«Gut erklären»vorstadt

Lokalmatador Nr. 349

Franz Blaha durfte keine Bilderbuch-Karriere

machen. Umso mehr ermutigt seine Biografie.

Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)Am ersten Montag im Monat fährt er zum Literaturmontag ins Café Stadtbahn, das heute Café Vorortelinie heißen müsste. Oder auch nicht. Die Magie der Literatur hat ihn schon in jungen Jahren angezogen. Im Bahnhof Ottakring steigt er von der U- in die S-Bahn, um vom alten Proletarier- in einen der Bürgerbezirke hinaufz gelangen. Dabei wird er nicht nur Otto Wagners Bahnhöfe und Viadukte passieren, sondern auch Stationen des eigenen Lebens.

Sein Zug nimmt immer noch Geschwindigkeit auf, da taucht sie auch schon vor seinem Auge auf: «Die Brücke meiner Kindheit. Oft stand ich dort oben, ganz alleine, um die Waggons der durchrasselnden Güterzüge mit dem Wiederaufbaumaterial zu zählen.» Während sich seine Eltern schwer taten, das im Krieg Erlebte einigermaßen zu verarbeiten.

Sein Vater, der leidenschaftliche Handwerker, kompromisslose Sozialdemokrat, der warme Decken aus dem Heereszeugamt entwendete und an jüdische Familien verteilte. Der bis zum Kriegsende als Deserteur im Alpenvorland den SS-Mordkommandos entging.

Seine Mutter, mit einem Kind im Bauch, aber ohne Notiz vom Mann. Die sich in den letzten Kriegstagen von Versteck zu Versteck zurück nach Wien durchschlagen musste.

«Ich war der vorprogrammierte Versager», sagt der Zeitzeuge unter der Brücke. Am Tag der Befreiung der Häftlinge im Konzentrationslager Mauthausen, am 5. Mai 1945, kam er hier ums Eck, im Haus Heigerleinstraße Nr. 3 zur Welt. «In einer dunklen Waschküche, beim Schein einer Kerze, mit der Hilfe einer blinden Hebamme.»

Nach der Station Hernals deutet der Mann mit den ergrauenden Schneckerln und den sanften Gesichtszügen erneut nach oben: Wo heute eintönige Hallen des lokalen Gewerbes stehen, durfte nach dem Krieg eine Ziege grasen. «Und wir Kinder spielten unbeaufsichtigt im Wild-West-Gelände aufgeschichteten Baumaterials.» Unbeschwerte Stunden waren das, im feineren Hernals, jener sozialen Knautschzone zwischen den Gemeindebaublöcken der Arbeiterschaft und den Eigenheimen der Arbeitgeber. Weniger fein hatte er es zu Hause. In der Nachkriegsnot ein Kind zu erziehen, machte viele Eltern ratlos: «Brav war ich nur, wenn ich nicht auf mich aufmerksam machte.»

Einer umsichtigen Volksschullehrerin ist zu verdanken, dass man dem Buben, der auch an einem unerkannten neurologischen Defekt litt, den Besuch einer Sonderschule ersparte. Und seine Frau ist zu nennen, die trotz einer Serie von beruflichen Misserfolgen nie von seiner Seite wich. Nicht selbstverständlich: «Meine Eltern haben sich uneingestanden geschämt für mich.»

Nach dem Vorbild seines Vaters hätte Franz Blaha Uhrmacher werden sollen. «Doch schon beim Anblick der Maschinen habe ich Blut geschwitzt», sagt er. «Greif das nicht an, mach das nicht kaputt», die Worte seiner Mutter hat er heute noch im Ohr. Nach Abbruch der Lehre musste der Verunsicherte für zwei Jahren in eine andere Hölle, die Handelsschule. Danach arbeitete er fünf Jahre im Büro einer privaten Firma, in der er den Türabstreifer für das Besitzerehepaar abgeben musste und zum Dank dafür Länge mal Breite ausgenützt wurde.

Auch in den beiden Jahren bei Steyr-Fiat und den drei Jahren bei der Eisenbahn konnte der junge Blaha nicht zeigen, was in ihm steckt. Das gelang ihm zum ersten Mal an der Volkshochschule, als er nach passablem Abschneiden im zweiten Bildungsweg Kurse über Psychologie und EDV halten durfte. Und ihm die Leute die Tür des Kursraums einrannten. «Weil ich gut erklären konnte.»

Andere hätten mit seinem Know-how das schnelle Geld verdient. Nicht so der Franz. Er besserte nächtens die Fehler von computerverängstigten VOeST-Angestellten aus, die man zuvor in teure, aber didaktisch wertlose Kurse gezwungen hatte. Doch anstatt ihre Firma um ein angemessenes Honorar zu bitten, kaufte er vom Lehrerinnen-Gehalt seiner Frau die für den Unterricht erforderliche Software.

Nächster Halt: Gersthof!

Im Gegenzug durfte der vorprogrammierte Volksbildner (von wegen vorprogrammierter Versager!) seine alte Leidenschaft wiederentdecken: das Lesen, das Schreiben und die Vermittlung der alten Kulturtechniken. Ein neuer Nachbar (der «Uhudla»-Gründer und «Augustin»-Mitbegründer Max Wachter) war der Erste, der Blahas Talent nicht nur erkannte, sondern auch aktiv förderte. Seine Schreibwerkstätten mit Häftlingen und sozial Geächteten sind bis heute vielen Menschen in guter Erinnerung.

«Endlich konnte ich auf Augenhöhe agieren», sagt der Schreibaffine beim Aussteigen. Und es ist schade, dass er das Café Stadtbahn als Zuhörer frequentiert, nicht als Autor. Er ist auch mit seinen 70 Jahren bescheiden geblieben. Daher möchten das Andere sagen: Wer einmal ein Mundartgedicht oder einen Essay von Franz Blaha gelesen oder gehört hat, wünscht sich viel mehr davon.

Und es ist absolut unwürdig, dass dieser brave Mann, der für unzählige Menschen in Notsituationen unabkömmlich war, dadurch jahrelang nicht krank werden durfte, dadurch auch keine Zeit hatte, sich um eigene Belange zu kümmern, nicht einen Cent Pension erhält, dass man ihm statt dessen monatlich 100 Euro für die Krankenversicherung abknöpft.