Hilfe, ich werde bedauertDichter Innenteil

Oft sind bürokratische Hürdenläufe auf Ämter vorprogrammiert. Um eine bestimmte Information vom Amt zu erlangen, wähle ich hoffnungsfroh eine Nummer und erreiche die Vermittlung. Kurz schildere ich meine gegenwärtige Situation – also dass ich im Rollstuhl sitze etc. – und erwarte nun, an die richtige Nebenstelle weiter verbunden zu werden. Doch ich habe die Rechnung ohne das Telefonfräulein gemacht. Als ich nämlich erwähne, dass ich eine Rollstuhlfahrerin bin und daher diese bestimmte Auskunft für mich sehr wichtig sei, erwecke ich plötzlich ein immenses Mitgefühl. Anstatt mich einfach weiter zu verbinden, werde ich von ihr ob meiner Situation mit Anteilnahme überhäuft. Sie fragt mich, wie ich denn damit fertig werde. Sie hätte nämlich dasselbe Geburtsdatum wie ich und sei sehr betroffen von meinem schweren Schicksal.Nachdem ich kurz und kühl erwidere, dass ich mich mit meinem Leben ganz gut arrangiert habe, bitte ich sie nochmals inständig mein Telefonat an die zuständige Stelle zu leiten. Erst als ich zugebe und einsehe, wie bedauernswert ich eigentlich bin, werde ich endlich weiter verbunden. An die falsche Nebenstelle.

Nun, solche Vorfälle wiederholen sich in verschiedenen Variationen des Öfteren manchmal ganz lustig, jedoch meistens sehr lästig. Egal ob in Wien oder Kärnten, in der Stadt oder am Land. Die Menschen wollen wissen, warum wir im Rollstuhl sitzen. Viele können es einfach nicht akzeptieren, dass es nun mal so ist, und es als Faktum annehmen. Manche sprechen dir das Glücklichsein ab, nur weil du rollend statt gehend die Welt erlebst. Nicht wichtig, ob du schon 10, 20 oder 30 Jahre darin verbringst. Fremde Menschen sprechen dich auf der Straße an und sagen, dass du die Hoffnung nie aufgeben solltest (dabei habe ich die Hoffnung auf ein wundervolles Leben eh beibehalten, nur die Hoffnung, dass diese lästige Anteilnahme jemals ein Ende hat, schwindet allmählich) und klopfen dir aufmunternd auf die Schulter. Tagtäglich wollen sie es von dir wissen und fordern Auskunft. Egal ob beim Zahnarzt, am Sportplatz oder beim Friseur. Sie müssen es wissen! Was passiert eigentlich, wenn ich es Ihnen nicht erzähle?! Zerplatzen sie dann vor Neugier, oder was?

Als ich eines Tages in Klagenfurt meinen Wagen einparkte (ja, ich fahre Auto, obwohl ich im Rollstuhl sitze), ausstieg und die Tür verschloss, vergaß ich die auf dem Nebensitz liegende Tasche, die ich unbedingt benötigte. Der Nachbarparkplatz war verparkt, ich konnte also mit meinem Rolli von außen nicht die andere Tür öffnen. Ich müsste wieder raus aus dem Rolli, rein ins Auto, um zu dieser Tasche zu gelangen. Diesen Aufwand wollte ich mir ersparen und bat eine ältere Dame, mir bitte meine Tasche aus der anderen Seite des Autos zu holen. Sofort wurde ich gefragt, warum ich überhaupt im Rollstuhl sei, wie alt ich denn eigentlich sei und ob ich wenigstens einen Ehemann hätte. Als ich die Informationen widerwillig gab, drehte sie sich zufrieden um und ging meine Tasche lag noch immer wartend im Auto.

Wenn man als RollstuhlfahrerIn z.B. einen Friseursalon besucht, ist man gut beraten, möglichst einsilbrig zu sein, denn wehe sonst. Sie kommen zum Friseur und bitten um eine halbwegs annehmbare Frisur. Harmlos nett lächelnd wäscht die Friseurin nun ihre Haare und greift schließlich zur Schere. In diesem Augenblick verwandelt sie sich in ein Monster und zwar in ein Fragemonster. Ihre Augen funkeln rot und aus der Nase glaube ich Rauch aufsteigen zu sehen. Mir wird angst und bange. Sie setzt zum Schneiden an, schwer liegt ihr etwas auf der Zunge. Darf ich sie was fragen? Drohend wartet sie mit hocherhobener Schere auf meine Antwort. Ja, hauche ich ängstlich (schließlich möchte ich mit einem annehmbaren Haarschnitt diesem weiblichen Assingerverschnitt entkommen) und ahne, was jetzt folgt. Fragen über Fragen über meine Behinderung und wie man denn mit so was fertig werden könne; und sie die mitleidigen Fragenden – könnten nie damit fertig werden! Sie bewundere uns ja alle so, meint die Friseurin, und ich möchte doch nur einen Haarschnitt!

Haben Sie ein Prostata-Leiden?

Gemütlich schiebt mich mein Mann mit dem Rollstuhl durch die Stadt und schließlich landen wir am Hof. Es riecht nach gebratenen Würsteln, das Wasser rinnt uns im Mund zusammen. Steirertage sind angesagt – und das heißt, bäuerliche Produkte aus der schönen grünen Mark werden feilgeboten. Wir sind schon etwas müde und fragen einen älteren Herrn, ob wir uns zu ihm auf die Bank setzen dürfen. Er nickt lächelnd und mein Mann und ich gesellen uns mit einem Krügerl Bier und meinem berühmten Pfefferminz-Tee zu ihm. Allmählich kommen wir ins Gespräch und erfahren so manchen Jugendschwank. Plötzlich wird unsere anregende Kommunikation herb durch eine Männerstimme, welche ungeduldig vom Nachbartisch zu uns rübergrölt, unterbrochen.

Etwas verdutzt sehen wir drei uns an und ich frage zwecks besseren Verständnisses, was der grollende Mann von uns wohl wissen wolle. Ganz unmotiviert und ungeduldig schlägt mir ein Warum sitzt du denn do drin? entgegen. Ich stelle mich unwissend, übergehe seine Neugier und proste ihm mit gespielter Höflichkeit zu. Er motschgert vor sich hin und ich wende mich wieder dem netten Herrn und meinem Mann zu. Eine kurze, betretene Stille folgt, als unser lieber, alter Herr langsam seinen Kopf hebt, sich mir zuwendet und anmerkt: Unmöglich, solch eine Indiskretion! Das nächste Mal, wenn sie jemand Fremder plötzlich auf diese Weise anspricht, fragen Sie ihn einfach, ob er an Prostata leide. Wenn er dann erbost verneint, beteuern sie, dass Sie es aber ganz genau an seiner Nase erkennen können. Mein Mann und ich grinsen dankbar – und unsere Welt ist wieder im Lot.