Das unvollständig verdrängte Wissen über das Loibl-KZ
«Grabe, wo du stehst!», schrieb der schwedische Historiker Sven Lindqvist in seinem «Handbuch zur Erforschung der eigenen Geschichte». Der Klagenfurter Universitätsprofessor Peter Gstettner nimmt sich diesen Aufruf zu Herzen und sucht beharrlich nach Resten des KZ-Lagers Loibl Nord. Kerstin Kellermann hat ihn getroffen.
Foto: privat
Das Innenministerium erlaubte sich einen klassischen Fehler: Es pachtete zwar das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers am Loiblpass Nord direkt an der Kärntner Südgrenze – aber nur innerhalb des ehemaligen Stacheldrahtzaunes. Die Wachtürme der Nazis, die die Zwangsarbeiter_innen aus Frankreich, Polen und Russland bedrohten, standen logischerweise außerhalb des Zaunes – ebenfalls der Weg, auf dem die SS-Wächter mit ihren Hunden gingen. So kam es nun, dass ein neuer Grundbesitzer seinen Jäger-Hochsitz direkt neben das KZ stellen konnte. Ihm gehört laut Peter Gstettner «die halbe Talseite als Privatjagd» am Loibl. Für die von Gstettner jährlich organisierte Gedenkveranstaltung des Außenlagers von Mauthausen Anfang Juni, zu der auch Franzosen, Sloweninnen, Italiener, Polinnen und diplomatische Vertreter_innen anderer Opferländer anreisen, bot der Jäger an, die «Schießscharte, die auf das KZ deutet, mit Reisig zu tarnen». Diesen September hat der Grundbesitzer den Hochsitz nun allerdings entfernt.
Ein endlos weiter Weg zum Museum
«Die Objekte in einem Museum stehen in einem Kontext von Verlust und Destruktion, sie dienen der Rückversicherung und der Melancholie», schreibt Paul Williams in seinem Buch «Memorial Museums». «Die Rückkehr der Objekte» würde uns versichern, dass «das Ereignis entschieden oder gelöst» wäre, zumindest, dass es nicht mehr länger passiert.
«Von der Idee eines Loibl-Museums sind wir weiter weg denn je», meint Gstettner, der lange nach Objekten suchte und nur Stacheldraht fand. «Das Polizeigebäude und das alte Zollgebäude der ehemaligen Grenzstation gehören der Bundesimmobiliengesellschaft. Die jetzige Grenzpolizei verfügt über keine Räume. Das eine Haus würde sich für ein kleines Museum sehr gut eignen.»
Das neue Mahnmal von Georg Planer ist vom Autobus aus sehr gut zu erkennen: 38 aus Steinen gebildete Menschen liegen am Boden, ungefähr so viele, wie Häftlinge beim Bau des Loiblpass-Tunnels umgekommen sind. «Die Bauleitung für den Loiblpass-Tunnel war übrigens in Klagenfurt, im heutigen Diözesanhaus», sagt Gstettner. Bei den Restaurierungsarbeiten erhielt Gstettner einige im Tunnel gefundene Dinge: «Die Bauarbeiter meißelten aus dem Beton einen zerquetschten Stahlhelm und Blechkübel heraus, fünf eigens gegossene Verschlusssteine der Tunnelbögen. Die sind nummeriert. Die Legende, dass Häftlinge eingemauert worden wären, hält sich hartnäckig, dabei mussten die ‹auf der Flucht Erschossenen› nach Mauthausen gemeldet werden, die namentlich genannten Schützen wurden belobigt und erhielten zwei Liter Schnaps».
Auf der Suche nach dem unterirdischen Wissen
1995 begannen die Gedenkveranstaltungen am Loiblpass Nord, zu der noch ein Autobus mit ehemaligen KZ-Insassen aus Frankreich anreiste. 1998 besuchte der Uniprofessor mit seinen Student_innen die Reste des Lagers und der SS-Gebäude. Gstettner ging in die Wälder. Gleichzeitig startete eine Riesenkampagne gegen sein Buch «Zwanghaft Deutsch» über die Schulmöglichkeiten für slowenischsprachige Kinder. Der Kärntner Heimatdienst klagte ihn wegen in seinem Buch erschienenen Zitaten zum «Ortstafelsturm», die «Kärntner Krone» brachte beinahe jeden zweiten Tag eine Glosse über den aufmüpfigen Professor.
Gstettner musste vor Gericht den «primären Wahrheitsbeweis» antreten und nachweisen, dass der «Ortstafelsturm» 1972 gegen die zweisprachigen Ortstafeln vom Kärntner Heimatdienst mitorganisiert worden war. Was bereits deswegen zum Scheitern verurteilt schien, weil die Mitgliederkartei des Kärntner Heimatdienstes nicht offengelegt wurde.
«Sind Ihre jahrzehntelangen Recherchen zum KZ am Loibl Nord nicht auch eine Art Rache gegen die Machtverhältnisse in Kärnten? Eine ‹Roche›, wie Jörg Haider und der Karikaturist Gerhard Haderer das ausgedrückt hätten?», frage ich Peter Gstettner, der am Klagenfurter Lendkanal seinen Eiskaffee trinkt. «Eine Rache für das, was Kärnten mir angetan hat?», lächelt er. «Vielleicht. Aber mich interessiert vor allem das unterirdische Wissen, das unvollständig Verdrängte in der Bevölkerung. Zum Beispiel hatten wir eine kommissionelle Begehung durch Denkmalschützer, den Kärntner Landeskonservator etc. Wir wussten nicht genau, wo sich die SS-Kommandobaracke befand. Einer schiebt mit dem Fuß im Moos herum und sagt, die war an dieser Stelle: Hier ist ein Grabungsloch. Das kommt daher, wenn Hobby-Archäologen nach Schätzen suchen, und zwar nicht bei den Baracken der KZ-Häftlinge, sondern natürlich bei der SS. Von ihrer Verwandtschaft oder von Nachbarn wussten diese Goldgräber wohl, wo die SS sich befand. Ich bin grundsätzlich gegen Spurenvernichtung, wie Täter das eben tun. Spuren sollen hergezeigt und nicht wieder mit Erde zugedeckt werden. Aus Mangel an Geldmitteln für die Gedenkstätte droht das nämlich.»
Im Prozess gegen die Kärntner «Krone» behielt Gstettner übrigens die Oberhand, der Kärntner Heimatdienst strebte einen Vergleich an – denn sonst wären seine Mitgliederlisten und die Namen von aktiven Ortstafelstürmern in die Öffentlichkeit geraten.