Lokalmatadorin
Katharina Kruppa unterstützt junge Frauen und ihre Kinder in extremen Notsituationen. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).
Wenn der Sohn der jungen Frau große Augen macht und vergnügt auflacht, geht hier in Meidling die Sonne auf. Plötzlich sind alle Ängste der Frau in weite Ferne gerückt. Und sie hat mit ihrem Erik, der vor Kurzem seinen ersten Geburtstag erlebt hat und schon mit beiden Beinen aufrecht im Leben steht, eine richtige Freude.
Solche Mutter-Gefühle sind beim Verein Grow together nicht selbstverständlich. Betont dessen Gründerin, die erfahrene Kinderärztin und Psychotherapeutin Katharina Kruppa. Sie hat mit ihrem Verein eine Bleibe gefunden, im Erdgeschoß eines Gesiba-Baus in der Längenfeldgasse.
Hier werden zwölf junge Mütter und ihre Kinder im sozialen Höchstrisikobereich betreut. «Alle Frauen haben Gewalt in ihrer Ursprungsfamilie über sich ergehen lassen müssen», weiß Kruppa. Um die Traumata der Frauen kümmern sich 15 ausgewiesene Spezialistinnen und zusätzlich gut zwei Dutzend ehrenamtlich tätige Praktikant_innen – mit großem therapeutischem Aufwand und viel Fingerspitzengefühl. «Damit es sie und ihre Kinder einmal besser haben.»
Das Angebot ist einzigartig in Wien. Es besteht seit 12. 12. 2012, aus gutem Grund, wie die Ärztin ausführt: «Ich leite die Baby-Care-Ambulanz im Preyer’schen Kinderspital. Dort können wir bei den schwer belasteten Familien oft nur die Symptome behandeln. Ich habe viele junge Mütter kennen gelernt, die von ihren eigenen Eltern und Großeltern kaum Wertschätzung erfahren haben. Ich weiß daher, was den Kindern drohen kann, wenn diese nicht geschützt werden.»
Katharina Kruppa selbst stammt aus gut behüteten Verhältnissen. Sie ist mit ihrem Bruder in einem Gemeindebau im Siebzehnten und später in einer repräsentativen Wohnung in der Inneren Stadt aufgewachsen. Ihr Vater erwarb sich republikweites Ansehen als Journalist, ihre Mutter hat nach einem Welthandelsstudium eine schöne Karriere bei der UNO und bei einer Bank gemacht.
«Für die Medizin habe ich mich nach der Matura zu interessieren begonnen», erzählt die engagierte Ärztin dann – aus gutem Grund. «Weil ich die Menschen mag, und weil ich Ungerechtigkeiten nicht ertragen kann.» Ihr Engagement für benachteiligte Frauen und deren Kinder, fügt sie schnell hinzu, ist somit auch als Selbstschutz zu verstehen.
Die Arbeit im Verein nimmt inzwischen 15 Stunden pro Woche in Anspruch. Ihr Mann, ein ausgewiesener Experte für nachhaltiges Wirtschaften, hat beim Aufbau der Organisation entscheidend mitgewirkt. Tatkräftige Unterstützung kommt auch von den gemeinsamen vier Kindern. Zusätzliche Energien schöpft die Ärztin «aus meinem tiefen Glauben».
Die Energien benötigt sie, dringend. Mittwochs, wenn Kruppa sich mit ihren Kolleginnen zur wöchentlichen Teambesprechung trifft, zeigt sich, dass in der Arbeit mit den Familien immer wieder Rückschläge zu verkraften sind. Lineare Persönlichkeitsentwicklungen gibt es in diesem Setting nicht, Rückfälle in überwunden geglaubte Verhaltensmuster sind die Regel.
Dennoch zahlt sich das Engagement aus: Dass die betreuten Mütter heute wieder lachen, ihre Kinder in den Arm nehmen und ihnen Zuneigung schenken können, dass sie sich selbst etwas zutrauen und anderen Menschen vertrauen, dass sie Berufsziele formulieren können, das sei «nicht selbstverständlich», betont die Obfrau.
Die sechs fix angestellten Familien-Betreuerinnen von Grow together pflegen mit ihren hilfebedürftigen Klientinnen einen intensiven Kontakt: Mindestens zwei Mal pro Woche besuchen sie die Familien zu Hause, ein Mal pro Woche trifft man sich verpflichtend in der Mutter-Kind-Gruppe. Darüber hinaus erhält jede Familie (auch leibliche Väter, so sich diese nicht verabschiedet haben) ein Einzelcoaching sowie Psychotherapie von externen Therapeut_innen. Drei Mal pro Woche werden die Kinder ab dem ersten Lebensjahr – ebenso verpflichtend – für vier Stunden in der Kindergruppe betreut.
Diese aufwändige Form der Unterstützung kostet Geld, nicht wenig Geld. Das weiß auch Katharina Kruppa. «Doch jeder Euro, der hier investiert wird, ist gut investiert.» Die Mütter und ihre Kinder können sich weitaus positiver entwickeln als prognostiziert. Damit erspart ihr Team der Volkswirtschaft hohe Folgekosten. Wie auch eine Begleitstudie beweist: «Die kommt zu dem Schluss, dass die Nichtbehandlung akuter familiärer Probleme im Nachhinein 22-mal so viel kostet.»
Die Persönlichkeitsentwicklung von Eriks Mutter ist ein weiterer Beleg. Sie erzählt, dass der Tag, an dem sie das Jugendamt in ein fernes Heim in Niederösterreich gebracht hat, eine Erlösung für sie war. Und dass sie es aufgrund der jahrelangen Kränkungen bis heute nur schwer schafft, ihren Haushalt einigermaßen in Ordnung zu halten. Wer dann mitbekommt, wie liebevoll sie mit ihrem Sohn umgeht und von einer gemeinsamen Zukunft spricht, kann sich ungefähr ausmalen, was «22 Mal so viel kostet» im realen Leben bedeutet.
Der Verein Grow togehter wird zu einem Drittel vom Jugendamt der Stadt, dem Familien- und dem Sozialministerium finanziert. Zu einem größeren Teil ist er auf private Stiftungen sowie private Spenden angewiesen.
Mehr Infos unter: www.growtogether.at