Handschriftlich, stadtschriftlich…Artistin

Stets auf der Suche nach Räumen, die zum Dichten anregen: Brigitta Höpler

Unsere Alltagssprache ist in der Regel eine verarmte Sprache. Die Kulturhistorikerin Brigitta Höpler glaubt, Methoden parat zu haben, die latenten Wortschätze, über die wir alle verfügen, wie ein edles Erz an den Tag zu fördern. «Rausfetzen» nennt sie die Art und Weise, wie sie Menschen dazu bringt, literarisch zu schreiben.Vergnügungen



Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen

Das wiedergefundene alte Buch

Begeisterte Gesichter

Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten

Die Zeitung

Der Hund

Die Dialektik

Duschen, Schwimmen

Alte Musik

Bequeme Schuhe

Begreifen

Neue Musik

Schreiben, Pflanzen

Reisen

Singen

Freundlich sein.

Diese Liste könnte auch eine Erledigungsliste sein. Eine Aufzählung der Momente und der Tätigkeiten, die heute für mein Wohlbefinden wichtig wären. Zum Abhaken jener Punkte, die «erledigt» sind. Für Brigitta Höpler bilden Bertolt Brechts «Vergnügungen» (1954) jedoch mehr als eine Liste. Es ist ein Gedicht in Form einer Liste, eines der Gedichte des BB, die für Brigitta Höpler weichenstellend waren. «Ich stehe auf die Poesie solcher Listen; Listen sind das, was ich ausnehmend gerne selber schreibe, und wenn ich eine Runde zum Schreiben anregen will, hilft mir auch oft der Vorschlag an die Seminarteilnehmer_innen, Listen zu entwerfen. Etwa die Liste von den hundert schönsten Dingen» – Aufzählungen jenseits der Einkaufsliste, nach denen die Supermarktkunden, hauptsächlich männliche, sich durch die Warenstraßen navigieren lassen.

Bei James Joyce ist die Liebhaberin der Listen-Lyrik (sie ist übrigens auch eine der 333 Augustin-Liebhaber_innen, wie mir das entsprechende Logo auf dem Button, den sie im Pullover trägt, signalisiert) noch fündiger geworden. Und was in jüngerer Zeit als Erfindung des Popromans verstanden wurde, die Listen-Manie, hat Joyce schon vor 100 Jahren auf die Spitze getrieben. Die Listen und Aufzählungskataloge im Ullysses-Roman widmen sich den weitesthergeholten Themen und verselbständigen sich ins Aberwitzige. Skurrilstes Beispiel: die über zwei Seiten lange Liste dessen, was Bloom so alles am Wasser bewundert.

Nach dem Augustin-Gespräch wird Brigitta Höpler ein Beispiel ihrer eigenen Listen-Poesie nachreichen:

Was Herzklopfen macht



der Geruch von Regen auf Asphalt

der dritte kleine Braune

unerwartete Begegnungen

wenn man sich beim Schreiben ganz nahe kommt

schwimmen in sehr kalten Seen

die Farbe des Himmels bevor es dunkel wird

beim Schwarzfahren erwischt werden

manche Blicke

manche Lieder

manche Bilder

manche Briefe

sehr spät in der Nacht alleine durch leere Straßen gehen

Entdeckungen

Kastanienblüten in Wien

frisches weißes Bettzeug

Der Wortsammler Joyce, um auf diesen der Zeit Vorauseilenden zurückzukommen, liebte entlegene Fachbegriffe, «Kalipädie» zum Beispiel, worunter man die «Lehre vom Zeugen schöner Kinder» zu verstehen hat, gewiss eine hochwissenschaftliche Angelegenheit. «Solche Wortschätze hat jede und jeder in sich. Oft sind sie gut unter Verschluss gehalten», meint Brigitta Höpler. «Wortschätze» nennt sie ihre Serie monatlicher Schreibabende im Seminarzentrum Blechturm 25 (17. April, 14. Mai, 17. Juni und 19. Juli). Hier wendet sie die Methode des «Rausfetzens» an, wie sie ihre Art nennt, Menschen zu ermutigen, mit Worten zu spielen und sich von eigenen Texten überraschen zu lassen. «Schreibend aus dem Rahmen fallen, der uns einengt», ist die Devise dieses Dichter_innenworkshops. Brigitta Höpler zeigt uns eine Literaturpostkarte der Grazer Literaturverlags Droschl, auf dem ein Satz von Dominik Steiger zu lesen ist: «erschrick nicht, ich bin dein herz und komme auf besuch». Ein herausgefetzter Wortschatz, mit Hand – im Bewusstsein, sich nicht verstellen zu müssen – auf ein leeres Blatt geschrieben, soll akzeptiert werden, denn er kommt direkt vom Herzen.

Die Selbstinszenierung im Literatencafé

Literarisch schreiben, heißt für Brigitta Höpler deshalb, zunächst mit der Hand zu schreiben. So geht sie auch als «Kaffeehausschreiberin» vor. Jeden Donnerstag trifft sie sich mit befreundeten Poetinnen im Café Heumarkt – wo sie dazu beiträgt, die Kontinuität der Wiener Kaffeehausliteratur zu sichern. Das Café Heumarkt ist einer der selten gewordenen Räume, die nahezu ohne Konsumpflicht sind: «Es macht dem Kellner nichts aus, wenn du vier Stunden lang bei einem einzigen kleinen Braunen sitzt. Er kommt höchstens ab und zu vorbei, um dich zu fragen, ob du ein neues Glas Wasser brauchst», schwärmt Brigitta Höpler von diesem keinen Paradies für Dichterinnen und Dichter. Vor dem Computer sitzend, wartet sie lange auf einen gescheiten, guten, originellen Startsatz, während der Kugelschreiber und das Blatt Papier die unverfälschten Gedanken nur so herausflutschen lassen, meint sie.

Zu Beginn ihrer literarischen Biografie romantisierte sie das Schreiben im Kaffeehaus, teilte den Mythos, der sich um das literarische Wien um 1900 entwickelt hatte – und inszenierte sich als Fortsetzerin der Tradition, indem sie geradezu demonstrativ ihren Kaffeehaustisch mit den Utensilien des Dichtens «nicht zuhause und nicht in der Ferne» ausstattete, sozusagen als Selbstarrangement der Figur eines weiblichen Peter Altenberg. Inzwischen hat ihr Schreiben im Café diesen ideologischen Überbau abgestreift: Brigitta Höpler wählt einfach diesen Ort, weil sie hier bessere Bedingungen vorfindet als in der Wohnung.

Wenn man die 1966 geborene Mutter von zwei Kindern nach ihrem Beruf fragt, antwortet sie: «Kunsthistorikerin, Autorin, Raumgeberin». Halbwegs akzeptiert in der Gesellschaft sind die ersten beiden Begriffe, lacht sie. Thema ihrer Diplomarbeit waren die vier österreichischen Keramiker Altenburg, Praschak, Raidel und Spurey. Ihr Wiener «Stadtführer für Kinder», 2001 im Picus Verlag erschienen, hat Standardwerkniveau und erreichte kürzlich die siebente Auflage. Der dritte Teil ihrer Berufsbezeichnung steht für eine regelrecht «unnütze» Tätigkeit, würde ein Apostel der Leistungsgesellschaft urteilen. Die «brotlose» Tätigkeit des Raumgebens ist es aber gerade, die unsere Gesprächspartnerin am meisten interessiert.

Am 24. Mai startet das Experiment «Stadtschreiben»


Brigitta Höpler ist stets auf der Suche nach inspirierenden Orten – und die findet sie nicht nur in Kaffeehäusern, sondern auch im öffentlichen Raum. Ab heuer will sie ihre Lust, durch die Stadt zu flanieren und im Gehen sich Notizen zu machen, damit keine Entdeckung verloren geht, mit anderen Menschen teilen. «Stadtschreiben» nennt sie die künftigen kollektiven Spaziergänge; der erste startet am Freitag, 24. Mai, um 16.30 beim Nestroydenkmal in der Praterstraße. Die Initiatorin wartet mit ausreichend vielen Brettchen und Schreibzeug auf die Teilnehmer_innen; und wenn es auch hier gelingt, diese mithilfe ihrer impulsgebenden Erklärungen zu den Unsehenswürdigkeiten entlang der Flanerie-Route zum «Rausfetzen» der Ideen zu bewegen, ist das Konzept aufgegangen.

Wer, wie Brigitta Höpler, zehn Jahre lang (2002 bis 2012) als Archiv- und Werkkatalog-Betreuerin, ja als «Mädchen für alles» im Atelier der Wiener Malerin Linde Waber gearbeitet hat, taucht – ob sie/er will oder nicht – in die Welt der Bildenden Kunst ein.

Viele stimmige Vorworte hat Brigitta Höpler für Künstler_innen-Kataloge geschrieben. Der wohl schönste Text gilt Linde Waber: Allein der große Tisch in ihrem Atelier wird immer wieder ganz leer geräumt, für kurze Zeit, um dann üppig gedeckt zu werden mit Wein, Brot, Käse aus Frankreich, Blutwurst aus dem Waldviertel, Gemüse und den berühmten Beeren aus Lindes Garten. Zehn bunt gemischte und teilweise bemalte Sessel stehen um den Tisch, es finden aber auch weit mehr Menschen Platz, wenn es darum geht, ein neues Buch zu konzipieren, eine Ausstellung, eine Idee, einen Traum zu verwirklichen. Viele der Tageszeichnungen verweisen auf solche Zusammenkünfte. Linde Waber ist eine Sammlerin der Augenblicke, von Kairos, dem griechischen Gott der günstigen Gelegenheit, des rechten Augenblicks beflügelt, führt sie Menschen und Ideen zusammen. (Ausschnitt).

Solche feine Porträtzeichnungen machen die Porträtierten dreidimensional und lebendig, sie sagen aber auch ebenso viel über die Porträtierende aus. Mehr über Brigitta Höpler gibt ihre Homepage preis; über diese sind auch die Anmeldungen zu den «Wortschatz»-Seminaren, zu den «Stadtschreiben»-Flanerien und zu den Kunstbetrachtungs-Terminen ihrer Reihe «1 Kunstwerk. Viele Perspektiven» möglich.

www.brigittahoepler.at