Herr Novak kann nicht mehr schäkerntun & lassen

Automatisierung im Alltag

Bankgeschäfte werden von Kund_innen ­erledigt. Bahntickets spuckt der Automat aus. In den ­Büchereien der Gemeinde Wien arbeiten Bücherverwaltungsautomaten. Begegnungen werden reduziert, Ökonomie bestimmt das soziale Leben. Ein Lokalaugenschein von ­Clemens Staudinger und ­Ulli Gladik.

Wir wurden daran gewöhnt, unbezahlte Arbeit für gewinnorientierte Firmen zu leisten: Bankgeschäfte online erledigen, Tickets aus dem Automaten ziehen, im Supermarkt selbst die Ware scannen und beim Automaten ­bezahlen. Was dem Publikum als praktisch und Zeitgewinn verkauft wird, bedeutet tatsächlich eine schleichende Umverteilung. Wurde früher mit dem/der Schalterbeamt_in gesprochen, erledigen die Kund_innen heute per Web von zu Hause aus Bankgeschäfte oder müssen im Banklokal mit Buchungsautomaten kommunizieren. Diese Entwicklung hilft den Banken, Filialen zu schließen, Personalkosten einzusparen und Mitabeiter_innen in die Arbeitslosigkeit zu befördern. Wird ein persönliches Service beansprucht, dürfen sich die Kund_innen heute auf lange Wege und auf gesalzene Gebühren einstellen. Was für die Bank win-win bedeutet, heißt für andere lose-lose. Auch die Technologiekonzerne und deren Aktionär_innen dürfen sich freuen: Sie verdienen, wenn der Mensch durch eine Maschine ersetzt wird.

Wo ist der Mensch?

«Eigentlich freue ich mich auf ein Pläuschchen mit den Bilbliothekar_innen, und jetzt soll ich die Bücher beim Automaten zurückgeben?», echauffiert sich Herr Novak vor der Filiale der Bücherei in Wien Landstraße. «Wie bei meiner Arbeit, da muss ich auch ständig Automaten bedienen. Und in der Bank ist es dasselbe: Früher scherzte ich mit meiner Betreuerin, heute bin ich froh, wenn ich vor dem Kontoauszugsautomaten nicht ewig warten muss. Wo bleibt da der Mensch?»

Auch für Frau Michailovic ist die Automatisierung ein wichtiges Thema: «Ich ärgere mich über das Bankomattheater: Bei den vielen Bankfilialen waren Bankomaten – ohne Gebühren. Jetzt sind die Filialen zu, die Geldautomaten weg, und bei den neuen Bankomaten muss man zwei Euro zahlen.» Wir sprechen die Situation in den Bibliotheken an. «Hoffentlich ergibt sich da nicht eine ähnliche Entwicklung wie bei den Banken», sagt Frau Michailovic.

Ökonomie bestimmt unser Leben – dies kann am Beispiel der Büchereien der Stadt Wien nachvollzogen werden: Buchverwaltungsautomaten ersetzen bzw. ergänzen menschliche Mitarbeiter_innen, Kontakte von Mensch zu Mensch werden reduziert. Von der Geschäftsführung der Büchereien der Stadt Wien werden die Beschäftigten angehalten, die Kund_innen dazu zu bringen, dass mindestens 50 Prozent der Verbuchungen via Automat laufen. Trotz Automatisierung hat die Gemeinde in den letzten Jahren im Bereich Büchereien 19 Planposten zusätzlich eingerichtet. Es bleibt die Frage, wie viele es sein hätten können, wenn ausschließlich Menschen tätig wären. Mit Sicherheit mehr. Denn 2007 lebten in Wien rund 1.660.000 Menschen, 2017 mehr als 1.860.000. Für diese 200.000 Menschen mehr, sind die erwähnten 19 Planstellen gedacht.

Pragmatismus?

Die Pressestelle der Büchereien stellte uns gegenüber einen pragmatischen Ansatz in den Mittelpunkt: Die Aufgaben von Büchereien hätten sich in den vergangenen 20 Jahren wesentlich geändert. Früher ging es ausschließlich um Bücher ausleihen, heute sind Büchereien ein Ort der Begegnung, und die Automaten helfen, Mitarbeiter_innen für den Kontakt insbesondere mit Kindern und Jugendlichen freizuspielen. Derzeit gibt es 55 Selbstverbuchungsgeräte à 7.000 Euro Anschaffungskosten. Übrigens, bevor Nichtleser_innen zum Bashing zu hoher Büchereikosten ansetzen: 22.885.000 Euro pro Jahr, das sind lediglich 0,17 Prozent des Wiener Haushaltes.

Unabhängig von Institution oder Branche, für gewinnorientierte Unternehmer_innen bringen Automaten noch weitere Vorteile: Sie reden nicht zurück, verlangen keinen Kollektivvertragslohn, gehen nicht in den Krankenstand, bekommen keine Kinder und fahren nicht auf Urlaub. Der 13. und 14. Monatsgehalt wandert ungeschmälert als Dividende ins Portemonnaie der Couponschneider_innen1.

1 «Couponschneider»: altmodische Bezeichnung für Aktionär_innen. Früher waren

Aktien mit Cupons versehen, die abgeschnitten und der Bank als Berechtigung für den Dividendenbezug präsentiert wurden.

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