Grantiger als Danzer, räudiger als Rio Reiser
Zwei Jahre nach dem Album «Übers Meer» beendet das Stimmgewitter Augustin seine Tonträgerveröffentlichungspause. Mit einer Vinyl-Single, darauf zwei neue Lied-Perlen.
Foto: Mario Lang
Die Geschichte des Stimmgewitter Augustin nachzuerzählen, würde zu weit führen. Das sollen ein noch zu schreibendes Buch, eine noch zu drehende Dokumentation erledigen, die hoffentlich irgendwann diese im Jahr 2000 begonnene Bandstory dokumentieren werden. Als jemand, der mit dem Stimmgewitter Backstageräume, Bühnen, Busfahrten, Studios und Tonträger geteilt hat und diese Erinnerungen – ich denke an eine Fotosession im Café Weidinger für «Schmankerl der Schöpfung», an ein Konzert in Freiburg, an Punkikone Jello Biafra, der in der Arena diesen Chor als «gute Idee» preist – als emotionale Notfallreserven für Zeiten hütet, wenn der eigene Wahnsinn und jener der Welt zu viel werden, bin ich sowieso zu nahe dran, um auch nur einen Hauch von Objektivität zu wahren. Drauf geschissen! So wie das Stimmgewitter auf musikalische Konventionen pfeift, tradierte Vorstellungen davon, wie Musik «gemacht» wird, und davon, was (schönes) Singen ist oder können soll/muss, radikal in Frage stellt und damit wieder bei einer sehr schönen, wahrhaftigen Musik ankommt.
Wenn Sie bis hierher gelesen haben, ist anzunehmen, dass Sie bereits ihre eigenen Erlebnisse und Begegnungen mit dem Stimmgewitter gehabt haben und im Idealfall auf neue Gelegenheiten dazu warten. Wenn nicht, Sie einfach ein/e gründliche/r Leser_in sind (bravo!), dann ist es höchste Zeit, die tatsächliche Begegnung mit dem Stimmgewitter nachzuholen – dazu will dieser Artikel gerne animieren!
Songs Of Love And Hate
Allen gelungenen Studioaufnahmen dieses Planeten zum Trotz – ein Aufnahmestudio ist bedingt der Lieblingsaufenthaltsort von Menschen, die Musik machen oder interpretieren. Was insbesondere für das Stimmgewitter Augustin gilt. Dessen Musikmachen als Selbstermächtigungsprojekt im Umfeld dieser Zeitung begonnen hat und darum noch ein wenig anfälliger ist für Selbstzweifel, die vor einem gnadenlosen Studio-Mikrophon – das nimmt alles auf! – selbst größere Sänger_innen-Egos mit austrainierteren Stimmen befallen können. Dazu kommt, dass das Stimmgewitter zwar vielstimmig – aktuell singen Ernstl, Heidi, Hömal, Johann, Mario, Martin, Oskar und Riki – agiert, aber nicht im Sinne einer tonalen Vielstimmigkeit. Es gilt das Stimmgewitter wie eine Lead-Stimme aufzunehmen, der immer anzuhören ist, dass sich zu ihr 8 leidenschaftliche Seelen zusammenfinden. Die dabei mitunter wackeln und schwanken, gerade, weil sie als Stimmgewitter gemeinsam so sehr bei sich sind. So kommt den Menschen, mit denen dieser Chor aufnimmt, von jeher eine spezielle Rolle zu.
Hier schließt sich, wie mensch gerne schreibt, mit der neuen Single ein Kreis. Wurde sie doch mit Thomas Pronai in dessen Studio im burgenländischen Oslip aufgenommen. Mit eben diesem Thomas Pronai, damals mit der Beautiful Kantine Band, heute mit Bo Candy & His Broken Hearts als Musiker aktiv, absolvierte das Stimmgewitter Augustin vor vielen Jahren das auch in diesem Bereich mythenträchtige «erste Mal». Bannte zum ersten Mal die mitunter rauen, aber immer herzlichen Stimmen – damals gleich 10 davon! – für die Nachwelt auf ein Trägermedium. Nachzuhören auf der CD «Stimmgewitter & Friends», 2003 erschienen, wenn diese nicht, wie die zweite Stimmgewitter-CD «Kitsch & Revo» (2006) und die Picture-Single mit Seven Sioux (2008) ausverkauft wäre – was heimischen Tonträgern übrigens nicht ganz so oft widerfährt … Damals wie heute verstand es Pronai, in seinem Analog-Studio das Beste aus dem «top vorbereiteten» (O-Ton Thomas) Sänger_innen herauszuholen, denen er zuvor mit seiner Band die ausgewählten Lieder – Georg Danzers «Geh In Oasch» und «Halt Dich an Deiner Liebe fest» von Ton Steine Scherben – auf die Leiber arrangiert hatte. Das Ergebnis ist zweifelsohne ein Höhepunkt der Stimmgewitter’schen Diskographie bisher. «Schmankerl der Schöpfung» (2010) lebte das Punkige und Heftige aus. «Übers Meer» (2012) fügte den vielen musikalischen Partner_innen des Stimmgewitters der Vergangenheit – Hansi Lang, Die Strottern, Kollegium Kalksburg, Schorsch Kamerun, Bernadette LaHengst, Texta oder Wilfried – Kapazunder wie BulBul, Ja, Panik, Die Sterne, Sex Jams oder Valina hinzu, eine entsprechende Stilvielfalt bildete die Grundlage für die Performances der Sänger_innen. Nun erleben wir eine Hinwendung zum Melodiösen (wer jetzt «Balladenfach» denkt, darf die nächste Single finanzieren, Schmäh ohne!), sowieso, Stimmgewitter-Style!
Dabei bildet die Single, die beim höflichen Label aus Wien, Konkord Records, erscheint, ganz kompakt die Pole ab, zwischen denen sich die Kunst des Stimmgewitters von jeher bewegt. Das Ruppige, Grantige, Widerständige, Wehrhafte im Lied des großen Georg Danzer, bei dem das Stimmgewitter nicht zuletzt die eigene Meisterschaft «im Wienerischen» unter Beweis stellt, wie Thomas Pronai richtig anmerkt. Das Herz und die Sehnsüchte auf den Zungen trägt es dann mit einem der bewegendsten Liebeslieder Rio Reisers («Wenn dein kaltes Bett dich nicht schlafen lässt»). Die getrageneren Tempi der Stücke mindern keineswegs ihre Befähigung, den eigenen Befindlichkeits-Puls positiv zu beschleunigen. Eine Vinyl-Single als launiger, selbstbewusst andersartiger, garantiert esoterikfreier Energiespender mit zwei Alltags-Mantras für unsere zunehmend aus dem Ruder laufende Dauerkrisenwelt. Ein mehr als würdiger Tonträgereinstand für Johann Murg, der nach «jahrelanger Bildungskarenz» das Stimmgewitter Augustin nach dem Ableben des unvergessenen Hans Kratky aka Käptn Bumba wieder achtköpfig macht. Die Livepräsentation gemeinsam mit Bo Candy & His Broken Hearts wird dazu ein Ereignis für sich. Halten wir uns gemeinsam an unserem Stimmgewitter fest!
Rainer Krispel
Der Autor ist Sänger der Seven Sioux, einer der musikalischen Partner des Stimmgewitter, und «Musikarbeiter» des Augustin.
Stimmgewitter Augustin: «Halt Dich an Deiner Liebe fest» / «Geh In Oasch», Vinyl-Single, Konkord Records.
Live mit Bo Candy & His Broken Hearts: Di., 11. 11. im Chelsea, Wien
www.stimmgewitter.org