Gute Planung für alletun & lassen

Obersenatsrätin und Expertin für frauengerechtes Planen Eva Kail. Foto: Jana Madzigon

Eva Kail plant Städte nach den Bedürfnissen von Frauen. Was kann Stadtplanung zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen?

Sie sind Pionierin auf dem Gebiet der geschlechtergerechten Stadtplanung. Was ist so ungerecht an europäischen Städten?
Europäische Städte wurden von Männern für Männer entworfen. Ihre Infrastruktur, ihr Verkehrsfluss und ihre Architektur wurden auf den berufstätigen Mann ausgerichtet, der mit dem Auto oder dem öffentlichen Nahverkehr von Zuhause zur Arbeit und wieder zurückfährt und keine Versorgungsarbeit erledigt. Frauen sind in diesen Planungen lange nicht konsequent mitgedacht worden.
Welche Folgen hat das für Frauen?

Ein junges berufstätiges Paar hat in der Stadt vielleicht noch ähnliche Bedürfnisse, kommen aber Kinder dazu, verändert sich das. Denn es sind bis heute in der Mehrheit die Frauen, die neben der Erwerbsarbeit Kinder zum Kindergarten bringen, ältere Angehörige im Alltag unterstützen und einkaufen gehen. Dafür müssen sie oft zeitintensive Wege auf sich nehmen – und das kann letztlich auch zulasten ihrer Berufstätigkeit und Karrieremöglichkeiten gehen. Wer das Recht der Frauen auf Stadt stärken und zu mehr Gleichberechtigung beitragen will, muss diese Care-Perspektive mitdenken.
Sie sind Stadtplanerin in der Stadt Wien, haben dort in den vergangenen dreißig Jahren Dutzende Projekte initiiert und begleitet. Wie lässt sich die Stadt so verändern, dass sie für alle lebenswert ist?
Feministische Planerinnen plädieren seit den 70er-Jahren für eine Stadt der kurzen Wege. Das heißt: Je dichter das Angebot und je besser die Infrastruktur ist, desto mehr unterstützt das die Alltagsorganisation und spart Zeit. Der Kindergarten liegt idealerweise neben dem Supermarkt, neben dem Altenheim und neben den Arztpraxen. Diese Infrastruktur können natürlich auch Männer nutzen und davon profitieren. Wichtig ist auch das Miteinander: Parkanlagen kommen da eine besondere Bedeutung zu. Dort spielen Kinder miteinander und lernen Familien sich kennen. Parks schaffen das soziale Kapital einer Stadt. Es sind die Orte, an denen Nachbarschaft entsteht, an denen Familien sich gegenseitig unterstützen.

Wie sieht der gendergerechte Park denn aus?

Neue öffentliche Grünflächen zu realisieren oder bestehende zu erweitern, ist wegen hoher Bodenpreise für die Städte mit ihren begrenzten Budgets zur Herausforderung geworden. Daher konkurrieren in Parks viele Gruppen um Platz. Wir müssen auf dem begrenzten Raum also besonders darauf achten, die verschiedenen Interessen zu berücksichtigen, damit sich nicht nur der Stärkere durchsetzt. In Wien versuchen wir auch möglichst einen Rundweg anzubieten, der dann auf vielfältigste Weise genutzt werden kann. Hier können Kinder Radfahren lernen, Erwachsene spazieren gehen, tratschen und Hunde spazieren führen. Gerade für Migrantinnen aus südlicheren Ländern ist das Flanieren im öffentlichen Raum eine Gewohnheit aus den Herkunftsländern, die auch in Wien beibehalten wird. Die Wege sollten zudem gut ausgeleuchtet und die Beleuchtung auf die Vegetation abgestimmt sein, damit keine Angsträume entstehen.

Im Fachjargon heißt das, was Sie machen, Genderplanning. Könnte man nicht genauso von guter Stadtplanung sprechen?

Die meisten Stadtplaner und Architekten sind noch immer Männer. Wir wissen, dass die eigene Alltagserfahrung unsere Arbeit stark prägt: Man muss also aktiv aufgefordert werden, eine andere Perspektive einzunehmen – damit die Planung dazu beiträgt, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner ihren Platz in der Stadt finden. Das Genderplanning ist dafür das ideale Werkzeug. Dabei geht es nicht allein um das biologische Geschlecht, sondern darum, soziale Rollen in den Stadtstrukturen gezielt zu berücksichtigen. Wir denken dabei auch Lebensalter sowie kulturelle und soziale Hintergründe mit. Historisch kommt das Genderplanning aber aus der Frauenbewegung und Frauenpolitik, weil Frauen immer einen Großteil der unbezahlten Arbeit geleistet haben und diese Care-Perspektive jahrzehntelang in den Planungen ignoriert wurde.

Wie geht das Genderplanning auf die Bedürfnisse von armutsbetroffenen Frauen – seien es Alleinerziehende, Bettler_innen, Wohnungslose – ein?

Für armutsbetroffene Frauen ist die Qualität des öffentlichen Raums und des Freiraums von besonderer Bedeutung: Wenn ich eine kleine Wohnung habe, ohne Balkon, Loggia oder Dachterrasse, und über kein Wochenendhaus verfüge, dann bekommen die Qualitäten öffentlich zugänglicher Freiflächen in meiner unmittelbaren Wohnumgebung eine wesentlich höhere Bedeutung. Eine Tisch-Bank-Kombination unter schattenspendenden Bäumen mit Wasser und Mistkübel in der Nähe, eine Hängematte zum Schaukeln und Träumen, eine WC-Anlage, ein Platz, wo ich meine Picknickdecke frei von Hundekot ausbreiten kann: Es geht immer um eine gute Aufenthaltsqualität. Für obdachlose Frauen kommt hinzu: Wo fühle ich mich geschützt, nicht ausgesetzt, da kommt es neben der physischen Raumqualität vor allem auch auf das soziale Klima an, das Planung nur bedingt beeinflussen kann. Genügend Platz und genügend Angebot an Sitzmöglichkeiten kann aber ein friedvolles «Nebeneinander» verschiedener Gruppen unterstützen. Bei der Neugestaltung des Reumannplatzes wurden im Zuge des gendersensiblen Beteiligungsverfahrens auch gezielt Gespräche mit obdachlosen Platznutzerinnen geführt.

Wir reden von modernen europäischen Großstädten mit aufgeklärten Bürger_innen. Unterscheiden sich die Wege von Männern und Frauen wirklich so deutlich voneinander?

Ja. Wir haben in den 1990er-Jahren in einer Untersuchung herausgefunden, dass zwei Drittel aller Autofahrten von Männern und zwei Drittel aller Fußwege von Frauen zurückgelegt wurden. Weil Mobilitätsplanung lange das Auto priorisierte und für Fußwege nur den Rest vorsah, war das ungerecht. Also starteten wir ein Modellprojekt: In Mariahilf, einem sehr dicht besiedelten innerstädtischen Bezirk in Wien, verbreiterten wir Gehsteige, installierten Rampen für Kinderwagen und Fahrräder, verbesserten die Beleuchtung und sorgten für sichtbare Übergänge an den Straßen – das erhöhte auch das Sicherheitsgefühl. Heute werden in Wien die Mehrheit aller Wege im Umweltverbund zu Fuß zurückgelegt, auch von Männern. Eine bessere Infrastruktur kann auch dafür sorgen, dass Männer ihr Verhalten ändern.

Die Frauen-Werk-Stadt, ein Wohnkomplex mit 357 Einheiten, wurde in den 1990er-Jahren ausschließlich von Architektinnen geplant. Was ist das Besondere daran?

Der Lebensalltag von Frauen stand bei sämtlichen Planungen im Mittelpunkt. Es ging viel darum, sozialen Austausch zu ermöglichen. In der Frauen-Werk-Stadt sind viele unterschiedliche Freiräume entstanden: ein Platz, ein Anger, Gartenhöfe und eine Spielwiese. Die ganze Anlage ist autofrei. Kinder können also gefahrlos spielen, Nachbarinnen und Nachbarn einander kennenlernen. Gute Nachbarschaftskontakte führen oft dazu, sich auch gegenseitig im Alltag zu unterstützen. Kein Haus hat mehr als sechs Geschosse. Die Innenhöfe bleiben also gut einsehbar. In den Häusern wurden Gemeinschafts- und Nebenräume konsequent mitgedacht, es gibt genügend Stauraum für Kinderwagen, Roller und Fahrräder. Die Waschküchen befinden sich auf dem Dach mit vorgelagerten Gemeinschafts­terrassen. Die Eingänge sind großzügig und einladend gestaltet, Treppenhäuser natürlich beleuchtet.

Städte wachsen und werden verdichtet, Boden- und Wohnungspreise steigen. In Wien entsteht mit Aspern ein Stadtteil für rund 20.000 Menschen, es ist eines der größten Entwicklungsprojekte in Europa. Dringen Sie in diesem Spannungsfeld mit Ihren Ideen durch?

Die Hälfte der Fläche in Aspern ist öffentlicher Raum. Das haben sich die Stadt und die Entwicklungsgesellschaft 3420 AG einiges kosten lassen. Aber es lohnt sich: Das Viertel liegt an einem künstlichen See – es gibt viele Grünflächen für Begegnungen. Kindergärten, Schulen, Geschäfte, Arztpraxen und Apotheken sind vor Ort. Es braucht also keine zeitintensiven Wege. Natürlich gibt es auch Konflikte: Viele Wohnkomplexe haben sieben bis acht Geschosse. Fünf wären zwar aus der Gendersicht ideal, damit Eltern zu ihren Kindern von allen Geschoßen aus noch Sicht- und Rufkontakt haben können und die Fassaden nicht in der Wahrnehmung in die Anonymität kippen. Dafür sind die Wohnungen günstiger. Ich mag die symbolische Geste, dass die Straßen nach Frauen benannt sind. Ich denke, dass es etwas mit Mädchen macht, wenn sie sagen können: Ich wohne am Hannah-Arendt-Platz oder in der Janis-Joplin-Promenade.

Durch die unbezahlte Mehrarbeit, die Frauen durch ungleich verteilte, schlecht organisierte Care-Arbeit und durch unnötige Wege dafür leisten müssen, erleben sie im Karriereverlauf Nachteile. Diese «Leaky Pipeline» verursacht immense volkswirtschaftliche Schäden. Ist das ihr letztes, stärkstes Argument im kritischen Austausch?

Erschwerte weibliche Erwerbsbiografien sind ein wichtiges Argument. Ein Blick durch die «Genderbrille» hilft Städten und Kommunen, ihre meist knappen Mittel effizient und zielgruppengerecht einzusetzen. Auch von internationalen Organisationen wie der Weltbank erleben wir ein großes Interesse am Thema gendersensible Stadtentwicklung. Es setzt sich mehr und mehr die Einsicht durch, dass wir die zur Verfügung stehenden Mittel am besten, am wirtschaftlich sinnvollsten einsetzen können, wenn wir uns in der Stadtplanung alle sozialen Gruppen anschauen. So können wir mit unserer Arbeit eine Stadt erschaffen, die zum einen den Frauen mehr Raum gibt – zum anderen aber allen Menschen ein besseres Miteinander ermöglicht und die Lebensqualität in Städten erhöht.

Eva Kail ist Expertin für gender­sensible und zielgruppenorientierte Planung in der Magistratsdirektion Bauten und Technik in der Stadt Wien

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