Karin Berger praktiziert eine Form der respektvollen Annäherung an die Frauen, die man in ihren Filmen kennen lernt. Sie eröffnet zugleich auch einen Erfahrungszusammenhang, der über die jeweiligen individuellen Biografien hinausweist. Karin Berger gehört somit zu jener Generation heimischer Dokumentarfilmschaffender, die sich den Film nutzbar machte, im Sinne einer Gegenöffentlichkeit und für eine kritische Auseinandersetzung mit österreichicher Vergangenheit und Gegenwart. (Isabella Reicher)23. September 2008. Im erlauchten Aurum der Österreichischen Nationalbibliothek feiert eine ausgelassene Weiberschar. Kaum männliche Wesen dabei außer solche wie jener telegene Natascha-Kampusch-Versteher zum Beispiel. Der Verein Wiener Frauenhäuser feiert sein dreißigjähriges Bestehen. So viele Jahre ist es her, dass ein paar Wiener Sozialarbeiterinnen im 9. Bezirk eine große Wohnung organisierten, um geschlagenen und/oder psychologisch terrorisierten Frauen samt Kindern einen Zufluchtort zu bieten. Was gibts da zu feiern? Dass der Weg in ein Frauenhaus auch ein biografischer Wendepunkt sein kann? Vielleicht.
Mitten im Jubiläum zwischen den Laudationes, Resümees und sonstigen Reden eine Lesung von Karin Berger. Sie hat mit Andrea Brem gemeinsam ein Buch geschrieben, aus dem sie mit ihrer einfühlsam sanften Stimme vorliest. Es sind Monologe, zusammengefasste Schicksale, über die sich der Buchtitel Am Anfang war ich sehr verliebt (Mandelbaum Verlag, Wien 2008) als inhaltliche wie psychologisch-pathologische Klammer spannt und gleichzeitig alles umschließt, was zwischen den Zeilen liegt. Frauen erzählen über Martyrium, Gewalt und Unterdrückung, beschreiben Stationen und (Um-)Wege in einen Neubeginn, auf welchen auch immer eines der Wiener Frauenhäuser eine wichtige Rolle gespielt hat. Andrea Brem kam mit der Idee zu Karin.
Wer zum Beispiel ihren sensitiv gemachten Film über Ceija Stojka aus dem Jahr 2000 kennt, weiß warum. Obwohl sie gewohnt ist, ihre Interviews mit einer Kamera zu absolvieren, fand sie sofort auch den Zugang zu den Toninterviews dieser Opfer von männlicher Gewalt. Weil sie sich immer schon mit Frauen und Frauenthemen auseinander gesetzt hat. Die Aufarbeitung der Schilderungen dieser Frauen erinnert Karin an die Arbeit für ein Interviewprojekt über den Widerstand österreichischer Frauen im Nationalsozialismus, das sie zwischen 1981 und 1985 für das BM für Wissenschaft und Forschung machte. Das Dissertationsthema der studierten Ethnologin und Politikwissenschaftlerin war übrigens: Frauliches Wesen und Rüstungsproduktion im Nationalsozialismus.
Die Entrümpelung des Verraunzten
2008 war ein ereignisreiches Jahr für Karin Berger. Außer dem Buch war da noch die langwierige Arbeit mit ihrer Dokumentation Herzausreißer (über die alten und neuen Wienerliedinterpreten und ein paar -innen), der bei der Diagonale und einen Monat später noch einmal im Wiener Gartenbaukino Premiere feierte. Ein super Gefühl. In diesem Kino. Diese Leinwand, auf die jedes Jahr Filmgeschichte projiziert wird. Viele Gespräche, Fachdiskussionen und zum Teil auch Kritik aus der Wienerlied-Versteher-Szene. Das ist so, wenn frau sich ein männlich beherr(!)schtes Gebiet zutraut. Zu wenig Musikwissenschaftliches, kam es von der Filmseite. Nicht das richtige Stück ausgesucht, meldete sich der eine oder andere Musiker. Tonmäßig hat auch nicht alles brilliert.
Karin Berger wollte nicht die Wiener Musikgeschichte aufarbeiten oder neu erfinden, sondern selbst einen Zugang zur alten und neuen Wienerlied-Szene finden. Als Kind im nördlichen Waldviertel mit dem Radio- und Fernsehprogramm der 60er Jahre aufgewachsen war sie, bevor sie mit 14 nach Wien ins Gymnasium kam, diesbezüglich von Heinz Conrads versüßelndem Servas-die-Madln-Programm geschädigt. Was läge ferner als ein Film über ein Wiener Phänomen, das über die NS-geschichtlich bedingten Brüche hinweg sich quasi selbst gereinigt hat?
Brüche aber haben Karin Berger schon immer gereizt, und dass eine Frau zwischen allen Sesseln sitzend das aufgreift, mit unglaublichem Gespür für die Schattierungen zwischen den Zeilen Gedanken, Bilder und Gefühle wälzt, bis etwas Entstaubtes, Entkitschtes und bei aller Schwermut und Trauer ums goldene Wiener Herzerl doch Augenzwinkerndes herauskommt, war ein Glücksfall. Viele Menschen, die bis dahin das Wienerlied nur als aussterbende Untersparte der Volksmusik sahen und nichts verstanden haben von dem, was H. C. Artmann meinte, haben sich dank dieses Dokumentarfilms zum ersten Mal drauf eingelassen.
Genau so, wie Karin Berger ihre wunderbar sensiblen Frauenporträts schon vor dem Herzausreißer gemacht hat, hat sie auch die verraunzte, gern illuminierte Wiener Musik sorgfältig und vorsichtig entrümpelt, Zuckergussschicht um Reblausseligkeit abgezogen und dabei soziale Hintergründe und Zusammenhänge (Textperlen wie I hob kan Zins no zoid, i bin nervös) herausgeschält. Um die ging und geht es ihr immer und bei allem, was sie gerade beackert.
am schwierigsten ist immer das Weglassen
Und am schwierigsten ist immer das Weglassen. Fünf verschiedene Stränge hätte sie verfolgen können und fünf verschiedene Filme machen aus dem Material, das sie auf dem Scheidetisch hatte. So lässt sie ihre Projekte wachsen, wuchern, entwickeln, bis es ihr wieder irgendwo zu viel, zu widersprüchlich, zu verwoben ist. Also wieder zurück. Nicht ganz, aber doch oft auch zum Anfang. Wenn man ihr ein volles Kaffeehäferl in die Hand drückt, wird sie es sicher nicht ausleeren, um auf den Herkunftsstempel auf der Unterseite schauen zu können. Sie würde es wohl vorsichtig hochheben und sich eine Position suchen, von der aus sie auch dorthin sehen könnte, ohne Schaden anzurichten.
Und nach Film und Buch, nach dem Rummel, was kommt dann? Die große Leere? Das nächste Projekt? Das schon in der Schublade liegt? Nein. Erst mal aufräumen. Sicher, da sind inzwischen Schubladen voll Ideen. Aber mit dem Ausmisten kommt einmal das Reparieren und Flicken. Den Schlüssel nachmachen, vom Gartentor, den Karin verloren hat, worauf prompt das einmal vor dem Tor abgestellte Radl gestohlen wurde. Und die hinige Therme. Ein Wochenende, um nicht nur die oberste Schicht vom Schreibtisch abzutragen, sondern bis zum Grund vorzudringen. Fad wird ihr also nie. Zu viele Sachen im Kopf, wo sie sich mal prinzipiell entscheiden müsste. Zuerst muss sie aber zu sich kommen, nachdenken, sich wieder verorten, bevor sie wieder etwas angeht.
Inzwischen ist sie seit 2009 Univ.-Assistentin für visuelle Zeit- und Kulturgeschichte am Institut für Zeitgeschichte Wien, machte eine Video-Installation für die Ausstellung Hieronymus Löschenkohl Sensationen aus dem Alten Wien im Wien Museum. Für okto.tv kuratiert Karin Berger eine Filmreihe zum Thema Die Kunst der Erinnerung und gemeinsam mit Marietta Kesting, Klaudija Sabo und dem Filmarchiv Austria die Dokumentarfilmreihe KUNST-FILM-DOKUMENT. Ob es ihrer Therme wieder gut geht und was sonst noch beim Ausmisten und Ordnungmachen (im Kopf) so herausgekommen ist, wird uns Karin Berger vielleicht beim persönlichen Publikumsgespräch am letzten Tag ihrer Personale bei den FrauenFilmTagen erzählen
Info:
FrauenFilmTage 2010
25. 2., Eröffnungsfilm: Nothing Personal von Urszula Antoniak (NL 2009) bis 4. 3.
in Filmcasino und Filmhaus Kino am Spittelberg
www.frauenfilmtage.at
Folgende Filme von Karin Berger werden im Filmhaus Kino gezeigt:
28. 2., 15 Uhr
Küchengespräche mit Rebellinnen (1984, gemeinsam mit Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori) über Österreicherinnen, die vom politischen Widerstand während des Nationalsozialismus erzählen.
1. 3., 19.30 Uhr
O!Fortuna! Work in progress (1991/1995/2003, 5 Min. DF) und Ceija Stojka (2000), Porträt einer Romni, das der Lebensgeschichte der Autorin und Malerin nachgeht.
3. 3., 21.30 Uhr
Tränen statt Gewehre (1983, 30 Min.), in dem Anni Haider vor dem Hintergrund der chronologischen Ereignisse der Februarkämpfe 1934 erzählt, und Kein Ort für Slowenen (1990 gemeinsam mit Lotte Podgorek, 27 Min.), Porträt von Marija Olip, das eindringlich das Schicksal einer Kärntner Slowenin im Zusammenhang mit dem NS-Regime schildert.
Jeweils nach den Vorführungen gibt es Diskussionen und die Möglichkeit für Publikumsgespräche mit Karin Berger.
Kurzinfo zur Person
Aufgewachsen in Hoheneich, im Norden des Waldviertels, kam Karin Berger mit 14 Jahren nach Wien in das Internat der Höheren Bundeslehranstalt für Wirtschaftliche Frauenberufe. Nach der Pädagogischen Akademie ab 1974 längerer Aufenthalt in den USA und in Mexiko. Beginn des Studiums der Ethnologie und Politikwissenschaft in Wien. 19751978 Lehrerin an einer Allgemeinen Sonderschule in Wien. 1978 Studienaufenthalt am Amazonas in Belém/Pará in Brasilien. 1979/1980 Sekretärin bei der Sozialistischen Jugend Österreichs, leitende Redakteurin der Verbandszeitung Trotzdem.
Ab 1980 freie Projektarbeit, freiberufliche journalistische Tätigkeit mit den Schwerpunkten Entwicklungs- und Frauenpolitik und Dokumentarfilm und erste eigene Filme. (Webtipp: www.karinberger.at).