Harriet Tubman & Sojourner TruthDichter Innenteil

Mit der Wahrheit der Sklav_innen-Dollars

Ich beginne diesen Artikel mit der Suche nach Geschichten von und über die beiden Frauenrechtlerinnen und politischen Aktivistinnen Tubman und Truth. Als Erstes treffen mich ihre Gesichter und ihr Ausdruck auf alten Fotos im Internet, die so viel erzählen und aussagen, bevor ich überhaupt zu schreiben beginnen kann. Darf ich sagen, ich habe geweint, als ich in ihre Augen sah? Darf ich sagen, ich habe mich zutiefst geschämt, als Teil einer weißen dominierenden Mehrheit? Darf ich sagen, wie tief es mich bewegt, jene Geschichten zu lesen, denen wir so gerne ausweichen, weil sie das Grauen beschreiben, dem Menschen immer wieder ausgesetzt sind?

Grafik: Jella Jost

Die bekannte feministische US-Künstlerin Judy Chicago hat in ihrer legendären «Dinner Party» in den 1970er Jahren u. v. a. auch einen kostbaren Tisch für Sojourner Truth gedeckt, mit einem Teller, der kunstvoll gestaltet war mittels dreier Köpfe, die an afrikanische Masken erinnern. Einer Maske rollt eine Träne runter, vergossen für alle geschundenen und getöteten Sklav_innen, die zweite steht für den Schrei, den Ausdruck des Zorns der schwarzen Bevölkerung, und die dritte Maske ist in Schwarz-Weiß gehalten und repräsentiert den Zwang zur Verleugnung sowohl von weißen als auch schwarzen Frauen. «Dinner Party» ist ein feministisches Kunst-Projekt und im Brooklyn Museum/USA ausgestellt.

Harriet Tubman, die schwarze Untergrundkämpferin und Frauenrechtlerin wird uns auf der 20-US-Dollar-Note bald entgegenblicken. Wird man in ihre Augen schauen? Auf allen Dollar-Noten sehen wir Abbilder von Männern, Militärs, Präsidenten oder amerikanischen Gründervätern. Nur zwei Mal wurden in der US-Geschichte Bilder von Frauen auf Banknoten abgebildet: Martha Washington, die Ehefrau des ersten US-Präsidenten, war Ende des 19. Jahrhunderts auf den Dollar-Scheinen zu sehen und in den 1860er-Jahren hatte ein Bild der legendären Ureinwohnerin Pocahontas ein paar Jahre lang auf 20-Dollar-Scheinen geprangt. Das war´s dann auch schon wieder einmal. US-Finanzminister Jacob Jack Lew plant nun weitere feministische Notenentwürfe: Mit den Suffragetten Lucretia Mott, Sojourner Truth, Susan B. Anthony, Elizabeth Cady Stanton und Alice Paul sind künftig Kämpferinnen für das Frauen-Wahlrecht auf der Rückseite des 10-Dollar-Scheines zu sehen. Eine Kampagne von Aktivist_innen machte nun Druck, auch die 20-Dollar-Note mit dem Bild einer Frau zu versehen. Sie forderten, das derzeitige Konterfei durch das einer Frau (Harriet Tubman wurde ausgewählt) zu ersetzen, und verwiesen auf die umstrittene Vergangenheit Präsident Jacksons im Umgang mit den Ureinwohner_innen. Donald Trump sagte dazu übrigens lapidar: «Ich finde zwar, dass Harriet Tubman fantastisch ist, würde aber dennoch Andrew Jackson auf diesem Schein lassen und schauen, ob wir eine andere Note auflegen können. Vielleicht eine Zwei-Dollar-Note oder etwas anderes. Ich sehe das einfach nicht gerne.» Wie unverschämt, wenn man bedenkt, was die USA den Sklav_innen schuldig sind. Der Aufbau ihres mächtigen Kapitals ruht auf ihren gepeitschten Rücken. Restitution und Rückzahlungen an die schwarze US-Bevölkerung sollten auch hier endlich vollzogen werden. Damit befasst sich ein Buch, das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde (siehe Link unten). Es sind heftige Alltags-Geschichten voller Leid und Demütigung, wie die Harriet Tubmans. Als sie als Sklavin arbeiten musste, traf sie ein schweres Gewicht am Schädel, da sie sich weigerte, einen anderen Sklaven anzubinden. Sie war bewusstlos und blutüberströmt. Sie wurde zurück zum Webstuhl gebracht und lag dort – unversorgt – für zwei Tage. Danach wurde sie wieder zur Feldarbeit geschickt. Harriet beschreibt den Vorfall so: «Blut und Schweiß sind mir immer noch über das Gesicht gelaufen.» Mit der Begründung, dass sie nichts wert sei, schickte sie ihr Leihbesitzer ihrem Besitzer zurück, der versuchte sie zu verkaufen. Beide Frauenleben zeigen unfassbare Stärke und Durchaltevermögen. Tubman schaffte es, sich aus der Sklaverei zu befreien, und auch Sojourner Truth brachte Kräfte auf, die ungewöhnlich waren. Es war der feste Glaube an Menschlichkeit – die zu erlangen ist. Beide Frauen waren aktiv in Befreiungsnetzwerken wie z. B. der «Underground Railroad» und beide erreichten trotz ihres harten Lebens ein hohes Alter von 93 und 85 Jahren. Sojourner Truth stellte als erste schwarze Aktivistin eine Verbindung her zwischen Frauen- und Sklav_innenrechten. Sie gewann weiße Frauen für den Kampf um die Rechte der schwarzen Frauen. Ihr war bewusst, dass weiße Frauen auch von weißen Männern unterdrückt wurden. Legendär wurde ihre Rede «Ain´t I a woman?!» (Bin ich denn nicht eine Frau?) aus dem Jahr 1851 anlässlich einer Frauenrechtskonvention in Ohio.

Sojourner Truth hieß eigentlich Isabella. Sklav_innen hatten keine Nachnamen. Sie wurde an den Sohn der Familie, für die sie arbeiten musste, vererbt. Sie war damals ein kleines Mädchen von ein paar Jahren, und mit dem späteren Tod dieses Besitzers wurde sie zur Auktion freigegeben. Ihr neuer Herr versetzte ihr Peitschenhiebe, wenn ihm etwas nicht passte. Schließlich kam sie an einen neuen Besitzer, der wohl ein herausragend seltenes männliches Exemplar war: Er war voll Lob und behandelte sie als Menschen. Als sie älter war, wandte sie sich an einen Quäker, der sie auslöste. So wurde sie endlich ein freier Mensch und arbeitete als Hausangestellte. Ihre Geschichte brachte sie, mit Hilfe einer schreibenden Freundin, als Buch heraus, das ihr Geld einbrachte. Sojourner Truth forderte Reparationszahlungen für die Afroamerikaner_innen: «Unsere Nerven und Sehnen, unsere Tränen und Blut, wurden geopfert auf dem Altar dieser Nation voller Habsucht. Unsere unbezahlte Arbeit ist der entscheidende Schritt zu diesem finanziellen Erfolg. Manche dieser Dividenden müssten tatsächlich die Unsrigen sein …»

In ihrer berühmten und beachteten Rede «Ain´t I a woman?!» sagt sie weiter: «… Männer sagen, uns Frauen müsste immer geholfen werden über Gräben, in die Wagen hinein und dass wir überall die besten Plätze haben. Niemand hat mir jemals in einen Wagen geholfen oder gab mir einen der besten Plätze! Und bin ich denn nicht eine Frau? Seht mich an! Seht meine Arme an! Ich habe gepflügt und geackert und in den Scheunen alles gesammelt, und kein Mann könnte das übertreffen! Und bin ich denn nicht eine Frau? Ich kann arbeiten und essen wie ein Mann – wenn ich es bekommen hätte – und auch die Peitsche ertrug ich! Und bin ich denn nicht eine Frau?»

Ohne Sklaverei keine Weltmacht

Harriet Tubman war eine Initiatorin von «Underground Railroad». Damit half sie den Sklav_innen sich zu befreien und zu fliehen. Es war ein geheimer Plan mittels kodierten Songs und Transporten, die Sklav_innen in den Norden zu retten oder nach Kanada, Mexiko oder in die Karibik. Geschätzte 100.000 Menschen konnten so gerettet werden. Viele Weiße und Schwarze, Quäker_innen und Methodist_innen halfen mit. Die Songs wurden im Alltag eingesetzt. Singen war Tradition aus Afrika, es half, bei der Arbeit den Rhythmus zu halten, als Motivation, als solidarisches Zeichen des Zusammenhalts untereinander und zur Aufrechterhaltung der eigenen Werte. Songs waren Mittel, um sich zu erinnern und um zu kommunizieren, da die Mehrheit der Sklav_innen nicht schreiben und lesen konnte. Harriet Tubman und andere nützten diese Songs in ihrer Strategie zur Freiheit. Kodierte Lieder, «coded songs», beinhalteten richtunggebende Wörter, wann und wie zu fliehen sei oder wo man sich trifft («map songs»). Manche dieser Lieder wurden über Generationen gesungen, sie bleiben mir unvergessen, wie zum Beispiel «Swing Low, Sweet Chariot» («chariot» bedeutet Wagen). Sobald die Sklav_innen den Song hörten, wussten sie, dass sie sich bereit machen müssen zur Flucht und eine «Armee von Engeln» ihnen dabei helfen wird. Die Undergrund Railroad (sweet chariot) kommt nach Süden (swing low), um die Sklav_innen in den Norden zur Freiheit zu bringen (carry me home). Dieser Song war Harriet Tubmans Lieblingslied. Wie oft musste ich es als Schülerin im Kloster singen, aber niemand hat uns darüber aufgeklärt, was für eine großartige Frau Harriet Tubman war! Lebendig hat jedenfalls keine der zahlreichen bedeutenden Aktivistinnen Ruhm auf und mit Dollar-Noten einstreifen können. Dazu mussten sie erst tot sein. Jetzt können wir in ihre Augen sehen. Endlich. Zumindest auf 10- oder 20-Dollar-Scheinen.

Swing low, sweet chariot

Coming for to carry me home

Swing low, sweet chariot

Coming for to carry me home

I looked over Jordan and what did I see

Coming for to carry me home

A band of angels coming after me

Coming for to carry me home

If you get there before I do

Coming for to carry me home

Tell all my friends that I’m coming too

Coming for to carry me home