Hinauf mit der KunstArtistin

Balthasar Bosshard, aka Blumenmalermeister, lässt sich von der Kamera nicht ablenken (Foto: Tobias Ludescher)

In einem Isolation Camp werken Künstler:innen verschiedener Gattungen zusammen – in der Natur, abseits der Zivilisation und des Alltagstrotts. Ende Juni fand es auf einer Hütte ganz in der Nähe von Wien statt – zum ersten, aber nicht zum letzten Mal.

Eine ausgewählte Gruppe von Menschen trifft sich an ­einem ausgewählten Ort für eine ­bestimmte Zeit, um dort Kunst zu machen. Ohne vorgegebenes ­Thema und ohne Regeln: Was entsteht, das entsteht aus dem Moment, aus den Launen der Gruppe heraus, ohne definierte Vorgaben. Dann gehen alle wieder nach ­Hause und versuchen möglichst viel an neuen Erfahrungen mitzunehmen.
Vernetzung aller Art. Das ist das Konzept der Isolation Camps, wie sie Tobias Ludescher veranstaltet. Der Vorarlberger, der mittlerweile in Wien lebt, ist selbst in einem künstlerischen Umfeld aufgewachsen. Sein Vater ist der Feldkircher Maler und Bildhauer Hannes Ludescher. Die Idee entstand in Vorarlberg, wo Tobias mit der Pirate Movie Production Snowboard-­Filme produzierte und diese über Kunstbücher verkaufte. «In dem Projekt waren viele Künstler mit wirklich guten Skills involviert, die ich sehr geschätzt und als Freunde betrachtet habe.» Das Manko: Sie lebten an verschiedenen Orten. «Darum habe ich sie eingeladen und mit Vorarlbergern zusammengebracht. Das hat sich so gut angefühlt, dass ich mir vorgenommen habe, jedes Jahr so ein Treffen zu veranstalten. Das Ziel war, ­unter dem Jahr Kontakt zu halten und sich dann einmal im Jahr zu treffen.» Das Konzept ist aufgegangen: Das heurige Isolation Camp, das im Juni in der Hans-­Nemecek-Hütte bei Gießhübl im Wienerwald stattfand, war bereits das 24. in 13 Jahren.
Zu einem Isolation Camp kann man sich nicht anmelden. Wer dabei sein will, kann es sich zwar wünschen, aber man wird eingeladen. Tobias, der die Leute auswählt, versucht eine Mischung aus Gästen aus dem Vorjahr und neuen Interessierten, die zur Gruppe passen, zusammenzustellen. Es sollen «offene und lernfähige Persönlichkeiten mit Talent und ­Hingabe in mindestens einer Kunstform sein», ­erklärt er und wünscht sich soziale Leute, die bereit sind, sich sowohl künstlerisch als auch zwischenmenschlich auszutauschen. Die Auswahl hängt auch von der ­Location ab: «Wir hatten einmal eine Hütte auf über 2.000 Metern Höhe, zu der man drei Stunden wandern musste. Da sind dann keine Musiker mit schweren ­Instrumenten ­dabei», sagt Tobias.
Das Extrakt der mehrtägigen Bemühungen findet seinen Niederschlag dann in Ausstellungen und bisweilen auch in ­einem Buch oder einer Schallplatte, je nach der Menschenmelange. «Und in dem, was die Leute für sich mit nach ­Hause nehmen.»

So far, so good?

Hauptdarsteller eines Isolation Camps ist der Ort, an dem es stattfindet. «Die Hütte definiert natürlich ­alles: die Dimension, wie viele Leute kann man einladen», sagt Tobias. «Wie ­viele Aufenthaltsräume gibt es? Kann man mehrere Gruppen bilden?» Und auch die «entschleunigende Wirkung» des Ortes spielt eine wesentliche Rolle. Die Nemecek-Hütte auszuwählen, sei ein Experiment ­gewesen, allerdings «wussten wir schon am ersten Abend, dass wir wieder hierherkommen wollen. Die Hütte ist nah an der Infrastruktur und trotzdem in der Natur.» Nah bedeutet bei der nach dem Alpi­nisten Johann Nemecek benannten und 1950 zu seinen ­Ehren vom Alpenverein erbauten Hütte einen 20-minütigen Marsch zur nächsten Bushaltestelle. Trinkwasser gibt es auf der Nemecek-­Hütte keines; es muss in Kanistern mit einem Kleintraktor hochgebracht werden; wie auch Lebensmittel und andere schwerere Gegenstände. Auf der Hütte wird ­Regenwasser für den täglichen Gebrauch gesammelt, beispielsweise für die offenbar aus den Gründertagen ­stammende Gießkannendusche vor dem Küchenfenster. Elektrischer Strom wird mittels Photovoltaik-Elementen am Dach erzeugt, was bei Schlechtwetter nicht unbedingt für helle Freude sorgt. Für Notfälle gibt es ein Dieselaggregat im Keller. Diese Ausstattungsdetails und rätselhafte Öffnungszeiten haben bislang dafür gesorgt, dass die Nemecek-Hütte nicht als Wanderziel bekannt ist. «Wir haben die Hütte praktisch nie geöffnet angetroffen», erinnert sich etwa Peter Hiess, Autor des Buches Wandern im Wienerwald (Falter Verlag). Damit ist die Nemecek-Hütte recht prädestiniert für Künstler:innen, die in der Einsamkeit werken wollen, ohne sich dabei von der Zivilisation ablenken zu lassen. Und die Aussicht ist wunderschön: Sie reicht von der Ortschaft Gießhübl bis zum Horizont.

Gemeinsam in der Isolation

Zehn Tage lang waren diesmal um die zehn ­Isolation-Camper:innen dabei, nicht alle blieben die ganze Zeit. Mindestens aber drei Tage, das gibt Tobias vor. Ein wenig Arbeit ist auch dabei. Wer zur ­Hütte kommt, muss zunächst zur Axt greifen. «Das gehört dazu», sagt ­Tobias und wirft die Hacke in Richtung eines hohen Holzstocks, in dem sie tatsächlich stecken bleibt. Im Aufenthaltsraum wird ­gemalt und gezeichnet, in der Küche läuft ­gerade der Versuch, den Holzkochofen anzuwerfen.
«Die Hütte ändert das ­Zusammensein», sagt Camper Michael Hacker. «­Alles ist wichtig: die Aufteilung der ­Küche, die ­Größe des Zeichentisches. Rituale, die man im Alltag nicht hat, wie ­beispielsweise Wasser holen und ­Feuer machen. Wenn ich nach ­einem Camp das erste Mal im Super­markt einkaufen bin, habe ich immer ein komisches Gefühl. Vieles erscheint einem so unnötig.» Der Comiczeichner und Illus­trator trägt Mitschuld an den Camps: Er und ­Tobias Ludescher wussten zwar lange voneinander, kannten sich aber nicht. Vor «gut 13 Jahren trafen wir uns zufällig am Bahnhof von Feldkirch», sagt Michael. «­Tobias hat mich direkt am Bahnsteig eingeladen.» ­Gemeinsam gründeten sie später den Kulturverein Alpine Art, der hinter den Camps steht.

Kreativurlaub

Lizzy aus Linz, die ­unter dem Namen Missfelidae Illustration ­arbeitet und in echt Lisa Arnberger heißt, ist zum zweiten Mal bei einem Camp ­dabei. «Man braucht ein, zwei Tage bis man reinkommt», sagt sie. «Dann geht es eh los, dass man den ganzen Tag zeichnet, sich unterhält, kocht. Für mich ist das irgendwie Kreativurlaub, mit Menschen, denen die gleichen Dinge nahe sind.» Auch für sie steht Entschleunigung im Mittelpunkt: «Ich lasse mich einfach inspirieren, von den Leuten, von Dingen, die man sieht, es gibt hier so viel.» Auch Samuel Jordi, ein «freischaffender Illustrator an der Grenze zur Kunst» aus Winterthur in der Schweiz, gibt der Aufenthalt «neue Energie, neue Ideen, neue Vibes, einen neuen Anschub für eigene Projekte». «Man ist in einer Zeitkapsel hier, es darf etwas entstehen», sagt er. Und nichts sei resultatgetrieben.
«Die Leute kommen an und akklimatisieren sich», sagt Tobias. «Manchmal muss man auch zwei bis drei Tage nur schlafen, Leute kennenlernen und die Umgebung erforschen. Man muss wegkommen von der Erwartungshaltung von ­außen. Ein paar Aufgaben müssen verteilt werden, beispielsweise wer kocht. Aber das ergibt sich ganz organisch.» Vom Speiseplan hängen nicht zuletzt auch die Teilnahmekosten ab. «Das Ziel ist, dass sich auch Künstler, die keine Kohle haben, das Camp trotzdem leisten können.» Derzeit betragen die Kosten 20 Euro pro Tag, inklusive Verköstigung: «Das ist billiger als der normale Alltag», sagt Tobias, der sich wünscht, dass die Idee der ­Isolation Camps aufgegriffen und von «anderen Leuten mit ihren Netzwerken umgesetzt wird». Das ist teilweise schon der Fall. In der Steiermark betreibt Paul ­Riedmüller, der schon bei den ersten Events ­dabei war, einen auf Spiele fokussierten «Seitenstrang» der Isolation Camps.
Es mögen viele weitere Camps kommen, die der Kreativität freien Lauf lassen!

www.isolationcamp.com