichen Sanatoriumsbereich dürfen in den Freiflächen und zwischen den Pavillons keine Neubauten errichtet werden (…) Für das gesamte Areal ist ein Parkpflegewerk auszuarbeiten. Die Grünstreifen zwischen Sanatoriumsbereich und Hauptareal bzw. Ostareal sind wesentliche räumliche Ordnungselemente der Gesamtanlage und dürfen daher nicht oberirdisch verbaut werden. Die Achse Pathologie-Kirche muss frei bleiben. Die Umnutzung aller Bestandsgebäude ist nur unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten möglich.»

Der Wiener Architekt und Stadtplaner Adolf Krischanitz, Promi des Expert_innengremiums, zitierte Hanno Rauterberg: «Die gute Gesellschaft ist eine, die teilt. Sie pflegt und vermehrt die Güter, die allen gehören. Und nimmt es nicht hin, dass der öffentliche Raum in die Hände Einzelner gerät, dass Schulgebäude verkauft, dass Wasserrechte privatisiert, dass Straßen an Unternehmer verpachtet werden. Mit einem Wort: Die gute Gesellschaft entzieht die öffentlichen Güter der totalen Ökonomisierung.» Das entscheidende Faktum, so Krischanitz, sei also zweifelsfrei jenes des Grundbesitzes. In der Absicht, das sich derzeit im Besitz der Stadt Wien befindliche Areal des OWS insgesamt als Denkmal zu schützen und es in seiner städtebaulichen und architektonischen Grunddisposition beizubehalten, sei der Verbleib in der öffentlichen Hand unbedingt anzustreben.

Wie man es richtig macht: Triest, Mailand

Für die Gemeinde und für den KAV bleiben dieses Statement des Fachmanns genauso wie die «Gebote» des Expert_innengremiums freilich ohne jegliche Verbindlichkeit. Die rotgrüne Stadtregierung scheint weit davon entfernt zu sein, sich an Triest ein Beispiel zu nehmen, wo eine ähnliche Anlage – sie entstand übrigens in derselben Zeit wie die Otto Wagner’sche – nach der Deinstitutionalisierung der Psychiatrie vor dem Zugriff des Immobilienkapitals geschützt wurde. Nachdem der Triestiner Psychiater Franco Basaglia eine Psychiatrie-Revolution eingeleitet hatte, indem er die geschlossene Krankenhausanlage Anfang der 70er Jahre der Öffentlichkeit zurückgab, die psychiatrische Versorgung dezentralisierte und die «Irren» aus dem strafvollzugsähnlichen Dasein entließ, stand plötzlich ein riesiges Grundstück zur Verfügung, der als attraktiver Ort für soziale, kulturelle, jedenfalls öffentliche Nachnutzungen wie geschaffen war. Die Transformation der «Irrenanstalt» in ein von allen benutzbares Zentrum der Bildung, der Kultur, der sozialen Arbeit und der praktischen Überwindung der alten Zwangspsychiatrie entsprach den Interessen des italienischen Pendants zum KAV genauso wie jenen der Bürger_innen. In den Grünanlagen der ehemaligen psychiatrischen Pavillons entstand der faszinierendste Rosengarten Italiens.

Ähnliches passierte mit der Mailänder «Irrenanstalt». Die ehemaligen Personalschlafräume wurden in eine attraktive Jugendherberge verwandelt, die ehemalige Leichenhalle ist ein Slow-Food-Restaurant. Die ehemalige Anstaltskantine wird vom progressiven Theaterkollektiv La Cucina bespielt. In den Sälen des ehemaligen Spitals finden heute Kongresse und Symposien über Gesundheitspolitik, Demokratie, Kulturpolitik oder urbane Entwicklung statt. Hätte in Triest oder Mailand ein Politiker den ernstgemeinten Vorschlag gemacht, dass die psychiatrischen Superanlagen weiterhin geschlossen bleiben sollten, bloß nicht mehr für die Fortsetzung der Zwangspsychiatrie, sondern um die Öffentlichkeit aus einer Zone der in Luxuswohnungen umgewandelten Spitalspavillons auszusperren – er wäre mit nassen Fetzen davongejagt geworden.

Text und Fotos: Robert Sommer

In der nächsten Ausgabe: Alternative Nutzungskonzepte für das Otto-Wagner-Spital.

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