Wien hat den elektronischen Blockwart erfunden
Eine Volksbefragung Wollt ihr die Video-Überwachung der Ausländer in den Gemeindebauten? ist ebenso sinnvoll, das Ergebnis ebenso vorhersehbar wie eine Volksabstimmung über die Wiedereinführung der Todesstrafe. Der Unterschied: Die Videoüberwachung von Müllräumen in Wiener Gemeindebauten gibt es wirklich, angeblich weil es das Mieter-Volk begehrt.In Wien gibt es Wohnhäuser, da hängt in jedem Treppehaus ein Porträt des Hausverwalters wie das Konterfei des Bundespräsidenten in den Gerichtssälen und die Jesusdarstellungen in den Klassenzimmern. So ganz nach dem Vorbild römischer Cäsaren, der Vergleich kommt nicht von ungefähr, weil Macht sinnentleert ist, wenn man sie nicht auch demonstriert. Das geht so seit Jahrzehnten. Die Mehrheit der Mieter schweigt, wie es ihr zusteht, und macht sich keinerlei Gedanken über den psychischen Zustand eines Hausverwalters, der, periodisch aktualisiert, Fotos (wie Gessler-Hüte) von sich in den Stiegenhäusern affichieren lässt. Die Rede ist von Wiens ehemaligem Wohnbaustadtrat Werner Faymann. Seit vergangenem Jahr gibt es da einen neuen Oberchef der Gemeindebauten, Dr. Michael Ludwig, weniger eitel und mehr Kulturpolitiker. Dennoch macht der das wie der vorherige, und jetzt hängen neue Bilder in den Stiegenhäusern. So weit, so kurios.
Der Wiener Wohnbaustadtrat, Dr. Michael Ludwig, hat aber ein neues, nicht minder kurioses Steckenpferd, er interessiert sich nämlich nicht nur für sein eigenes Gesicht, sondern auch für das seiner Mieter. Jetzt kommt die Videoüberwachung der Gemeindemieter. Der Standard: Und wieder wird eine Überwachungslücke geschlossen. ÖSTERREICH weiß: Wie lange die Bilder aufgezeichnet (gemeint ist wohl aufbewahrt) werden, ist derzeit noch ungewiss, aber Ludwig denkt an eine Anhebung des Hauptmietzins (sic!) in Abstimmung mit den Mietern, schließlich steige damit auch der Immobilienwert. Die Kronen Zeitung, das offiziöse Organ von Faymann, Ludwig und der MA 17, titelte im letzten Sommer avantgardistisch, Video-Kameras sollen Mülltouristen entlarven (nicht etwa verhindern: entlarven!) und trafen damit den fremdenfeindlichen Nerv der Wiener. Aber auch, um jene Nachbarn, die sich nicht an die Hausordnung halten, abzuschrecken. Na, wenn das kein stichhaltiges Argument ist.
Das Videospiel von Wiener Wohnen
Fazit: Der Testbetrieb läuft ab 1. April (und zunächst bis Jahresende) in sieben oder acht Wohnhausanlagen *), was jetzt schon eine mindestens vierstellige Zahl von Menschen betrifft. Jetzt liegt es an den Mietern, sich entweder zu wehren, oder aber die Videoüberwachung aller Wiener Gemeindemieter ist ausgemachte Sache! Dazu gehören, laut http://www.magwien.gv.at/wohnen/wienerwohnen, rund 220.000 Gemeindewohnungen (davon rund 2500 Hausbesorgerdienstwohnungen und 7500 Wohnungen in Fremdverwaltung), 6000 Lokale und über 47.000 Garagen- und Abstellplätze. Das Büro von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SP) hat, laut ÖSTERREICH, einen generellen Antrag zur Videoüberwachung im Gemeindebau gestellt.
Wir hatten anlässlich einer Einladung des Fachmagazins Wohnen Plus Gelegenheit, kompetente Meinungen prominenter Fachleute dazu einzuholen.
Dr. Gerfried Sperl, Der Standard: Ludwig hat sich dafür eingesetzt, dass es in Gemeindbauten diese Überwachungseinrichtungen gibt.
Stadtrat Dr. Michael Ludwig hält das für nur dort sinnvoll, wo es zu keinem Eingriff in die Privatsphäre kommt was in Wohnhausanlagen mit spielenden Kindern, schmusenden Halbwüchsigen und missliebigen Politikern schon sehr schwer sein wird.
Mag. Gertrude Schwebisch, Erste Bank, weiß, dass ihr Institut 1400 Videokameras installiert hat, die aber auch gegen Manipulationen ihrer eigenen Mitarbeiter eingesetzt werden. Ihre Daten sind mehrfach geschützt, weil auch das Bankwesengesetz und die Betriebsvereinbarung darüber wachen.
Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer, Verfassungsjurist, gibt zu bedenken, dass es volle Sicherheit und zugleich volle Freiheit nicht gebe. Der Artikel 8 MRK schütze das Recht auf Privatheit, das Recht, allein gelassen zu werden! Je stärker der Mensch überwacht werde, umso stärker leide sein Selbstwertgefühl. Er könnte für Videokameras sein, wenn die Überwachung nicht mehr erreicht, als das erklärte Ziel. Damit spricht der Verfassungsrechtler etwas an, was an diesem Abend Tabuthema war. Was, wenn im Wahlkampf Bilder von einem auftauchen, der seinen Müll nicht ordentlich sortiert, für die Kronen Zeitung am Sonntag nicht richtig eingeworfen hat? Was, wenn in einem Scheidungsverfahren Bilder von Besuchern auftauchen? Für welchen Betrag gibt wer diese Aufzeichnungen weiter? Die eigene Wohnungstüre zu überwachen, verletzt keine Rechte, es kann aber Interessen geben, nicht wahrgenommen zu werden. Die Aufzeichnung ist jedenfalls problematisch, damit muss man nicht einverstanden sein! Das ganze Stockwerk zu überwachen, greift in die Rechte der Bewohner ein. Den Eingang des Wohnhauses zu überwachen, ist wenig bedenklich die Aufzeichnung schon!
Min.-Rat Dr. Waltraud Kotschy, Geschäftsführerin der Datenschutzkommission, erklärt den Konflikt anhand des Vergleiches, Beichtgeheimnis versus Ich hab nix zu verbergen. Videos von Menschen herzustellen bedeute jedenfalls die Ermittlung personenbezogener Daten, dazu sei hausrechtsähnliches Verfügungsrecht nötig. Behörden dürften das nach dem Sicherheitspolizeigesetz. Auch in der Wohnung dürfe man niemanden Dritten überwachen alle Betroffenen müssten zustimmen. Nach einer höchstgerichtlichen Erkenntnis treffe das alles auch auf Kamera-Attrappen zu. Die beantragte Videoüberwachung von Hauseingängen und Stiegenhäusern darf nicht stattfinden, da dieser Bereich für die Privatsphäre bedeutsam ist und diesbezüglich keine wesentlichen Schadensfälle im Antrag ausgewiesen waren. Und dass keinesfalls Wohnungseingänge von der Videoüberwachung mit erfasst sein dürfen, da dies einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre darstellen würde.
Franz Schnabl, Ex-Polizei-Chef, jetzt Sicherheitschef der Magna International Europa: Es gingen jetzt schon ASFINAG-Daten an die Polizei und die Datenschutzkommission wisse nichts davon!!! Da die Sicherheitsbehörde auch die Verkehrsüberwachung über habe, sei sie sehr daran interessiert, das Spurverhalten, Abstandsmessung und so weiter zu kontrollieren und zu bestrafen!!! Überwachung könne schützen, was aber, wenn was an wen weitergemeldet werde? Langzeitstudien über die Videotechnik belegten, dass kurzfristig die Prävention gefördert werde, langfristig werde die Zahl der Straftaten nicht reduziert (obgleichs der Aufklärung hilft)!!! Im Wohnbau sei das soziale Kontrolle, wenn die Hausordnung oder die Müllordnung so exekutiert würden. Die Zahl der gerichtlich relevanten Taten verändere sich nicht durch die Videoüberwachung, führe aber zu Expositionsverhalten in ungefährdeten Räumen!!! In Niederösterreich warnt Schnabl vor der tendenziell negativen Entwicklung zur privatisierten Sicherheit. Sicherheit im öffentlichen Raum ist eine Aufgabe der Exekutive!
Gewalt passiert hinter der Türe, nicht vor der Türe!!!
Dr. Reinhard Kreissl, Sozialwissenschafter am Wiener Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, kennt Untersuchungen, die belegen, dass Wien sicher ist. Dennoch kann man statistisch damit rechnen: Einmal in Ihrem Leben wird Ihre Wohnung überfallen. Die Angst vorm Schwarzen Mann ist weit überschätzt. Schließlich: Kreissl kennt die Hitparade der Wohnungseinbrecher, das sei erstens die Ostkriminalität, zweitens die Beschaffungskriminalität, aber schon drittens seien das Nachbarschaftsstreitigkeiten! Die Preise für Videosysteme würden weiter sinken. Denn die Opfer verhielten sich wie schlechte Börsenspekulanten: Wenn wer einbreche, kauften sie Sicherheitsanlagen. Während die Professionalität der Täter mit den besseren Schutzmaßnahmen gleichziehe. Unter Umständen hafte der Hausherr für nicht verhinderte Schäden. Sicherheit wird zu kaufbarem Gut.
Inge Rinke, Landtagsabgeordnete und Bürgermeisterin von Krems an der Donau, berichtet, dass von ihr verwaltete Wohnbauten videoüberwacht seien, die Altstadt werde von fünf persönlich handverlesenen Securitys gesichert. Nach einem kurzen Aussetzen des Engagements der Nachtwächter hätte es wieder mehr Schäden gegeben.
MMag. Dr. Georg Maltschnig, der Bürgermeister von Zell am See, hat das auch, von der Qualität der Wächter ist er sehr enttäuscht (Die Datenschützerin kraust ihre Stirne abermals zu Falten!).
Prof. Dr. Herbert Ludl, Generaldirektor der Sozialbau Gemeinnützige Wohnungs-AG, hat in seinen Bauten keinerlei Überwachung und wüsste auch nicht, wozu. Er nimmt keine Kriminalitätszunahme wahr.
Mag. Dr. Maria Theresia Fekter, Volksanwältin, stellt fest, Es gibt kein Unrechtsbewusstsein in Bezug auf das Datenschutzgesetz.
Dr. Hannes Jarolim, Rechtsanwalt, Nationalratsabgeordneter, Justizsprecher der SPÖ, gibt ihr Recht.
OSen.-R. Dipl.-Ing. Heinz Sack ist der Mietervertreter im Wohnpark Alt Erlaa und schwärmt als Einziger vom Video live. Schließlich werkt er ja auch für das Wohnpark-Fernsehen! Seit eineinhalb Jahren gibt es dort eine Reihe von Überwachungskameras. In den Bädern, in der Sauna, nackt oder nicht, gebe es das nach seiner Erinnerung unter Berufung auf die Hausordnung immer schon. Hausherr GESIBA traue sich nicht, das bekannt zu machen. Sagt er. (Da wurde Frau Kotschy vom Datenschutz aber richtig böse: Wieso wurden die Kameras nie angemeldet? Die Hausordnung kann kein Gesetz aushebeln! Warum setzt sich die GESIBA über dieses jahrzehntelang hinweg? Und schlägt mit der Offizialdelikt-Faust auf den Tisch). Sack hat sich offensichtlich in denselben gelogen und versteht seine kleine Welt nicht mehr.
Fazit: Am Ende des interessant und professionell gestalteten Symposiums sind sich fast alle darüber einig, dass der elektronische Blockwart auf dem Holzwege wandelt. Hingegen sollte alles unternommen werden, damit die Hausparteien besser miteinander kommunizieren. Eine funktionierende Mietergemeinschaft sei die beste Prävention gegen Kriminalität im Bau. Auch gegen falsch sortierten Müll.
Auch gegen überhebliche Hausherren, die sich wie im Falle von Wiener Wohnen als Behörde gerieren. Warum sollte also Dr. Ludwig funktionierende Mietergemeinschaften lieber haben als Videokameras?
*) Landstraße, Lechnerstraße 24; Simmering, Rosa-Jochmann-Ring 3, Am Hofgartl 37 und 810; Rudolfsheim-Fünfhaus, Weiglgasse 810; Donaustadt, Markgraf-Gerold-Gasse 18 und Rennbahnweg 27