Viele Inseln, großer U-Bootbedarf und weiterer Quatsch zu Griechenland
Gregor Gysi, neben Oskar Lafontaine und Sarah Wagenknecht Deutschlands bekanntester Parlamentarier links von Grünen, Pirat_innen und Sozialdemokrat_innen, war in Wien und beantwortete Fragen des Augustin. Thema: Die Unterordnung der Politik unter das große Geld.
Marxist_innen haben im Allgemeinen ein gutes Rüstzeug, um Krisen zu prognostizieren und zu analysieren. Weshalb können linke Parteien in Europa bei Wahlen davon nicht profitieren? Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?
Vor kurzem haben François Hollande und die Linken in Griechenland Wahlen gewonnen. Das war eine deutliche Kritik an der bisherigen Europapolitik. Aber: Es stimmt, wir Linken haben die Krise in Europa nur gut analysiert und auch Wege aufgezeigt, um aus dieser Krise herauszukommen. In Deutschland sehen wir, dass die Krise noch nicht direkt im Wohnzimmer angekommen ist, noch ist es eine eher abstrakte Größe. Und: Diese Krise wird von vielen Medien und Politiker_innen völlig falsch beschrieben; auch das hat Folgen, und letztlich ist meine Partei auch nicht gerade in ihrem Bestzustand.
In Italien und Griechenland gab es Regierungswechsel ohne demokratische Legitimationen. Was bedeutet dies für den demokratischen Prozess in Europa?
Die Art und Weise, wie Banker in Italien und Griechenland ohne Wahlen zu Ministerpräsidenten ernannt wurden, ist abenteuerlich. Die Einmischung in innere Angelegenheiten Griechenlands durch Bundeskanzlerin Merkel und andere wird wie selbstverständlich hingenommen. Die Drohungen vor Wahlen, was passieren würde, wenn Wähler so und nicht anders wählen, das war früher einmal tabu. Heute scheint es selbstverständlich zu sein, dass man da seine Wünsche äußert und der Bevölkerung auch droht. Das alles macht mir erhebliche Sorgen.
Es hat schon einmal ein Beispiel gegeben, das zeigte, was passiert, wenn ein Volk nicht genehm wählt: die Wahlen in Palästina, als die Hamas siegte und in der Folge von Europa und den USA Hilfsgelder gestrichen wurden.
Auch dieses Beispiel zeigt die Einmischung von außen in die inneren Angelegenheiten von Staaten. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Anstatt sich Gedanken zu machen, weshalb die Hamas so erfolgreich war und was man vielleicht ändern könnte, um radikale Kräfte hintanzuhalten, droht man und entzieht Hilfsgelder. Das ist falsch und undemokratisch!
Als es drei Wochen vor der neuerlichen Griechenlandwahl Umfragen gab, die sagten, die Linke falle zurück, durften wir sofort in den Zeitungen lesen, die Märkte haben erleichtert reagiert.
Die Märkte sind kapitalistisch strukturiert und reagieren leicht allergisch auf Linke. Doch es ist so: Wenn die bisherigen Regierungsparteien ND (Konservative) und PASOK gewinnen, setzt sich die Steuerhinterziehung genauso fort, wie es sie bisher in Griechenland gab. Die Eliten der Gesellschaft zahlen dort keine Steuern, deshalb muss ja zum Nachteil der Rentner_innen, der Beschäftigten gespart werden. Die Linke, insbesondere die SYRIZA, wäre die einzige Kraft, die dafür sorgte, dass endlich die Eliten, insbesondere jene 2000 reichsten Familien, denen 80 Prozent des griechischen Vermögens gehört, zur Steuerleistung herangezogen werden. Das verlangen jetzt übrigens auch Ökonomen, die keineswegs links stehen.
Wie kann man es europäischen Banken abgewöhnen, als Komplizen der Steuerhinterzieher tätig zu sein?
Zumindest nicht durch das Abkommen, das Deutschland mit der Schweiz schließen will. Denn wenn dabei herauskommt, dass Steuerhinterzieher legal weniger Steuern zahlen müssen als jene, die Steuern ehrlich bezahlt haben, dann wird die Welt umgedreht. Und ich könnte dann keinem Bäckermeister mehr erklären, weshalb er ehrlich Steuern zahlen soll. Aber es gibt einen weiteren wichtigen Punkt: Wir brauchen eine Rechtsänderung, wir müssen die Steuerpflicht an die Staatsbürgerschaft binden. Das heißt, Sie können als deutscher oder österreichischer Staatsbürger leben, wo sie wollen, Ihr Geld anlegen, wo sie wollen, und den Vermögens- und Einkommensteuerbescheid Ihres Wohnortes legen Sie einem Finanzamt jenes Landes vor, dessen Staatsbürgerschaft Sie besitzen. Zahlen Sie an Ihrem Wohnort weniger Steuer als Sie eigentlich in Deutschland müssten, bekommen Sie über den Differenzbetrag einen Steuerbescheid. Das ist geltendes Recht in den USA, und Europa sollte dieses System übernehmen.
Es darf also steuerlich nicht billiger sein, wenn man sein Geld ins Ausland bringt.
Richtig! So müssen wir das in Europa machen, wir können uns doch nicht ständig von den Reichen vorführen lassen! Diese Regelung galt übrigens in den USA auch unter Herrn Bush Junior. Der war vieles, aber sicher kein Linker. Aber dieses Gesetz hat er auch nicht geändert.
Die Situation in Griechenland hat viele unterschiedliche Aspekte. Einer davon ist die Rüstungsbeziehung zwischen Deutschland und Griechenland. Bedroht die Rüstungsindustrie im nördlichen Europa die demokratische Entwicklung in Griechenland und auch eine mögliche Prosperität? Griechenland gibt wesentlich mehr für Rüstung aus als der Durchschnitt im übrigen Europa.
Griechenland gibt 2,8 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Rüstung aus, den doppelten Prozentsatz der Ausgaben in Deutschland. Indiskutabel! Meine Bedingung für Kredite wäre unter anderem gewesen, die Rüstung sofort zu halbieren. Aber was hat Frau Merkel gemacht? Vor dem ersten Hilfspaket hat sie verlangt, dass Griechenland ein in Kiel gebautes U-Boot abnimmt und auch bezahlt. Griechische Politiker vom Staatspräsidenten abwärts sagen mir, sie werden zur Abnahme von Rüstungsgütern gezwungen, von Deutschland, aber auch von anderen Staaten wie Frankreich. Das zeigt, dass diese Staaten gar nicht gegen die Krise kämpfen, denn wollten sie das, dann würden sie erstmals auf ihre Profite aus den Rüstungsgeschäften verzichten und Griechenland den Ankauf von beispielsweise deutschen U-Booten erlassen. Mir wurde gesagt, die Griechen brauchten diese U-Boote wegen ihrer vielen Inseln. Ich halte dies für Quatsch.
Zur «Bankenrettung»: Herr Bankchef Ackermann hat Frau Bundeskanzlerin Merkel freundlicherweise einen Entwurf für ein entsprechendes Gesetz geschrieben. Wie können sich Demokraten gegen eine derartige Vorgangsweise wehren?
Der Herr Ackermann hat sogar als Präsident des Bankenverbandes ein Papier geschrieben, das dann die EU wortwörtlich übernommen und beschlossen hat. Das fand ich überhaupt das stärkste Stück! Wir haben ein Primat des Finanzmarktes über die Politik, wir haben kein Primat der Politik über den Finanzmarkt. Aber ich sage: Demokratisch gewählt wird der Deutsche Bundestag und damit indirekt die Bundeskanzlerin, nicht jedoch der Aufsichtsrat und der Vorstand der Deutschen Bank, also müsste Frau Merkel zu entscheiden haben, was Herr Ackermann macht und nicht umgekehrt. Eine verkehrte Welt, deshalb muss die Linke verstärkt um die Demokratie kämpfen, das heißt deutlich machen, dass wir wieder ein Primat der Politik über den Finanzmarkt benötigen und auch klarmachen, dass die öffentliche Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand gehört. Denn wenn diese privatisiert ist, dann hat die Politik nichts mehr zu entscheiden, dann ist es diesbezüglich völlig einerlei, wen Sie zum Bürgermeister oder zur Bürgermeisterin wählen.
In Griechenland regiert jetzt de facto die Troika. Blicken wir 20 Jahre zurück: War die Abwicklung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt Modell für eine Regierungsform fern von demokratischen Strukturen, nahe bei wirtschaftsgenehmen Technokraten?
Die Bedingungen waren anders, die DDR gab ihre Souveränität auf und die westdeutsche Wirtschaft war an keiner Konkurrenz interessiert. In Griechenland haben wir dagegen keine Schlussfolgerung aus der Geschichte gezogen. Deutschland hat zwei Weltkriege geführt und verloren. In beiden Fällen saßen die Siegermächte beisammen und haben entschieden, was aus Deutschland wird. In Versailles wurde Deutschland bis ins Mark gedemütigt. Die Siegermächte konnten nicht aufhören zu siegen. Hitler hat dies ausgenützt und, wie wir leider wissen, war er damit erfolgreich. 1945 waren die Siegermächte wesentlich klüger, der Fehler von Versailles wurde nicht wiederholt. Der Marshallplan wurde entwickelt und das Land wieder aufgebaut. Warum fällt uns bei Griechenland nur Versailles ein und nicht der Marshallplan?
EZB-Präsident Mario Draghi hat erklärt, der europäische Wohlfahrtsstaat sei Vergangenheit.
Durch das Scheitern des Staatssozialismus gibt es in der sozialen Frage keinen Wettbewerb mehr. Warum muss Deutschland sozialer sein als Portugal? Früher gab es dafür einen Grund: die DDR diesen Grund gibt es nicht mehr. Es gibt keinen sozialen Wettbewerb. Es wird versucht, nicht bis zu der Grenze zu gehen, bei der sich das System selbst gefährdet; aber da kann man sich täuschen. Der König der Hedgefonds, Soros, sagte auf die Frage nach einem schlechten Gewissen wegen der Krise: nein! Weil er ein Mensch sei und der Mensch sei gierig, die Politik hätte ihm das nie erlauben dürfen, dann hätte er das auch nicht gemacht.
Wann erleben wir einen Sozialismus, der sich vom gescheiterten Staatssozialismus wesentlich unterscheidet?
Der Staatssozialismus ist von der Menschheit abgelehnt worden. Punkt! Der kommt gar nicht mehr in Frage. Jede autoritäre diktatorische Struktur kann sich aus verschiedenen Gründen nicht bewähren. Also geht es um einen demokratischen Sozialismus. Unsere Schwäche besteht darin, dass ich kein praktisches Beispiel nennen kann.
Herr Dr. Gysi, danke für das Gespräch!
Interview: Clemens Staudinger, Fotos: Doris Kittler