Herrn Grolls WahlanalyseDichter Innenteil

Herr Groll auf Reisen. 313. Folge

Der Dozent hatte seinen Freund Herrn Groll vor dem Seitentrakt des Parlamentsgebäudes, in dem die Grünen logierten, zu einer Aussprache über das Wahlergebnis gebeten.

Foto: Mario Lang

Nicht alle Wege führen ans Ziel

An einem sonnigen Herbsttag nahmen die beiden beim Ausgang des Grete-Rehor-Parks am Schmerlingplatz Aufstellung. Was Groll zum neuen «Donaumessias» Kurz und seinen blauen Kumpanen sage, wollte der Dozent wissen.

«Sie wissen, dass ich nicht religiös bin», erwiderte Groll. «Als langjähriger Kenner der Verhältnisse am großen Strom verbitte ich es mir, die Donau mit religiösen Symbolen zu befrachten. Derartige Versuche sind – oft mit beträchtlichen Opfern – immer gescheitert.»

«Aber der Wahlsieg des 31-Jährigen hat eine beeindruckende Dimension, das müssen Sie doch zugeben.»

«An der Donau sind sechs- bis achttausend Jahre Geschichte dokumentiert. Von daher weiß ich, dass der Weg vom Messias zur Wasserleiche kurz ist. Besonders kurz ist er in einer christlich-katholischen Partei.»

Der Dozent schüttelte den Kopf. «Kurz hat die Partei, die vor dem Absturz ins politische Nirwana stand, nicht nur gerettet, sondern gleich auch noch den Kanzler dazu serviert. Das räumt ihm unermessliche Macht ein. Die Junge ÖVP wird mit Mandaten und Posten überschwemmt, die Landesfürsten knien vor dem Heilsbringer und die ÖVP-Bünde üben Jubelchöre ein. ‹Gott erhalte, Gott beschütze, unsern Basti, unsern Buam›. Die Melodie kennen Sie ja.»

«Ich habe hier eine Nachricht, die das Wahlergebnis in einem anderen Licht darstellt», sagte Herr Groll und zog einen Zeitungsartikel aus dem Rollstuhlnetz. «Ich darf zitieren: ‹Ein 28-jähriger Holländer ist im Bezirk Rohrbach im oberen Mühlviertel von seinem Navigationsgerät in eine gefährliche Lage geführt worden. Das Gerät schickte ihn auf einen steilen Forstweg. Der 28-Jährige wollte von Kirchberg ob der Donau in die sogenannte Exlau direkt am Fluss fahren. Die Route des Navis führte ihn über einen Forst- und Wanderweg, der selbst mit einem Traktor kaum befahrbar ist. Auf dem Forstweg kam der Holländer ins Rutschen und das Auto schlitterte vierzig Meter tief in eine steile Rinne. Die Polizei musste in der Dunkelheit längere Zeit nach dem abgelegenen Unfallort suchen. Der Mann wurde verarztet, das Auto musste im unwegsamen Gelände bleiben. Es ist bereits der zweite Fall in Kirchberg, bei dem das Navigationsgerät einen Lenker in die Irre geführt hat. Im vergangenen Jahr hatte ein Autofahrer seinen neuen Allradwagen testen wollen und das Navigationsgerät lotste ihn zwischen Kirchberg und Untermühl in der Donauleithe ebenfalls in eine ausweglose Situation.›»*

Der Dozent setzte sich neben Herrn Groll auf die Fersen. «Sie meinen, das politische Navi unserer Landsleute hat versagt, also müssen sie den kommenden Sozialabbau und einen autoritär rechten Kurs im Windschatten der östlichen Donaustaaten hinnehmen?»

«Sie können auch sagen, es geschieht ihnen recht», erwiderte Herr Groll. «Fünf Tage vor der Wahl kann es sich bei dem Text nur um eine Warnung von höchster Stelle handeln.»

«Sie meinen den ‹Ständigen Ausschuß zur Lösung sämtlicher Welträtsel welcher beim Binder Heurigen in Wien-Floridsdorf in Permanenz tagt?›» Der Dozent griff nach dem Zeitungsausschnitt.

«Ich werde diese Mutmaßung weder bestätigen noch verneinen», erwiderte Groll.

Der Dozent studierte den Artikel. «Noch etwas ist in diesem Text auffallend. Es heißt, die Irrfahrten seien schon mehrfach vorgekommen.»

Herr Groll verschränkte die Hände vor der Brust. «In der österreichischen Politik sind Verirrungen die Regel.»

Sie beobachteten einen groß gewachsenen Mann, der vor dem Eingang zum grünen Klub offensichtlich auf jemand wartete.

«Da kann er lange warten», sagte der Dozent nach einer Weile. «Grüne Abgeordnete oder Mitarbeiter der Fraktion wird er hier nicht mehr vorfinden. Das Parlament ist ja in die Hofburg übersiedelt. Hier wird umgebaut.»

Groll nickte. «Die Zweite Republik wird umgebaut. Grüne Hilfskräfte werden nicht mehr benötigt.»

«Es scheint, dass viele Grüne das noch nicht begriffen haben», sagte der Dozent kopfschüttelnd. «Man müsse das Wahlergebnis sorgfältig analysieren und darüber nachdenken, was man falsch gemacht hat, sagen die Abgewählten. Ich frage Sie: Wenn eine etablierte Partei zwischen zwei Drittel und drei Viertel ihrer Wähler verliert, was muss dann schief gelaufen sein?»

«Alles», sagte Groll. «Dazu brauche ich keine Analyse.»

* ORF.at am 10. 10. 2017

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