«Haben Herrschaften schon gewählt?»tun & lassen

Raiffeisen spielt Kaiserreich

Entspannung liebe Leser_innen! Heute im Raiffeisenwatch keine Geschichte über Blutgeld, das in afrikanischen Minen mit Giebelkreuzbeteiligung erwirtschaftet wird, keine Frage an den Raiffeisenfunktionär Sepp Pröll, warum er einst Ernst Strasser als Delegationsleiter ins EU-Parlament schickte, keine Debatte, weshalb der Zuckerpreis der Raiffeisentochter Agrana steigt und der Zucker-Weltmarktpreis sinkt, sondern, weil Fasching ist: Der AUGUSTIN besucht die Raiffeisenenkeltochter Café Demel.Was hat der italienische Anarchist Liugi Lucheni, der im Dezember 1898 in Genf Kaiserin Elisabeths Leben per Stich mit seiner Feile beendete, 2013 mit einem Kaffeehaus am Wiener Kohlmarkt zu tun? Viel und auch nichts. Die Kellnerinnen, im Demeljargon Demelinerinnen genannt, tragen seit dem Mord an der Kaiserin Trauer, der Gast sieht schwarze Blusen und gleichfarbige Schürzen. Bis heute. Das feine Kaffeehaus mit seinen Salons in bestem Rokoko-Stil kann so nicht nur allerfeinste Konditoreiwaren feilbieten, die Trauerkleider der Demelinerinnen dienen offensichtlich auch als Einstieg in eine Kaiser-Disney-World.

«K. u. K. Hofzuckerbäcker Ch. Demels’s Söhne GmbH». Wer denkt da an die einstige Bauernselbshilfeorganisation? Die Firma mit dem Verweis auf das untergegangene Kaiserreich im Namen steht im Eigentum des Do & Co Gastronomiekonzerns, der wiederum die Raiffeisenholding NÖ-Wien als zwanzigprozentigen Eigentümer in seinen Büchern vermerkt hat. Gäste der weltbekannten Zuckerbäckerei sind zu 90 Prozent Tourist_innen, vornehmlich US-Amerikaner_innen, Russ_innen, Japaner_innen und Italiener_innen. Einer der Vorbesitzer war Udo Proksch, der in den 1980er Jahren oberhalb des Kaffeehauses seinen «Club 45» installiert hatte, eine Art sozialdemokratischen CV, und als verurteilter Mörder sein Leben in Graz-Karlau aushauchte.

Wer Freude an antiquierter Sprache hat, begebe sich zum Kohlmarkt 14 und lausche dem Personal: Den Kellnerinnen wird vom Management eingetrichtert, Gäste in der 3. Person Plural anzusprechen. «Haben Herrschaften schon gewählt?» oder «Haben noch einen Wunsch?» Wir fragen die Kellnerin, weshalb sie so außergewöhnlich spricht. «Das wurde mir gleich bei der Einstellung gelernt, das kommt noch von der Königszeit», sagt die freundliche Demelinerin, deren Namen wir zwar am Schild an der Bluse lesen konnten, ihn aber hier besser beiseitelassen. «Aber hier bei uns war doch ein Kaiser und kein König?» «Alle, die Kaiser, die Könige und die Prinzessinnen hat man so angeredet, wegen der Höflichkeit.»

An den Salons ist nichts von der Raiffeisenwelt zu bemerken. Kein rurales Ambiente, nirgendwo taucht das Giebelkreuzlogo auf. Sehr zu empfehlen ist die Doboschtorte mit hauchdünner Karamelglasur, ein Gedicht!

Die Kellnerin bringt unaufgefordert frisches Wasser, stellt die Gläser auf den Tisch und verlässt uns mit einem «Danke», das von einem Lächeln begleitet wird. Klar, da können sich Gäste wohlfühlen, und es gelingt leicht, in die heile Welt der Monarchie abzuheben. Wir bitten um die Rechnung und landen wieder in der Realität, die beinhart ist, denn wir fragen die Kellnerin (und schämen uns, weil wir Angst haben, sie fühle sich gequält, und unser Herz auf Seite der Werktätigen schlägt und nicht auf jener der Kaiser und Könige): «Sie haben das Kaiserreich erwähnt, seit wann ist Österreich eigentlich Republik?» «Das können Sie sicher auf unserer Homepage lesen, da steht die ganze Geschichte vom Demel.» «Aber die Republik hat doch nichts mit dem Demel zu tun.» «Ich frage meine Kollegin.» Die Kollegin kommt, ebenfalls sehr freundlich und apart, bietet Hilfe an: «Das mit der Republik weiß ich nicht, aber ich kann meinen Freund anrufen.» Sie zückt ihr iPhone, wechselt von der 3. Person in das gebräuchliche «Du» und frägt ihren Liebsten um die Sache mit dieser Republik. Der weiß das, sagt die Schwarzbeschürzte.

Bei der Antwort vergehen die Faschingsgefühle, die uns seit dem Betreten des Etablissements nicht mehr losgelassen hatten: «Österreich ist seit 1938 Republik und der erste Bundespräsident war Kurt Schuschnigg.»