Häftlinge trainieren für den Marathon 2001tun & lassen

Laufen macht frei -Ein Gesundheitsprojekt für Strafgefangene der Justizanstalt Favoriten.

Dienstag, 17 Uhr. Martin, Peter und Robert melden sich ab beim Wachhabenden. Der weiß bereits Bescheid: Das Lauf-Team. Für drei Stunden lacht den Dreien die eingeschränkte Freiheit. Sie sind sich ihrem Glück bewußt, wöchentlich 9 Stunden mehr Ausgang als andere zu haben. Seit 16. Juni trainieren sie dreimal pro Woche abwechselnd im Prater oder auf der Donauinsel. Einmal davon mit einem professionellen Trainer. Ihr Ziel: Der Wien-Marathon im nächsten Jahr.

In der Hauptallee wurlt es gewaltig. Diesmal sind es nicht die Bewegungshungrigen, sondern in die Tage gekommene RocknRoller, die sie bevölkern. Pop Rentnerin Tina Turner lockt zum Karriereabschluß ins Ernst Happel Stadion. Überrascht, aber nicht unfroh über den Menschenauflauf steckt sich Robert noch gschwind eine an. Peter und Martin verkneifen sich die Späh. Erst nach dem Training. Pomali wird der Bewegungsapparat in Schwung gebracht.

Peter und Robert kennen einander bereits aus der Haftanstalt Graz-Karlau. Martin ist aus Krems-Stein nach Favoriten gestoßen. Alle drei haben neben ihrem sportlichen Ziel als weitere Gemeinsamkeit langjährige Haftstrafen. 16, 18 und 10 Jahre Schmalz für schwere Gewalt- bzw. Eigentumsdelikte. Zwei Drittel davon haben sie bereits ausgesessen. Elvira Buchelle, diplomierte Sozialarbeiterin und Leiterin der Rehabilitationsabteilung ermunterte sie im Rahmen eines Gesundheitsprojekts zur Teilnahme für den Marathon. Die Rehabilitationsabteilung zur Wiedereingliederung Langstrafiger soll ihnen den Schritt in die Freiheit erleichtern. Es keimt begrenzte Hoffnung auf frühzeitige Entlassung wegen guter Führung. Martin, 43 und Robert, 38, arbeiten tagsüber in der anstaltseigenen Beamtenkantine. Peter, 33, managt die Küche des Schweizerhaus Hadersdorf. Für die Strafgefangenen ist der Marathon ein Abenteuer. Ihre Motivationen sind vielfältig: Es lockt einerseits die sportliche Herausforderung. Die eigenen Grenzen sind auszuloten. Selbstdisziplin üben. Und nicht zuletzt der Reiz, der vergitterten Welt wenn auch nur stundenweise den Rücken zu kehren. Freiheit auf Probe. Und noch etwas: „Wir laufen für uns! Bewegung befreit den Geist“, erhebt Robert die Kurzformel zum Motto. Abbau von Frust und der Ausgleich zum gleichgeschalteten Alltag. Darüber hinaus gilt es, der ihnen anvertrauten Verantwortung gerecht zu werden. „Das ganze ist ein Pilotprojekt. Setzen wir es in den Sand wird es ungleich schwerer, ähnliche Vorhaben durchzubringen. Bei den Sparmaßnahmen der neuen Regierung sind wir die ersten bei denen der Rotstift angesetzt wird.“ Außerdem, „für die Mehrheit und die meisten Medien sind wir eh nur Viecha“, ist man sich der öffentlichen Geringschätzung bewußt.

Als erstes Etappenziel steht am 17. September der Halb-Distanz Marathon in der Wachau ins Haus. Doch Ausrüstungsmäßig fehlt es noch an allen Ecken und Enden. Martins an namhafte Sportartikelhersteller verschickten Briefe mit der Bitte um Unterstützung (Laufschuhe, -hosen, Pulsmesser, Sportjacken) blieben zur Gänze unbeantwortet. „Uns zu fördern ist anscheinend kein Renommee“, resümiert ein enttäuschter Martin. Einzig der VBSA (Verein für Bewährungshilfe und soziale Arbeit) hat Leiberln gesponsert. „Von Mensch zu Mensch“ titelt der vorderseitige Schriftzug.

Vorbei am Heustadelwasser geht es Richtung Lusthaus. Entgegenlaufende „Ablenkungen“ sorgen für Stimmung: „I glaub wir rennen in die verkehrte Richtung.“ Robert, muskelmäßig breiter gestellt durch regelmäßiges Training in der Kraftkammer, ist das Zugpferd der Mannschaft. Peter, der im Vorleben bei der Admira-Jugend und bei Mödling gekickt hat, ringt nach Kreuzband-Verletzungen um das Rückerlangen seiner Form. Einzig Martin outet sich als sportliches Greenhorn. „Aber dem richt ma de Wadeln scho zurecht“, feixen die beiden anderen. Halbzeit. Das Kaiser-Schlössel wird umrundet. Noch ist genug Luft in den Lungen so daß keinem der Schmäh ausgeht. Beim wiederholten Vorbeiziehen des Prater-Stadions werden die Wuchteln schon sparsamer. Vorm Riesenrad ist dann Schluß. 50 Minuten für 9 km. Ausdehnen. Noch schnell drei große Soda-Zitron. Alkohol gibt es keinen. Der bei Rückkunft obligatorische Röhrltest verbietet den Gspritzten. Ein Blick auf die Uhr – Viertel nach Sieben – macht klar, die geborgte Zeit fordert ihr Recht. „Gemma.“ Punkt Acht heißt es zurück zu sein. Zu spät kommen gibt es nicht, zuviel steht auf dem Spiel. Peter gelüstets noch nach einem Laberl bei McDonalds während Robert in einer Telefonzelle die Sehnsucht nach der Stimme seiner Freundin stillt. Überpünktlich fällt in der Hardtmuthgasse die Tür ins Schloß. Der eingegrenzte Alltag kehrt zurück, jedenfalls bis zum nächsten Training.

teilen: