Hammel- oder Schweinsniere?Artistin

Kurz vor dem Bloomsday 2008 mit Bloomsday-Wallfahrern geplaudert

Bloomsday.jpgWeder Santiago de Compostela noch Mariazell heißen die Destinationen der jährlichen Wallfahrten von Gerfried Höfferer und Ernst Hugo Kouba. Die beiden gehören nämlich der winzigen Religionsgemeinschaft der James-Joyce-Verehrer an. Was den ChristInnen der 24. Dezember bedeutet, so schwer wiegt den beiden Freunden der 16. Juni.

Am 16. Juni wird in aller Welt, vor allem aber in Dublin, der Bloomsday gefeiert. Die erste Regierung, die diesen Tag der Erinnerung an das Hauptwerk des irischen Weltschriftstellers James Joyce, den Roman Ulysses mit der Hauptfigur Leopold Bloom, offiziell zum Feiertag erhebt, muss wohl eine anarchistische Regierung sein und das ist bekanntlich ein Widerspruch in sich. Die beiden in Wien lebenden Ulysses-Fans Höfferer und Kouba begehen den Bloomsday jährlich in einer bohemienhaft-spielerischen bis fast religiös anmutenden Hinwendung als Bloomsday-Globetrotter (das Wortspiel des deutschen Joyce-Bewunderers und -Übersetzers Arno Schmidt, Globetrotter Glaube-Trottel, wird unter diesem Aspekt unbeabsichtigt sinnvoll, vorausgesetzt, dass Trottel für Menschen mit sonderbaren Ideen steht).

Spiel mit Worten, Spiel mit Zahlen: Fast möchte man meinen, der Jurist Höfferer und der pensionierte Ballhausplatz-Beamte Kouba seien geradezu berufen, auf den Spuren Blooms zu wandeln; diesem Schicksal sind sie knapp entgangen, denn das Mittel ihrer beiden Geburtstage ist der 15., nicht der 16. Juni. Höfferer ist an einem 11. Juni, Kouba an einem 19. Juni geboren. Der 16. Juni 1904 ist jener Tag, an dem die komplette Handlung des Romans Ulysses sich auf tausend Seiten entfaltet. Ein einziger Tag in einer einzigen Stadt: Dublin.

Wenn 1904 als Bezugspunkt genommen wird, steht am 16. Juni 2008 der 104. Bloomsday ins Haus. Offiziell als solcher gefeiert wurde er zum ersten Mal am 16. Juni 1954. Eine kleine Gruppe von Schriftstellern, darunter Flann OBrien, versammelte sich zu einem Ausflug zum Martello-Turm nach Sandycove, ein paar Kilometer südlich von Dublin. Eben dorthin begaben sich die beiden Wiener Ulysses-Touristen am Bloomsday des Jahres 2005.

Der 100-Jahr-Auftrieb wurde gemieden

Wahrscheinlich habt ihr erwartet, dass wir zum 100. Bloomsday, also 2004, nach Dublin fuhren, sagt Ernst Hugo Kouba im Augustin-Gespräch. In Dublin war am hundertsten Jahrestag die Hölle los: Obwohl er als größte Touristenattraktion der irischen Hauptstadt nicht frei von unliterarischen, kommerziellen, widerlichen Aspekten war, so sollte doch eine Stadt, die einen avantgardistischen Roman zum Anlass eines Megaevents macht, hervorgehoben werden gegenüber der Einfallslosigkeit von Kulturstädten, in denen die Rekordevents Donauinselfest oder Oktoberfest heißen. Wie viel Donau muss noch an Wien vorbeirinnen, bis die schönsten Feste Wiens sich um den Mann ohne Eigenschaften oder die Strudlhofstiege drehen

Dennoch: Dem zu erwartenden Touristenrummel in Dublin wollten Kouba und Höfferer entgehen. Wir flogen ein Jahr später dorthin, zum 101. Bloomsday. Das hat Stil, dachten wir uns. Gerfried Höfferer zeigt uns Fotos von diesem Trip. Bis zu den Knöcheln stehen die beiden im Wasser der legendären Badestelle Forty Foot an der Irischen See. Hier und im nebenan stehenden Martello-Tower beginnt die Tagesreise des Helden Stephen Dedalus. Und hier hat der Schriftsteller James Joyce im Jahr 1904 tatsächlich eine Woche lang gelebt.

Haines fragte:

Zahlt ihr eigentlich Miete für den Turm?

Zwölf Pfündlein, sagte Buck Mulligan.

An den Herrn Kriegsminister, fügte Stephen über die Schulter hinzu.

Sie blieben stehen, Haines musterte den Turm und sagte schließlich:

Im Winter ziemlich öde, möchte ich meinen. Martello nennt ihr ihn?

Billy Bit hat die Dinger gebaut, sagte Buck Mulligan, als der Franzmann fuhr zu See.

(aus dem ersten Kapitel von Ulysses)

Der Franzmann ist Napoleon. Zur Zeit der Napoleonischen Kriege zwischen 1804 und 1814 wurden 164 solcher kleiner Befestigungstürme an den Küsten der Britischen Inseln gebaut. Den Namen haben sie angeblich von einem ähnlichen, weit früher errichteten Turm an der Pointe Martella (KONNTE ICH NIRGENDS IM NETZ FINDEN) auf Korsika. Seit 1962 beherbergt der Martello-Tower in Sandycove ein James-Joyce-Museum. Gerfried Höfferer und Ernst Hugo Kouba absolvierten hier einen Pflichtbesuch.

Bloom steht für alle Nicht-Zugehörigen

Den 100. Bloomsday, 2004, feierten die beiden Wiener Ulysses-Freaks in Wien. Einer Stadt, die weder im Leben von James Joyce noch im Roman eine große Rolle spielt (anders als z. B. die nahe ungarische Stadt Szombathely, aus der der fiktive Held Stephen stammt, die deshalb eine Joyce-Statue auf den Hauptplatz setzte und am Bloomsday traditionell ein Kulturprogramm bietet). Immerhin steht eine Unterschrift von James Joyce neben den Namen Karl Kraus, Arnold Schönberg, Heinrich Mann und Valery Larbaud unter einer Solidaritätserklärung für die Errichtung einer Adolf-Loos-Schule: Wir rufen alle, die die Schönheit in der Ornamentslosigkeit fühlen können und den großen sozialen Gedanken, der darin liegt, erfassen können, einen Baustein zur künftigen Loos-Schule beizutragen. Hunderte junge Architekten aus dem ganzen Erdball warten auf die Gelegenheit, sich Loos-Schüler nennen zu dürfen. Für Wissende ist dies die größte Ehre, die es gegenwärtig für den jungen Architekten gibt.

Höfferer und Kouba besuchten nicht das Loos-Haus am Michaelerplatz, sondern ihr Stammwirtshaus in der Leopoldstadt, wo sie die Wirtin baten, zu Ehren von James Joyce die mitgebrachten Hammelnieren auf Triestiner Art zuzubereiten. Dass wir denselben Fehler begingen, den auch der von uns verehrte Kurt Palm in seinem James-Joyce-Kochtheater machte, ist uns erst später bewusst geworden, erklärt Kouba. An jenem 16. Juni 1904 hatte Bloom nämlich zum Frühstück keine Hammelniere, sondern eine Schweinsniere gekauft.

Wie wir von Karen Ballmer, einer Germanistin aus Deutschland, belehrt werden, ist diese Wahl durchaus nicht bedeutungslos. Blooms Individualität werde durch das Attribut des Fremden hervorgehoben, denn genau dadurch hebe sich Bloom von den anderen Protagonisten im Ulysses ab. Er ist jüdischer Abstammung, sein Vater war ungarischer Jude. Was das mit der Niere zu tun hat?

Ballmer: Es gelingt ihm nicht, sich vollständig in das Sozialleben von Dublin einzugliedern: Er ist sparsam, kann keine Witze erzählen, trinkt wenig und hält sich nicht an das ungeschriebene irische Gesetz, im Pub Getränkerunden zu spendieren. Diese bescheidene und abstinente Lebensweise erweckt bei seinen irischen Mitbürgern eine stereotype, antisemitische Haltung. Bloom wird also nicht als irischer Landsmann akzeptiert, aber er selber definiert sich auch nicht als Jude. Diese Nicht-Zugehörigkeit kann man unter anderem an seinem Frühstücks-Speiseplan ablesen, denn dieser entspricht weder demjenigen eines typischen Iren noch demjenigen eines Juden, wenn er sich an die alttestamentarischen Vorschriften hält. Aus praktischen Gründen kauft er an diesem Morgen eine unkoschere Schweinsniere: Donnerstag: auch für Hammelniere kein guter Tag [] Lieber eine Schweinsniere von Dlugacz. () Bloom, der sich weder der katholischen Welt von Irland noch der jüdischen Welt von Israel zugehörig fühlt, irrt durch Dublin und bleibt seinem Zuhause bewusst fern.

Für Bloomsday Nummer 102, am 16. Juni 2006, gibt es in Wien ein einschlägiges Angebot: Im Augarten liest die Schauspielerin Anne Bennent vier Stunden lang den Molly-Bloom-Dialog, das letzte Kapitel des Romans. Unter den rund 50 ausdauernden ZuhörerInnen: der Jurist und der pensionierte Beamte.

2007 gings nach Zürich. Dort lebte Joyce zwischen seiner Triestiner und seiner Pariser Zeit. Und Zürich ist auch die Stadt, in der Joyce 1941 im Alter von 58 Jahren starb.

Die beiden Wiener legen einen Stein in das aufgeschlagene Buch, das die Joyce-Statue am Grab in den Händen hält. Gerfried Höllerer steht neben dem Grab, hält auch ein Buch in der Hand. Er liest dem Toten ein ausgewähltes Kapitel aus Ulysses vor. Ich kann verstehen, dass James Joyce, nachdem er 1911 seine Heimatstadt noch einmal besuchte, nachher nie wieder in Dublin war bis zu seinem Tode. Ich bin Kärntner und nichts zieht mich mehr nach Kärnten. Denn wie Dublin voll von Dublinern, so ist Kärnten voll von Kärntnern.

Ein mögliches Dilemma bleibt ihm dank Joyce erspart: Es scheint keinen Kärnten-Bezug in dessen Werk und Leben zu geben; unserem Wallfahrerduo wird diese Destination ewig entbehrlich sein. Dafür steht Paris auf dem Programm des heurigen Jahres in Sachen Stephen Dedalus. In Paris hat Joyce seinen Roman zu Ende geschrieben. Paris ist voller James-Joyce-Schauplätze. Die wir aber alle meiden werden, meint Ernst Hugo Kouba. Vielleicht folgen sie dort den Spuren Becketts. Ein Sakrileg? Auch der kommt aus Dublin, und 1937 flüchtete er nach Paris. Zu viele Kärntner im Land der Herkunft

Info:

Bloomsday im Radio

Spielräume, Sonntag, 15. Juni 2008, Ö1, 17:30 Uhr

In Wien gibt es heuer keine uns bekannte Bloomsday-Veranstaltung. Am Vortag ist jedoch in der Sendung Spielräume Interessantes über die Folgewirkungen des Ulysses-Romans zu hören. James Joyces Werk hat nicht nur Komponisten wie Samuel Barber, Luciano Berio und Pierre Boulez musikalisch inspiriert, auch in der Folk-, Pop- und Rockmusik hat es Spuren hinterlassen. Die Spielräume hören nach u. a. bei Pink-Floyd-Gründer Syd Barrett, beim irischen Folkmusiker Andy White und auch bei der amerikanischen Psychedelic-Band Jefferson Airplane.