Gürtelplanerin Tilner und dietun & lassen

Trauerspiel am Gürtel

Kommunalpolitik und Rathausbürokratie erwarten sich von StadtplanerInnen und ArchitektInnen städtebauliche Lösungen, die der diffusen Angst „der Bürger“ vor einer zu großen Präsenz der Verlierer und Verarmten im öffentlichen Raum Rechnung tragen. Sie tun dies ganz offen und ungeniert: Weil die Parias dieser Stadt ohnehin keine Lobby haben, braucht man zynische städtebauliche Vorgaben wie „macht den Platz so, dass sich die Obdachlosen hier nicht ausbreiten können!“ nicht schamhaft zu umschreiben.Auch an Silija Tillner, jene Städtebauexpertin, die maßgeblich an der Konzeption und Umsetzung der Wiener Gürtelsanierung im Rahmen des EU-Urban-Projekts beteiligt ist, wurden entsprechende „Bürger“-Wünsche herangetragen. Anstoßerregendes Objekt: das Obdachlosen-Tageszentrum bei der U-Bahnstation Josefstädter Straße, der schmuddelige Nachbar einer neuen, schicken Lokalszene unter den Stadtbahnbögen. In einem Gespräch mit dem neuen Stadtforschungsmagazin „dérive“ (siehe Kasten) schildert Tilner, dass sie sich gegen eine – im Grunde obszöne, von der Öffentlichkeit jedoch leider nicht als solche empfundene – Praxis der „sozialen Sauberkeit“ kaum wehren konnte. Im Folgenden Auszüge aus diesem Interview.

Warum sind vor dem Tageszentrum für Obdachlose keine Sitzmöglichkeiten bzw. sind sogar die Flächen, die nur wenig weiter beim „Rhiz“ intensiv als Sitzgelegenheiten benützt werden, so gestaltet, dass es das Sitzen verunmöglicht?

Es gibt da eine lange Geschichte dazu. Vorher waren ja diese äußerst gefährlichen, spitzen „Bischofskappen“, die dazu geführt haben, dass sich die Obdachlosen in die Erde setzen mussten und dadurch schmutzig wurden. Ich fand das furchtbar unmenschlich. Mein Vorschlag war, aus der Betoneinfassung eine Sitzbank zu machen, mit einem durchgehenden Lattenrost. Das war schon genehmigt und wir waren bereits am Bauen, da hat die MA 12, die Betreiberstelle des Tageszentrums, Briefe bis an den Bürgermeister geschrieben, dass das nicht gebaut werden darf, weil sie dann Schwierigkeiten bekommen. Sie sind schon so oft durch ganz Wien getrieben worden, und es kam immer zu Beschwerden von Anrainern, worauf sie gekündigt wurden. Nun seien sie endlich an einem Ort, wo es keine Schwierigkeiten gibt, und wenn es dort eine Sitzbank gibt, dann sitzen die Obdachlosen dort und die Bürger regen sich auf, und sie werden wieder vertrieben, weswegen wir das nicht machen sollen. Obwohl alles schon bestellt war, kam es zu einem Baustopp. Die MA 12 verlangte, dass diese Spitzen wieder angebracht werden sollten. Wir haben uns geweigert, diese Spitzen, nachdem wir sie gerade weggerissen hatten, wieder hinzubauen. Dann haben sie Stacheldrähte und ähnliches verlangt. Die dicke, runde Stange, die jetzt dort ist, konnten wir gerade noch durchsetzen, auf der man zumindest sitzen kann, ohne sich weh zu tun. Das ist wirklich eine traurige Geschichte, die aber wirklich von den Betreibern des Tageszentrums ausgegangen ist. Am Gürtel werden sie jetzt so halbwegs geduldet, sodass sie jeglichge Veränderung als Gefährdung ihrer Existenz sehen, so interpretiere ich das. Die haben mir gesagt, dass sie – weil sie täglich dort arbeiten – die Situation sehr gut kennen, und das muss ich dann auch akzeptieren. Sie haben auch dort sehr viele Beschwerden, und wenn sie wegen der Sitzbänke noch mehr Beschwerden bekommen, dann fliegen sie halt dort vielleicht auch wieder raus. Ich kann diese Angst auch nachvollziehen, weil ich im Rahmen meiner Arbeit sehr oft gefragt worden bin, ob wie die Nichtsesshaften „eh raushauen“. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte ich für die Nichtsesshaften eine Laube gebaut.

Steht damit auch die Tatsache, dass am Uhlplatz keine Sitzbänke sind, im Zusammenhang?

Ja genau! Ich habe von Anfang an geplant, dort Sitzbänke zu machen, und jedes Mal, wenn ich dort bin, werde ich gefragt, warum da keine Sitzbänke sind. Ich war wegen dieser Sitzbänke inzwischen viermal bei der Bezirksvorsteherin. Da gibt es eine Partei, ich glaube ich brauche nicht sagen, welche, die befürchtet, dass die Obdachlosen vom Tageszentrum herüberkommen und sich am Uhlplatz hinsetzen. Ich habe dann gesagt, sie sollen es wenigstens versuchen, Bänke aufzustellen, es ist ja kein Aufwand, die Bänke wieder wegzustellen, falls es zu Problemen kommt. Aber ich glaube ja, dass die Obdachlosen gar nicht herüber kommen, die sind ja sehr schüchtern. Jetzt war wieder eine Abstimmung bei der Bezirksentwicklungskommission, die fünf zu fünf ausgegangen ist. Der Vorsitzende hat dann dagegen gestimmt. Insgesamt ist das ein Trauerspiel und ich wundere mich oft, dass überhaupt was passieren konnte.


Die erste Ausgabe von „dérive“, einer vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift für Stadtforschung, ist vor wenigen Wochen erschienen. Schwerpunktthema ist die Sanierung des Gürtel-Raumes.

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