Für Raiffeisen ist Dollfuß immer noch der innovative Bundeskanzler
Einer der Säulenheiligen der Raiffeisengruppe ist Engelbert Dollfuß. Raiffeisenintern wird Dollfuß als großer Reformer gefeiert, seine Ideen wirken bis heute nach. Blickt man genauer hin, wird das hässliche Gesicht von Rassismus und extremem Antisemitismus erkennbar.Und was hat dies alles mit Österreichs mächtigster Wirtschaftsgruppe heute zu tun? Anlässlich des. Geburtstages des österreichischen Raiffeisenverbandes publizierte die Genossenschaft die Festschrift «Siegeszug einer Idee». Engelbert Dollfuß wird in diesem Buch gebührend gewürdigt, allerdings entschließen sich die Herausgeber wesentliche Geistesinhalte des Dollfuß dem Publikum vorzuenthalten – der Augustin hilft gerne nach.
Für die Struktur der Raiffeisengruppe ist nach wie vor das von Dollfuß entwickelte Dreisäulenmodell der Landwirtschaft maßgeblich: «Auf Dollfuß geht das Dreisäulenmodell der Landwirtschaft zurück, ruhend auf der politischen (Bauernbund), der ständischen (Landwirtschaftskammer) und der wirtschaftlichen (Genossenschaftswesen) Interessensvertretung.» (Festschrift Raiffeisenverband) Nicht festgehalten wird, was sich Engelbert Dollfuß sonst noch ausdachte: Der österreichische Bundeskanzler und spätere Diktator Dollfuß machte sich als aktives Mitglied der katholischen Studentenverbindung Franco-Bavaria seine Gedanken über den Zuzug von ausländischen Studenten und Arbeitskräften nach Österreich – ein Déjà-vu-Erlebnis zur Diktion heutiger rechtsradikaler Parteien in Österreich und in Europa ist unvermeidlich. In der Tageszeitung «Reichspost» verkündet Dollfuß 1920: «Der Erlass des scheidenden Rektors hat wieder die leidige Fremdländer- – oder sagen wir es gleich offen – die Judenfrage aufgerollt. Es ist aber falsch, daß wir die Juden meinen und Fremd- oder Ausländer sagen … Aber die Hausherrenrechte wollen wir uns wahren und nicht uns und unsere anderen Gäste von einem Fremdvolke, von einer fremden Rasse verdrängen lassen. Bei allem grundsätzlichen Festhalten an der deutschen Gastfreundschaft müssen wir hier aus ernster Notwehr allen diesen auf geraden und krummen Wegen sich eindrängenden Nutznießern, die an Zahl uns bereits überragen, energisch den Riegel vorschieben. Hier hilft kein Herumdoktern, weg mit allen fremden Juden aus dem Osten.»
Bemerkenswert sind die Codewörter «Hausherrenrechte» und «Notwehr». Sie tauchen heute wiederum in zahlreichen Reden von FPÖ-Funktionären auf, und es ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass die heutige FPÖ in starker Opposition zur Raiffeisengruppe steht.
Ebenfalls 1920 stellte Dollfuß auf der 51. Cartellversammlung des CV in Regensburg einen Antrag, der die Intentionen des späteren Direktors der Landwirtschaftskammer Niederösterreich, Bundeskanzlers, Diktators und Bürgerkriegsverantwortlichen klar zeigt: Dollfuß wollte erreichen, dass jedes CV-Mitglied erklären müsse, keine jüdischen Vorfahren zu haben. Bis zur Generation der Großeltern sei dies auch nachzuweisen. Dies war selbst seinen christlichen Cartellbrüdern zu viel, und der Antrag wurde abgewiesen.
In der erwähnten Festschrift des Raiffeisenverbandes wird auch auf das Jahr 1934 eingegangen. Dass Dollfuß mit der Verkündung der Mai-Verfassung zum Diktator wurde, wird nicht erwähnt. Vielmehr wird der Bürgerkrieg als eine Art Naturereignis dargestellt: «… im Februar 1934 brach der Bürgerkrieg aus. … Mehrere Sozialdemokraten werden hingerichtet, Tausende in Haft genommen, ihre Partei wird verboten.»
Am 25. Juli 1934 wird Dollfuß bei einem Nazi-Putschversuch erschossen. In der Raiffeisen-Festschrift wird der Diktator auch hier immer noch als «Bundeskanzler» bezeichnet. Ebenfalls eine Ironie der Geschichte, dass der Arbeitermörder Dollfuß von den Mördern der Arbeiterbewegung ermordet wird.
Der pflegliche Umgang der heutigen Führungscrew von Raiffeisen mit Engelbert Dollfuß mag auch damit zu tun haben, dass die wesentlichen Akteure auch heute CV-Mitglieder sind. Die Lebensfreundschaft gilt offenbar über den Tod hinaus.