Helene Huber, genannt Barankavorstadt

Über einen historischen Wohn- und Rastplatz der Roma und Sinti

Mit der Barankapark-Gedenkfeier kehrt der Musiker Harri Stojka alljährlich am 20. Mai an einen historischen Ort der Stadt Wien, in Favoriten, zurück. Von hier wurde seine Familie von den Nazis 1941 verschleppt. Franz Indowa (Text) und Mario Lang (Foto) besuchten das Ehepaar Stojka.

«Wir machen ein Fest», sagt Harri Stojka, und die Vorfreude darauf ist ihm anzumerken: «Es soll niemand in Trauer vergehen, sondern alle sind eingeladen zu tanzen. Aber natürlich im Gedenken an die Menschen, die von dort von den Nazis verschleppt worden sind.» Dort: Das ist die ehemalige Hellerwiese, der heutige Belgradplatz mit dem Barankapark im 10. Wiener Gemeindebezirk. Die Menschen, die von hier 1941 verschleppt worden sind: Das ist Harri Stojkas Großfamilie, die damals in der Nazi-Zeit 200 bis 250 Menschen umfasst hat. Verschleppt wurden Stojkas Vorfahr_innen in die Vernichtungslager der Nationalsozialist_innen, nach Auschwitz und nach Birkenau.

Als er ein Kind war, habe sein Vater Johann «Mongo» Stojka nicht oft von seiner Verschleppung erzählt, sagt Stoj­ka. Erst als er selbst an die 30 Jahre alt gewesen sei. Sein Vater wäre ein lebenslustiger Mann gewesen. «Aber in gewissen Launen ist natürlich der Horror durchgekommen, den er erlebt hat», erzählt Harri Stojka. Schließlich ermutigt er den Vater, seine Erlebnisse in einem Buch niederzuschreiben: «Papierene Kinder» (Molden Verlag) ist im Jahr 2000 erschienen. Darin berichtet Mongo Stojka über die Konzentrationslager und auch über sein Leben vor und nach dem Zweiten Weltkrieg als Teppichhändler und Musiker. Nur sechs Angehörige der Großfamilie haben die Lager und Todesmärsche überlebt, einer der Überlebenden war Mongo, der später mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet werden sollte.

Die Heilerin Baranka. Unter den einst Verschleppten des Stojka-Clans war auch Helene Huber, genannt Baranka; sie war die Clan-Oberste, die Mutter von Mongo und Urgroßmutter von Harri Stojka. Baranka hat sich als Naturheilerin mit Pflanzen und deren Wirkung ausgekannt: «Mein Vater hat mir erzählt, dass sie zum Beispiel das Penicillin gekannt hat, bevor es erfunden wurde.» Mit einem Schimmelpilz von den Bäumen habe sie die Leute behandelt.

Seit dem 18. Jahrhundert war die Hellerwiese, angrenzend an die Heller-Zuckerlfabrik, ein Wohn- und Rastplatz der Roma und Sinti, die als fahrende Händler_innen mit Teppichen, Stoffen und Pferden bis in die Grazer Gegend unterwegs waren. Mit der Unterstützung des «Kulturraum 10» gelingt es Mongo Stojka im Jahr 1999 – 15 Jahre vor seinem Tod – eine Gedenktafel in dem heutigen Park errichten und einen roten Kastanienbaum, den damaligen Lieblingsbaum der Roma-Familien, pflanzen zu lassen. Im Jahr 2003 wird der Park schließlich in Barankapark umbenannt.

«Die Barankapark-Gedenkfeier ist auch eine Gelegenheit, Roma zu treffen und mit ihnen zu reden», sagt Valerie Stojka. Im Kontext mit dem Genozid erinnert sie sich an ein oft zitiertes Lebensmotto von Mongos Bruder Karl Stoj­ka: «Wir sind die Blumen dieser Erde, wir kommen jedes Jahr wieder.»

Valerie Stojka steht dem Verein Voice Of Diversity vor, der die Gedenkfeier zum nunmehr neunten Mal organisiert. Immer wieder wird mit dem künstlerischen Programm auf die enge Verzahnung des Schicksals der Juden mit dem der Roma verwiesen. Heuer wird Doron Rabinovici aus seinem Buch «Jenseits von Ohnehin» lesen, und Shlomit Butbul wird ein Konzert geben. Ebenso live zu hören sein werden Martin Spengler & die foischn Wiener, denn das Wienerlied ist auch ab und an Teil der Barankapark-Gedenkfeier. Im Rahmenprogramm werden in einem Workshop die Gemeinsamkeiten von jiddischer Musik und Roma-Musik herausgearbeitet werden.

Feiern in Favoriten. Zu Beginn wäre es nicht leicht gewesen, die Gedenkfeier zu organisieren, erinnert sich Valerie Stojka an die ersten Jahre. Neben allen Genehmigungen war es auch notwendig, Toiletten und Getränkeverkauf zu organisieren. Inzwischen wird Voice Of Diversity aber auch vom zehnten Bezirk unterstützt, und dort wird das Fest positiv angenommen, weil die Bewohner_innen des Bezirks niederschwellig dabei sein können. «Türk_innen, Kurd_innen, Afrikaner_innen, Asiat_innen. Alle feiern miteinander», sagt Harri Stojka begeistert, der in seiner Karriere immer wieder erlebt hat, wie mittels Musik Brücken geschlagen werden. «Gleichzeitig tun wir unser Bestes, die Leute über die Geschichte zu informieren, jeder kann vorbeikommen und Fragen stellen», sagt Stojka über die Begegnungen, die im Rahmen der Gedenkfeier stattfinden. Valerie Stojka: «Es gibt Überlebende des Holocausts, und man muss daran zwar zurückdenken, aber auch nach vorne schauen.»

Harri Stojka lädt abschließend dazu ein, am 20. Mai 2017 dabei zu sein: «Wir wollen Freude verbreiten, aber im Gedenken an die Menschen, die verschleppt wurden. Das ist gar nicht widersprüchlich, wir Roma feiern gerne. Kommt, kommt, kommt!»

 

Infos:

Sa, 20. Mai, 17–22 Uhr

www.voiceofdiversity.at

Radio Augustin sendet am Mo, 15. Mai zwischen 15 und 16 Uhr auf Orange 94.0 das

Interview mit Valerie und Harri Stojka.

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