Happy End im HerrschaftswaldArtistin

«Das Ende der Jagd»: Kurto Wendts Umverteilungsroman

Erdbeben braucht das Land! So stellt sich der Wiener Autor Kurto Wendt die gerechte «Bestrafung» einer Gesellschaft vor, deren postnazistischer Minderwertigkeitskomplex in eine «dumpfe, aber gewandte Präpotenz» gekippt sei. Am Ende seines aktuellen Romans stellt sich aber heraus, dass er der Zivilgesellschaft viel Gutes zutraut. Zum Beispiel die soziale Abwicklung eines Milliardenerbes. Robert Sommer sprach mit dem Autor.

«Die Schenkwut ist nicht sehr verbreitet. Entweder finden die Menschen ihre Mitmenschen um ein Mehrfaches unliebenswürdiger als sich selbst – warum also ihnen was geben? Oder, umgekehrt, man will den Anderen nicht demütigen. Die Frage, wie man schenken könne und dabei das vormundschaftliche Verhältnis zum Beschenkten in Frage zu stellen, ist berechtigt.» Dieses Zitat findet man ziemlich am Anfang meines im Tarantel-Verlag erschienenen Roman-Fragments «Potlatch». Solche Eigen-PR sollte man ums Verrecken unterlassen, aber mir geht’s darum, den jüngsten Roman des aktivistischen Tausendsassas Kurto Wendt (was für eine abgedroschene Bezeichnung für einen, den es mal tausend geben müsste, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen), in den linken Himmel zu loben.

Vererben, verschenken, verschleudern.

«Das Ende der Jagd», so der Titel von Wendts Landwirtschafts- und Adels-Roman, leistet nämlich genau das, was im Buch »Potlatch» sträflich zu kurz kam. Wendt skizziert zumindest ansatzweise mögliche konkrete Schritte hin zu einer Demokratisierung eines Milliardenerbes im Sektor der Land- und Forstwirtschaft. Wenn Reiche was herschenken, erfolgt das in der Regel vor einem paternalistischen Hintergrund; sie stehen dann als Heroes da und sind mächtiger als vor dem Schenkungsakt. Als Anhänger der Commons-Idee geht es dem Autor freilich um eine partizipative Form der Privateigentumszerstörung.

Zum Narrativ: Der junge Graf Heinrich Schönborn hat beschlossen, das Erbe seines Vaters nicht anzunehmen. Er findet drei Menschen, die in seinem Auftrag die Abwicklungs-Agentur Schönborn gründen. Alle zur Gutsverwaltung gehörenden Baugründe und Liegenschaften sollen, so ihr Plan, zum halben Marktwert verkauft werden. Mit dem Erlös wäre sodann ein modellhaftes Flüchtlingsprojekt zu finanzieren: die Anstellung hunderter Flüchtlinge, deren Gegenleistung unter anderem darin bestehen könnte, die Gastgesellschaft über den neokolonialistischen Skandal der Massenfluchtverursachung aufzuklären.

Ein hartes Ei.

Der quasi «natürliche» Gegner des Sozialexperiments ist Hartei. Er verliert sein Jagdrecht, und er verliert seinen Golfklub, dessen Wiesen zur landwirtschaftlichen Selbstversorgung des Schönborn-Schlosses vorgesehen sind, das bald voller Flüchtlinge sein wird. Kenner_innen der Adelsgeschlechter, die heute große Teile Niederösterreichs verwalten, entgeht nicht, dass diese Romanfigur Züge der Weinviertler «Herrschaft» Maximilian Hardegg (englische Übersetzung von Hartei!) trägt, der nach einer 500-jährigen triumphalen Familiengeschichte keine Neigung verspürt, sich seinem fiktiven Standeskollegen Schönborn anzuschließen. Aber so genau weiß man’s nie, wie man bei den Eliten dran ist. Auch Grafen lesen Bücher; Herr Hardegg sollte sein in die Belletristik gerutschtes Pendant schon im Auge haben, und wer weiß, ob er nicht bald very amused sein wird von der von Kurto Wendt entwickelten Variante der Wiederherstellung agrarischer Gerechtigkeit.

Alles gut trotz Raiffeisen.

Das Einzige, was mich stört, ist die Leichtigkeit, mit der in seiner Erzählung der Widerstand der Raiffeisenbank gegen das gefährliche, eventuell Schule machende privateigentumsfeindliche Experiment zusammenbricht, wende ich im Gespräch mit dem Autor ein. Realistischerweise hätte man das großartige Projekt der Abwicklung des feudalistischen Erbes auch scheitern lassen können. Da verrät mir Kurto ein Geheimnis: «Weißt du, beim Schreiben einer Erzählung kommt bei mir immer ein Punkt, an dem ich keine rechte Lust mehr habe, die Geschichte zu Ende zu bringen. Weil in meinem Kopf schon ein neues Projekt rotiert.» In solchen Situationen steuere er gerne rasch auf ein Happy End zu, alles andere wäre zu kompliziert.

Ich gebe zu: Ich halte Happy Ends nicht für den Schlüssel zu guter Literatur. Doch bei der Lektüre von «Das Ende der Jagd» genoss ich das optimistische Finale. Ich muss ähnlich romantisch veranlagt wie Kurto Wendt sein, denn es kamen mir tatsächlich beinahe die Tränen bei einem der letzten Bilder der Geschichte: 50 junge Leute aus der Stadt, mit Spaten bewaffnet, vielleicht Aktivist_innen der Anti-Erbschaftsbewegung, hüpfen aus der Bahn und streben zum Golfplatz hin, auf dem die Traktoren der Bäuer_innen schon begonnen haben, die Greens zu einem Getreidefeld zurückzupflügen.

Kurto Wendt:

Das Ende der Jagd

Zaglossus Verlag 2016

270 Seiten, 14,95 Euro