Grundeinkommen für die Mietetun & lassen

Illustration: Thomas Kriebaum

Verena Löffler, 32, forscht dazu, wie ein Grundeinkommen sich auf wohnungslose Personen auswirken würde. Darüber spricht die deutsche Wissenschaftlerin – hier und bei einer Veranstaltung vom Netzwerk Grundeinkommen am 24. Oktober in Wien, bei der auch der Augustin vertreten ist.

Wie bringen Sie Grundeinkommen und Wohnungslosigkeit in Verbindung?

Verena Löffler: In meiner Forschung konzentriere ich mich konkret auf die Auswirkungen auf das Einkommen von wohnungslosen Personen durch ein Grundeinkommen, auf den Selbstrespekt und auf die Handlungsmacht. Das sind jetzt erst einmal theoretische Konstrukte, die sich aus der Gerechtigkeitstheorie ergeben. Die Studie, die ich mir in meiner Arbeit konkret anschaue, ist eine Studie vom DIW, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, im Auftrag des Vereins «Mein Grundeinkommen». Darin wird ein Grundeinkommen von 1.200 Euro für jeden Erwachsenen und 600 Euro für jedes Kind im Monat angenommen. Das Institut hat dieses Modell auf Finanzierbarkeit geprüft. Laut deren Studie ist die Finanzierbarkeit gegeben. 1.200 Euro sind deutlich höher als die derzeit in Deutschland ausgezahlte Sozialhilfe für eine Einzelperson. Es würde wohnungslose Personen in Bezug auf ihr Einkommen besserstellen. In der DIW-Studie wird auch gezeigt, dass der unterste Einkommensdezil der in Deutschland leben­den Bevölkerung eine Einkommenssteigerung von 63 Prozent verzeichnen würde. Und wohnungslose Personen gehören in Deutschland zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen.

Warum das?

Im Unterschied zum derzeit in Deutschland bestehenden Sozialsystem hätte ein bedingungsloses Grundeinkommen einen universellen Charakter. Es würde keine Bedarfs- und keine Vermögens- oder Einkommensprüfung geben. Derzeit nehmen viele Personen die ihnen zustehenden Hilfen nicht in Anspruch, weil sie durch das komplexe Bedarfsprüfungssystem nicht wissen, was ihnen zusteht. Es gibt viele Probleme mit den bürokratischen Hürden im Sozialsystem. Die würden wir mit dem Grundeinkommen reduzieren. Es gäbe auch keine Sanktionen mehr, weil man nicht zu Terminen beim Jobcenter erscheinen muss oder Ähnliches. Empirische Evidenz aus dem US-amerikanischen Denver Basic Income Project, welches ein Grundeinkommen an durch Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen ausgezahlt hat, zeigt, dass das Einkommen der wohnungslosen Personen insgesamt nach sechs Monaten durch Auszahlung eines Grundeinkommens steigt.
Allerdings muss ich auch dazu sagen, dass einige Teile des Sozialsystems dadurch auch wegfallen würden, die Einkommensteuer und der CO2-Preis sich aber erhöhen würde.

Der Aspekt der Bedingungslosigkeit dürfte für wohnungslose Personen tatsächlich sehr wesentlich sein. Allerdings scheint mir der sozialpolitische Trend in die genau entgegengesetzte Richtung zu gehen. Es werden doch immer mehr Ausschlusskriterien eingezogen. Was wäre nötig, um den bedingungslosen und universellen Charakter des Grundeinkommens wirklich zu garantieren?

Das ist eine sehr gute Frage. Was auf jeden Fall ein großes Problem in Anknüpfung an aktuelle Debatten, die wir haben, ist, ist die Frage, ob man das Grundeinkommen an die gesamte Wohnbevölkerung eines Staates oder ausschließlich an das Staatsvolk auszahlt. Viele Menschen, auch wohnungslose Personen, die aus dem europäischen Ausland kommen, sind nicht sozialhilfeberechtigt in den Staaten, in denen sie leben. Die eingangs erwähnte Studie vom DIW schlägt vor, dass diese Exklusionsmechanismen des aktuellen Systems beibehalten werden. Das würde natürlich einen Teil der wohnungslosen Bevölkerung in Deutschland betreffen. Die bekämen dann entsprechend kein Grundeinkommen. Das halte ich aus gerechtigkeitstheoretischer Perspektive für ein Riesenproblem, weil man dann wohnungslose Menschen mit und ohne Grundeinkommen hätte. Hierauf hat die Grundeinkommensforschung noch keine ausreichenden Antworten gefunden.

Sie haben vorhin Selbstrespekt erwähnt. Welche Rolle spielt der?

Das Konstrukt «Selbstrespekt» ist ein sogenanntes Grundgut, das auf John Rawls zurückgeht, einen sehr bekannten Philosophen des letzten Jahrhunderts. Auf der individuellen Ebene umfasst dieses Konstrukt den Selbstwert. Und darunter fällt die Frage, ob das Individuum eine Vorstellung hat von einem erfüllten Leben für sich, und andererseits das Selbstvertrauen, dieses Leben auch zu verwirklichen. Und auf der sozi­alen Ebene ist es so, dass Selbstrespekt damit zusammenhängt, inwiefern dieser Plan, den man für sein eigenes ­Leben hat, auch eine soziale Anerkennung erfährt. Hier gibt es verschiedene Anhaltspunkte, die zu dem Schluss führen können, dass wohnungslose Personen in Deutschland mit am wenigsten begünstigt sind in Bezug auf Selbstrespekt. Einer­seits gibt es Studien, die ­sagen, dass wohnungs­lose Personen sich allein gelassen fühlen, dass sie sich sozial abgewertet fühlen. Und wir haben Studien dazu, dass ihr Gesundheitszustand signifikant schlechter ist als bei «Nicht-Wohnungslosen». Das heißt auch, dass wer nicht gesund ist, wer krank ist, vermutlich wenig Selbstvertrauen hat, seinen eigenen Lebensplan in irgendeiner Form zu verwirklichen. Außerdem haben wir Studien, die sagen, dass wohnungslose Menschen ganz stark dem Phänomen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ausgesetzt sind. Das heißt, alleine dadurch, dass sie als wohnungslos identifiziert oder wahrgenommen werden, sind sie schon Vorurteilen und auch häufiger Gewalt ausgesetzt. Aus der Literatur lassen sich jetzt verschiedene Vermutungen anstellen, wie ein Grundeinkommen sich auf ­diese Lebenssituation, auf den Selbstrespekt auswirken würde.

Wie lauten diese Vermutungen bzw. welche Auswirkungen wären das konkret?

Ein Argument der Selbstrespekt-Theoretiker:innen ist, dass eine bedingungslose Zahlung das Stigma der Sozialhilfe verringert, weil eben alle Menschen es dann bekommen. Allerdings kann es eben sein, dass das Stigma bei wohnungslosen Personen nicht darauf fußt, dass sie Leistungsempfänger:innen sind, sondern dass sie wohnungslos sind. Das ändert sich ja nicht von heute auf morgen. Da weiß man nicht so genau, ob das Grundeinkommen wirklich das ­Stigma reduzieren würde. Es gibt allerdings Hin­weise darauf, dass ein Grundeinkommen die Zugehörigkeit zu Selbstrespekt steigernden Gemeinschaften ermöglicht, eben weil mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um den Wohnort zu wechseln, oder vielleicht Hobbys nachzugehen.

Ein weiterer Ihnen wichtiger Begriff ist jener der Handlungsmacht.

Das Konzept der Handlungsmacht kommt aus der republikanischen gerechtigkeitstheoretischen Schule. Vor diesem Hintergrund wird eine Gesellschaft als gerecht wahrgenommen, wenn eine Person frei ist von willkürlicher Beeinträchtigung, und zwar sowohl auf horizontaler als auch vertikaler Ebene. Das bedeutet sowohl in Beziehung zu den Mitmenschen als auch in Beziehung zum Staat oder zu jeglicher Obrigkeit. Und da fällt gleich wieder die erste Frage: Sind wohnungslose Personen in Bezug auf diese Handlungsmacht wirklich am schwächsten gestellt? In Deutschland ist es so, dass die Studien, die wir haben, sagen, dass 60 Prozent der wohnungslosen Personen Gewalt erleben in Bezug auf die horizontale Ebene. Ein Drittel der wohnungslosen Frauen erlebt sogar sexualisierte Gewalt. Verschiedene Autor:innen führen das auf eine sehr starke Marktorientierung in unserer Gesellschaft zurück, die dazu führt, dass man wohnungslose Personen automatisch als Last für die Gesellschaft empfindet, weil sie nicht zur Volkswirtschaft beitragen. Zudem haben wir viele Studien, die besagen, dass auf dem Wohnungsmarkt eine intersektionale Diskriminierung besteht. Das heißt, sie bezieht sich nicht nur darauf, dass Menschen wohnungslos sind, sondern gegebenenfalls auch auf ihre Sexualität oder ihre Herkunft und andere Dinge.
Auf der vertikalen Ebene ist es so, dass wir in unserem Sozialsystem automatisch ein Machtgefälle durch die Bedarfsprüfung haben. Da ist immer ein Element der Willkür mit drin. Wir haben Studien, die besagen, dass ein Drittel der wohnungslosen Menschen tatsächlich erfolglos nach Unterstützung gefragt hat. Unter anderem deshalb komme ich zu dem Schluss, dass wohnungslose Personen tatsächlich am wenigsten begünstigt sind in Bezug auf Handlungsmacht. Die Zahlung eines universellen und bedingungslosen Grundeinkommens kann helfen, dieses Ungleichgewicht von wohnungslosen Menschen gegenüber öffentlichen Institutionen zu verschieben. Auf der horizontalen Ebene könnte es zum Beispiel wohnungslosen Frauen dabei helfen, aus Abhängigkeitsstrukturen auszubrechen, in denen körperliche und auch sexualisierte Gewalt stattfindet.

Um die Handlungsmacht von wohnungslosen Menschen zu vergrößern, verfolgen viele Sozialeinrichtungen, auch das neunerhaus in Wien, das Konzept Housing First. Das ist die Idee, dass Menschen zunächst vor allem eine Wohnung brauchen, um handlungsfähig zu werden. Ist das Grundeinkommen hier anschlussfähig?

Das Grundeinkommen ist natürlich nicht speziell dafür gedacht, wohnungslosen Menschen zu helfen. Es soll eher gesamtgesellschaftlich reformieren. Aller­dings haben mir auch schon ehemals wohnungslose Menschen erzählt, wie wichtig sie die Idee von Housing First finden. In der Idealvorstellung sollte beides zusammen existieren. Wir hätten Housing First und ein Grundeinkommen, und damit würden die ­Leute dann relativ schnell wieder auf eigenen Füßen stehen. Allerdings ist das, ­glaube ich, im aktuellen sozialpolitischen ­Klima sehr unrealistisch. Dazu muss man aber sagen, dass im Moment jede Reform schwierig ist. Vor allem, wenn sie sich mit Bevölkerungsgruppen beschäftigt, die auch Stigmatisierung ausgesetzt sind. Es braucht aber auch mehr Forschung dazu, wie ein solches Zusammenspiel aussehen könnte. Da sind wir noch sehr am Anfang. Studien und Erhebungen sind hierfür sehr wichtig. In Deutschland gab es 2022 die erste quantitative Erhebung zur wohnungslosen Bevölkerung, 2024 die zweite. Innerhalb dieser Zeit ist die Zahl untergebrachter wohnungsloser Menschen drastisch von 178.000 auf 440.000 gestiegen. Den Anstieg führen die Autor:innen aber auch auf eine besser funktionierende statistische Erhebung zurück.

Es ist ja auch eine sehr heterogene ­Gruppe. Viele Aspekte greifen ineinander. Was kann hier Intersektionalität bedeuten? Braucht es neben der Gießkanne vielleicht auch sehr spezifische Maßnahmen?

Tatsächlich halte ich es für sinnvoll, eine intersektionale Theorie vom Grundeinkommen zu formulieren. Es ist natürlich die eigentliche Idee des Grundeinkommens, dass jeder Mensch gleich ist und entsprechend das gleiche bekommen sollte. Aber ich halte es für sehr sinnvoll, sich anzuschauen, wie ein Grundeinkommen auf ganz bestimmte sozioökonomische Gruppen wirkt. Während also der universelle Charakter des Grundeinkommens nicht verloren gehen darf, lohnt es durchaus, zu schauen, welche zusätzlichen sozialpolitischen Maßnahmen notwendig und wichtig sind, eben wie Housing First. 

Diskussion:
«Grundeinkommen und Wohnungs­losigkeit»
mit Verena Löffler (Universität Münster), Matthias Jordan (Augustin) u. a.
24. Oktober, 18.30 Uhr
Werkl im Goethehof
22., Schüttaustraße 1-39
(zweites Gassenlokal in der Schüttaustraße)
Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich

Ringvorlesung an der Universität Wien:
BEG – Baustein für gesellschaftliche Transformation und Politikgestaltung

www.netzwerkgrundeinkommen.blogspot.com

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