«Gute Arbeit» im Hambacher Waldtun & lassen

Nicht die Baumhäuser gefährden den Wald, sondern die Erweiterung des Kohleabbaus

Zynismus pur. Von den Baumhäusern im Hambacher Wald (Nordrhein-Westfalen), die von Gegner_innen des Braunkohletagebaus errichtet wurden, gehe Waldbrandgefahr aus. Sagt der NRW-Innenminister, CDU. Die Polizei ist dabei, die Protest-Unterkünfte zu zerstören, die Gewerkschaft applaudiert. Von Robert Sommer.

Foto: https://hambacherforst.org/ 

Harald Louis, Gesamtbetriebsratsvorsitzender des Energiekonzerns RWE, verkörpert einen Gewerkschaftertypus, der in Mittel- und Nordeuropa verbreitet ist. Sein Verständnis von gewerkschaftlicher Arbeit ist, Arbeitsplätze ohne Abstriche zu erhalten, und seien sie ökologisch noch so katastrophal. Wer die «Beschäftigung» fetischisiert, muss die Gegner_innen dieses Fetischs naturgemäß dämonisieren. Der Genosse Gesamtbetriebsratsvorsitzende stimmt, was die Konstruktion der Sündenböcke betrifft, mit dem Innenminister Nordrhein-Westfalens Herbert Reul überein. Letzterer hatte behauptet, die Besetzer_innen des Forstes seien «extrem gewalttätige Linksextreme aus ganz Deutschland und dem Ausland» (der AUGUSTIN wünscht den österreichischen Rebell_innen im Hambacher Wald bei dieser Gelegenheit Hals- und Beinbruch; einer von ihnen, der internationalistische Umweltaktivist Clumsy, lebt seit 2012 im Wald, er gehört zu dessen «Inventar», und sein ausgetüfteltes Baumhaus ist der Star dutzender Dokumentarfilme). Diese «selbsternannten Umweltschützer wollen nicht Bäume retten, sondern den Staat abschaffen», fügte Reul hinzu. Ihm assistierte der Spitzengewerkschafter Louis: Der «harte Kern der Waldbewohner» sei vorbereitet, mit Molotowcocktails gegen die RWE-Mitarbeiter vorzugehen. Davon hat man im «Hambi» bislang nichts gesehen, dafür gibt es nach bald zwei Wochen der Räumung ein erstes Todesopfer zu beklagen. Am 19. September stürzte der Journalist Steffen Meyn von einem Baumhaus in den Tod.

Deutsche Exporte, österreichische Erfahrungen.

Umweltaktivist_innen, die den Staat abschaffen? Paradoxerweise wollen sie hier in ihrem Wald, in ihren skurrilen Baumhäusern nichts anderes, als einer innovativen staatlichen Institution ein vorzeitiges Ende zu ersparen, während der Innenminister und der Gewerkschaftsboss diese Institution durch ihre politische Praxis in Frage stellen. Es geht um die von der deutschen Regierung eingesetzte Kommission für den Kohleausstieg als Fortsetzung einer Energiewendepolitik, die mit dem Atomausstieg begonnen hatte. Mit 170 Millionen Tonnen im Jahr ist Deutschland das größte Braunkohleförderland der Welt. Bei keinem anderen Energieträger entstehen pro Kilowattstunde Strom so große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid wie bei der Braunkohle. Die Besetzungsaktion ist mehr als legitim.

Die österreichischen Teilnehmer_innen an der solidarischen Bewachung des Hambacher Waldes können der Debatte um die Position der Gewerkschaft ihre Erfahrungen beisteuern. Wenn sich der ÖGB durchgesetzt hätte, gäbe es sowohl ein Atomkraftwerk als auch die Staustufe Hainburg. Vielleicht erinnert sich wer an die letztklassige Nörgelei des Bau-Betriebsratsvorsitzenden Albert Stranzl, der in einem offenen Brief an den Grünen Klub kundtat, dass Bauarbeiter zu den wenigen Berufsgruppen gehörten, «die ihren Arbeitsplatz nicht vor der Haustüre vorfinden»; sie bräuchten also ihren privaten PKW zur Fahrt zum «oft über 1000 Kilometer» entfernten Arbeitsplatz – und hätten Anspruch auf niedrige Benzinpreise. Andernfalls stürze man sie in die Armut.

Nicht auffallen.

Eine von der Wiener Arbeiterkammer finanzierte Studie über die Positionen internationaler Gewerkschaften in der Klimapolitik von Jana Flemming und Ulrich Brand dokumentiert den mühsamen Weg der Öffnung der Gewerkschaften Europas und Nordamerikas für die Argumente der NGOs und der Ökologiebewegung. Tendenziell werde Umweltpolitik immer noch in Konkurrenz zu «klassischen» Zielen der Wirtschaftspolitik, die gleichzeitig Ziele der Gewerkschaftspolitik sind, gesehen: Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung. Unter den 80.000, die beim Klimagipfel in Kopenhagen für eine radikale Energiewende demonstrierten, fiel die 400-köpfige Delegation des Internationalen Gewerkschaftsbundes kaum auf. Auch bei allen folgenden Aktionen dominierten die Öko-Aktivist_innen, die ihre Kritik vor allem an das kapitalistische System adressierten, während die Gewerkschaften, so Flemming und Brand, «zum größeren Teil den technischen Lösungen der Klimakrise zugewandt waren und eine ökologische Modernisierung» des Kapitalismus forderten.

Schlechte Arbeit?

Mit dem Konzept der «guten Arbeit» schienen sich die Gewerkschaften von der Devise «Unsinniges zu fabrizieren ist besser als arbeitslos sein» verabschiedet zu haben. Ein vorschnelles Lob. Unter «schlechter Arbeit» werden Arbeitsbedingungen verstanden, die keine Entwicklungsmöglichkeiten, keine Arbeitsplatzsicherheit und ein geringes Einkommen aufweisen. So gesehen könnte auch in einer Atombombenfabrik oder in einem Braunkohlenrevier gute Arbeit vorherrschend sein. Karriere kann man auch in einem Konzern machen, der die Erde erwärmt oder vergiftet.

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