Thema Asylheim: In Mühlviertler Kleinstadt spiegelt sich die zerrissene Gesellschaft
Der legendäre Nordmühlviertler Winter ist ein Weichzeichner. Der freundliche Schnee rundet alle Ecken und Kanten ab. Eine weithin friedliche Oberfläche. Wer in der 4100-Einwohner-Kleinstadt Bad Leonfelden tiefere Einblicke bevorzugt, muss sich in den Wirtshäusern am Hauptplatz in die Stammtischrunden einschmuggeln. Dort dampfen noch die Emotionen, und der Besucher, die Besucherin erfährt: Schon lang sind in dieser Fremdenverkehrsgemeinde die Wogen nicht so hoch gegangen wie im Dezember 2012 und im Jänner 2013. Die Aufregung galt der Aussicht auf 50 Asylsuchende.
Für Daniel Hettrich-Keller, den 24-jährigen Gemeinderat von Bad Leonfelden, ist der Verursacher der winterlichen Eskalation eindeutig Bürgermeister Alfred Hartl von der Volkspartei. Der überholte die FP – die freilich in Bad Leonfelden kaum in Erscheinung tritt – von rechts, als bekannt geworden war, dass ein Leonfelder Wirt seine seit zwei Jahren leerstehende Pension «Böhmertor» der Caritas als Flüchtlingsheim angeboten hatte. Hettrich-Keller, der in Linz Informationselektronik studiert, hat für den Augustin die Artikel aus den «Oberösterreichischen Nachrichten», die den lokalen Konflikt begleiteten, chronologisch geordnet.
Ein Stück Regionaljournalismus lag da ausgebreitet vor uns, das – Überraschung! – keinerlei Anlass für die dem Augustin sonst wesentliche Mainstream-Medienschelte bietet. Die vulgär-xenophobe Haltung des Stadtoberhaupts erreichte die Öffentlichkeit dank der OÖN-Berichterstattung in einer solchen Peinlichkeit, dass eine Stadtprominenz aus der ÖVP, Wirtschaftsbund-Obmann Johann Hammerschmid, betroffen seine Funktion im Ortsparteivorstand zurücklegte. «Wie steht es mit deiner christlich-sozialen Werthaltung?», wollte der lokale Unternehmersprecher von seinem Bürgermeister und Parteifreund wissen. Weil die Antwort ausblieb, hakte die OÖN-Redaktion nach: Müssten sich Christen zum Thema «Herbergssuche» nicht anders verhalten? Hartls Replik: «Was würden Sie tun, wenn ein guter Freund sein Haus verkauft und nicht sagt, wer da hineinkommt? Als sensibler Christ frage ich: Hatte bei ihm die Wirtschaftlichkeit oder die soziale Ader die Oberhand?»
In diesem Punkt, es bleibt leider der einzige, tangierte Bürgermeister Alfred Hartl ein reales Problem. Denn es erscheint tatsächlich problematisch, wenn Hauseigentümer ihre Immobilien ausschließlich im Gewinninteresse und nicht auch aus humanitären und solidarischen Motiven für die Unterbringung von Flüchtlingen anbieten. Aber die Wahl der Partner soll in erster Linie Sorge der Caritas und ähnlicher Trägerorganisation der Flüchtlingshilfe sein. Was auch immer die Motive des Besitzers der leerstehenden Pension waren, sie rechtfertigen nicht die volle Ladung Rassismus, mit der das Stadtoberhaupt das Caritas-Projekt bekriegte.
Ungewollt zeichnete er ein Bild von einer bei der kleinsten Erschütterung einstürzenden Stadt, indem er der Bevölkerung einzureden versuchte, Bad Leonfelden sei am Ende, wenn die Caritas 50 Flüchtlinge hineinlasse. O-Töne Hartls, zitiert aus OÖN-Texten: «Es passt kein Asylheim nach Bad Leonfelden. Einerseits aufgrund der touristischen Entwicklung, andererseits auch wegen der Probleme mit der Grenzsicherheit. (…) Mir wird bange, wenn ich an die Zukunft denke, weil es ja meist religiöse Flüchtlinge sind. Wer zu uns nach Bad Leonfelden kommt, muss schon so leben, wie wir leben. (…)
Entwicklungshilfe ist wichtig, aber diese Flüchtlinge kommen zu unserem Wohlstand, den wir uns mit hartem Schweiß über Jahrzehnte erarbeitet haben. Wenn es danach geht, hätten wir alle nach 1945 flüchten müssen. (…) Innerhalb der EU gibt es genug Menschen, die Hilfe benötigen würden. (…) Wir werden alles versuchen, das Asylheim zu verhindern. (…) Wenn die Asylunterkunft tatsächlich zustande kommt, kündige ich dir (Anm: dem Besitzer der Pension) die jahrzehntelange Freundschaft.»
Die Sensation der Gemeinderatswahlen
Der Ton entsetzte viele in der Region – Bad Leonfelden erwies sich rasch als Minimundus, in der die politischen Polarisierungstendenzen, die gerade in Krisenzeiten für die Gesamtgesellschaft prägend sind, in Modellform Gestalt annahmen. Für die Katholische Aktion Oberösterreichs stellte deren Präsident Bert Brandstetter klar: «Gerade von einem Bürgermeister ist zu erwarten, dass er in heiklen Situationen als kluger Vermittler auftritt und nicht weiteres Öl ins Feuer gießt. Wie steht die ÖVP als Partei, die sich offiziell zu christlichen Grundsätzen bekennt, zu diesem Verhalten eines ihrer Bürgermeister?»
Recht viel mehr als pädagogische Rhetorik ist diese Beschwörung christlich-sozialer Prinzipien nicht, könnte aus abgeklärter Sicht eingewandt werden. Denn seit der Verschüsselung und Bartenversteinerung der Volkspartei stört der Rest des christlichen Erbes die Neoliberalisierung dieser Partei, und wer nach christlich motivierten Handlungen sucht, findet sie längst nur noch außerhalb der Partei. Zwei Schüler der Leonfelder Tourismusschule, Andreas Wöhrer und Augustin Spiegelfeld, mussten gar nicht erst an die ihnen eh ziemlich unbekannte christliche Vergangenheit der Bürgermeisterpartei anknüpfen. Nicht ein katholischer Religionslehrer, sondern die engagierte Lehrperson des Ethikunterrichts war für die beiden impulsgebend, weil in diesem Fach Freiraum für die Diskussion über die Flüchtlingsfrage gewährleistet wurde. Andreas und Augustin setzten das Instrument ihrer Generation ein: Sie gründeten im Dezember die Facebook-Gruppe «Asylheim in Bad Leonfelden – ja, gern!», die mittlerweile fast 400 Mitglieder hat. Viele Menschen aus Bad Leonfelden sind dabei.
Andreas und Augustin gehen hier nur zur Schule. Ihr Wohnort ist anderswo. Irgendwann werden sie ganz fort sein; die Bekämpfung des Rassismus in Bad Leonfelden muss dann nicht unbedingt ihr Hauptanliegen bleiben. Der Bürgermeister hat freilich e i n e n Gegenspieler am Hals, der der Kleinstadt nicht den Rücken kehren wird, denn er hat den Wähler_innenauftrag, eine andere politische Kultur in die Kleinstadt zu verpflanzen. Es ist die «Erste Leonfelder Wählerinitiative Irreparabler Sorgenkinder», kurz ELWIS genannt. Unser Gesprächspartner Daniel Hettrich-Keller ist Mitbegründer dieser grün-nahen, sich aber den oberösterreichischen Landesgrünen nicht unterordnenden unabhängigen Wahlliste.
Als 2009 gewählt wurde, galt das Ergebnis in Bad Leonfelden als die größte Sensation dieses Kommunalwahlgangs. ELWIS ließ die SPÖ und die FPÖ hinter sich und wurde auf Anhieb die zweitstärkste politische Kraft der Gemeinde. Mit fünf Gemeinderät_innen hätte sie ins Rathaus einziehen können, hatte aber nur vier Kandidaten. Zwei von ihnen hätten, wären sie zehn Tage später geboren worden, nicht das für das passive Wahlrecht gesetzlich vorgeschriebene Alter erreicht. Sie zogen als die jüngsten österreichischen Gemeinderäte in das Ortsparlament ein. «Das Wahlergebnis ist nur so zu erklären, dass schon vor der Affäre rund ums Asylheim die Unzufriedenheit mit dem Bürgermeister latent angewachsen war», meint Hettrich-Keller, der aufgrund der Mandatstärke seiner Fraktion einen Sitz in der Stadtregierung hat: als Stadtrat für Jugend und Umwelt.
In ihrer Ablehnung der Bürgermeisterhetze gegen die Fremden konnten sich Hettrich-Keller & Kollegen auf eine publizistische Unterstützung durch das führende Printmedium der Region verlassen. Ein Kommentar der OÖN zu den oben zitierten Äußerungen des Ortschefs Hartl fiel deutlich aus: Solche Bürgermeisterpositionen seien «menschlich und politisch – wie es so schön heißt – untragbar». Hartl wolle nur die «guten Ausländer», nämlich Tourist_innen, die in den vier Viersterne-Hotels des Mühlviertler Urlaubsortes schlafen und ausreichend Geld in Umlauf bringen. Doch wo könne Integration besser funktionieren als in überschaubaren Orten mit gutem sozialen Klima und Vereinen? In Städten sei das viel schwieriger. Dort seien in den vergangenen Jahrzehnten Ghettos entstanden. Die OÖN-Redakteur_innen belieferte die Leonfelder Bevölkerung mit Berichten über gut funktionierende Flüchtlings-Integrationsprojekte in anderen oberösterreichischen Gemeinden.
Man muss sich diese Redakteur_innen aber nicht als mutige Menschenrechtsanwälte vorstellen. Eigentlich schrieben sie im Einklang mit der oberösterreichischen Staatsraison, und die lautet: Gemäß der Übereinkunft mit dem Bund muss Oberösterreich 2950 Asylwerber_innen aufnehmen. Hätte Landeshauptmann Josef Pühringer lauter Bürgermeister vom Schlage Hartls, könnte er dieser Vereinbarung nicht einmal ansatzweise nachkommen.
Kein Bürgermeisterkommentar zum Anschlag
Dass ein Teil dieser 2950 Betroffenen zu guter Letzt doch in Bad Leonfelden seine neue Heimat findet, ist nicht dank Alfred Hartl, sondern trotz Alfred Hartl passiert. Eine Hausbesitzerin hatte nämlich inzwischen der Caritas ein anderes Gebäude als Flüchtlingsasyl zur Verfügung gestellt. Statt den ursprünglich geplanten 50 Asylsuchenden finden hier bloß zwölf Menschen ihren Platz. Manche, die im Dezember ihren Bürgermeister in der «Fremdenabwehr» unterstützten, sehen zwei Monate später in der reduzierten Zahl 12 keine Bedrohung des Abendlandes und der Kurstadt mehr. Dennoch wurde das Haus – kurz vor dem Einzug der Flüchtlinge – von Unbekannten heimgesucht. Sie schlugen Fensterscheiben ein und bewarfen das Gebäude mit Eiern aus nachgewiesen einheimischen Bauernhöfen.
«Spätestens nach dieser Nacht hätten wir uns einen deeskalierenden Akt von unserem Bürgermeister erwartet», sagt Daniel Hettrich-Keller. «Er hätte sagen müssen: Davon distanziere ich mich. So habe ich eine Unterstützung für mein Anliegen nicht gewollt!» Doch der Bürgermeister sagte nichts. Und er fuhr damit fort bis zu unserem Redaktionsschluss.