Halb Ding, halb KunstArtistin

Der Bildhauer Zbyneˇk Sekal suchte sein Leben lang nach Ausdrucksmitteln für seine Kunst. Als Jugendlicher im KZ Mauthausen inhaftiert, entwickelte er seine Werke als Bauten und Gerüste. Bis Jänner sind sie im Belvedere 21 zu sehen.

Text: Kerstin Kellermann

Höhlen mit Durchblicken, wunderlichen Gängen, Luftlöchern und Ritzen, eine Schale rundherum. Der Bildhauer Zbyněk Sekal (1923–1998) bezeichnete seine Kunst erst als Gerüste, dann als Schränke – später als Schreine, denn ihm gefielen die japanischen Schreine so gut. 1983 las er Bücher über die Kabbala, «die dort abgebildeten Zeichen und dann natürlich die Blicke in die schwarze dunkle Dunkelheit» faszinierten ihn, wie er in seinem Tagebuch vermerkte.

Wie ein Schilfrohr im Wind.

Als Jugendlicher wurde Zbyněk Sekal wegen der Verbreitung antinazistischer Flugblätter erst in Prag im Gefängnis und dann in verschiedenen Konzentrationslagern, zuletzt im KZ Mauthausen inhaftiert. Er musste im Steinbruch über die berühmte steile Steintreppe Felsbrocken schleppen. In Mauthausen schützten ihn die anderen Gefangenen wegen seiner Jugend und erreichten, dass er in die Schreibstube versetzt wurde, in der er in Schönschrift die Tageslisten der gestorbenen Opfer des angeblichen Nazi-«Erholungslagers» aufzeichnen musste. Alle diese Eindrücke prägten sein Werk in eigentümlicher Weise. Sekal interessierten zum Beispiel «hoch stilisierte Aufzeichnungen bestimmter Gesten», oder «bestimmte Bewegungsvorgänge, abstrahiert aus dem unabsehbaren Kosmos der Bewegungsvorgänge, die seit jeher überall im All ablaufen», wie er schrieb. Ein direkter Weg zu seinen Schreinen. In Japan dient ein Schreingebäude, das auch sehr klein sein kann, zur Aufbewahrung eines «Schrein-Körpers». Im Buddhismus, für den sich Sekal interessierte, sind die «heiligen Gegenstände» im Schrein Statuen.
«Wie ein Schilfrohr im Wind schwankend», fühlte sich Sekal, der 1964 die Serie Labile Bauten schuf. Herzzerreißend sind seine flachen Labyrinthe, die das KZ Mauthausen darstellen, gehämmert aus rötlichem Metall. Wer in New York im Museum of Jewish Heritage den Nachbau des weitläufigen Areals des KZ Auschwitz im Miniaturformat gesehen hat, versteht gut, wie er diese Sicht von oben meint. «Ich finde den Weg durch das Labyrinth, oder ich füge dem Labyrinth noch weitere Gänge hinzu, weitere Verknotungen, so dass es noch schwieriger, wenn nicht unmöglich wird, den Ausweg zu finden», schrieb Sekal. So wie Max Mannheimer in abstrakter Kunst und mit Lackfarben seinen Weg fand, oder Zoran Mušič in verschwommenen Träumereien über die dalmatinischen Landschaften seiner Kindheit (beide Dachau-Überlebende), schuf Sekal obsessiv Drahtgeflechte: «Der unerträgliche Druck, jeden Tag von früh bis spät flechten, biegen, abknipsen zu müssen, immer weiter und sozusagen ohne Ende: das schlechte Unendliche.»

Das Gebäude bleibt leer.

Wenn Sekals Werke Schreine sind, dann ist die Umgebung des Belvedere 21 im Wiener Schweizergarten sozusagen die Schreinanlage. Der Bildhauergarten mit den Werken von Fritz Wotruba ist nun endlich auch von außen zugänglich. Es gibt seitlich des gläsernen Hauses die neue Caféterrasse. Im Hintergrund sieht man das rote Arsenal. 1970 zog Zbyněk Sekal nach Wien um, wo er bis zu seinem Tod wohnen blieb. Hier entwickelte er seine Material- und Strukturbilder zu räumlich verschachtelten Gitterkuben weiter. Sekal wehrte sich wiederholt dagegen, seine Kunst als Käfige zu begreifen, er dachte immer in Gebäuden, in Schichten – seine Räume sind eigentlich offen. Seine Werke stellen Erweiterungen des inneren Raums dar, «einen Kasten für die Sache, die am Anfang war», schrieb er. «Es fehlt aber die Mitte, der Kern, eigentlich sind es Halbfertigprodukte, und ihre Autonomie ist eher imaginär, abstrakt.» Im Gegensatz zu den buddhistischen Schreinen mit Statuen in der Mitte ließ er seine Gebäude leer. Sein letztes Atelier verwandelte er ein halbes Jahr vor seinem Tod in ein einziges Kunstwerk. «So ist das Zeug halb Ding, halb Kunst», schrieb er an sich selbst, «es sind nicht nur Sachen, es sind wirkliche Wesen. Ich bin selbst Bau, Entwurf, Gerüst.» 

Bis 6. Jänner 2021
Belvedere 21, 3., Arsenalstraße 1
belvedere.at/zbynek-sekal