Hinter den Kulissen der Barbara-Karlich-ShowArtistin

Einmal im Fernsehen sein...

„Nur einmal möchte ich in der Barbara-Karlich-Show sein“, meinte eine Kollegin zu mir, „da würde ich es denen einmal ordentlich rein sagen, denn ich hätte viel zu sagen…“ Allerdings ist das leichter gesagt als getan. Nein, das ist sogar unmöglich.Nichts wird in dieser – jeden Wochentag um 16 Uhr – vom ORF 2 ausgestrahlten Talkshow dem Zufall überlassen.

„Mutter“ dieser (und anderer ähnlicher Sendungen) war zweifellos der legendäre „Club 2“ in den 70er und 80er-Jahren.

Doch während viele Club 2’s in die Fernsehgeschichte eingingen, oft wegen ihrer Brisanz für Aufregung und wochenlange Diskussionen sorgten, bleibt die Karlich-Show seichte, schnelllebige TV-Konsumationskost, die niemanden wirklich aufregen kann.

Ein weiterer Unterschied ist, dass der Club 2 (zwar zu sehr später Stunde) immer live gesendet wurde, die Karlich-Show hingegen wird schon vorher aufgezeichnet, sodass jedes, von der Redaktion unerwünschte Statement, wieder rausgeschnitten werden kann.

Der Club 2 wurde u.a. auch deswegen schließlich eingestellt, weil er angeblich mit durchschnittlich 300.000 bis 400.000 Zusehern zu wenig Leute erreicht hatte.

Die Karlich-Show hat zu einem wesentlich besseren Sendetermin in etwa gleich viel Reichweite, was hier jedoch als großer Erfolg gefeiert wird.

Am 5. Februar wird AUGUSTIN-Mitarbeiter Gerald Grassl Gast in der Sendung zum Thema „Verantwortung“ sein.

Anlass dafür war sein Artikel im letzten AUGUSTIN (Nr. 68, Jänner 2001) über das Gerücht, dass der Schriftsteller Georg Biron tot sei, er im Zuge seiner Recherchen jedoch herausfand, dass der Totgesagte lebt…

Aber was hat das mit dem Thema „Verantwortung“ zu tun?

Na, weil der Grassl überhaupt beim Biron angerufen und sich nach dessen Befinden erkundigt hat, während alle anderen die schauerliche Geschichte unhinterfragt einfach weitergetratscht haben. Eigentlich bloß die normale Arbeit eines Journalisten, aber trotzdem ein nettes G’schichtl – auch für die Karlich-Show.

Eine Redakteurin der Sendung trifft sich mit Georg Biron und Gerald Grassl zu einer Vorbesprechung in einem Kaffeehaus.

Wir zahlen aus Prinzip nichts

Beide waren bereits in einigen Talkshows zu Gast und deshalb lautet Birons erste Frage: „Wieviel bezahlt ihr?“

Antwort: „Aus Prinzip nichts.“

„Bei der Meiser-Show in Deutschland erhielt ich 1.500,- DM plus Flug und Aufenthalt, der Club 2 zahlte 3,000.- plus Spesen. Sagen Sie mir einen guten Grund, weshalb ich mich dann in Ihre Sendung setzen soll?“

Antwort: „Sie könnten damit Werbung für Ihr neuestes Buch machen…“

Biron: „Es gibt von uns beiden derzeit kein neues Buch. Der Gerald könnte wenigstens Werbung für den AUGUSTIN machen. Aber ich?“

Achselzucken.

Biron: „Wenn man im Club 2 als Schriftsteller vorgestellt wurde, konnte man sicher sein, dass am Tag darauf die Nachfrage nach seinen Büchern sprunghaft stieg. Aber Ihr Publikum liest keine Bücher, sondern schaut schon am Nachmittag fern. Da verkauft man nicht ein Buch zusätzlich.“

Verlegenheit.

Biron: „Außerdem machte der ORF im letzten Jahr ca. 600 Millionen Schilling Überschuss, vom Beleuchter bis zur Barbara Karlich verdient jeder der Beteiligten recht anständig. Nur diejenigen, von denen die Show schließlich überhaupt lebt, sollen nichts bekommen? Also noch einmal: Nennen Sie mir einen guten Grund, weswegen jemand, der nicht ganz bescheuert ist, sich in Ihre Sendung setzen soll?“

Die Dame weiß keinen triftigen Grund. Aber weil sie recht nett ist, für die ganze Misere nichts kann und dann auch noch die Rechnung bezahlt, sagen ihr die beiden Autoren doch ihr Kommen zu.

Die Sendung wird bereits am 22. Jänner in der „Film-Stadt“ in der Speisinger-Straße aufgezeichnet. Die Aufzeichnung beginnt um 20 Uhr, doch die Gäste sollten bereits wegen Schminken, Mikro-Probe usw., bitte schon um 19 Uhr anwesend sein.

Die beiden Autoren sprechen zuvor ab, welche „Botschaft“ sie „rüberbringen“ wollen: Gerüchte und Tratsch nicht einfach weiter zu verbreiten, ohne das Gehörte zu hinterfagen, weil man damit wirklich böse Dinge auslösen kann…

Talk-Shows im ORF werden wie am Fließband produziert.

An diesem Aufnahmetag sind drei Aufzeichnungen geplant. Die erste von etwa 18 bis 20 Uhr zum Thema „älterer Herr sucht junge Dame“ oder so ähnlich, die zweite eben über „Verantwortung“ und die dritte von 22 bis 24 Uhr irgendetwas über Motorradfahrer oder Tätowierungen…

Eigentlich ein Vertrag wider alle guten Sitten

Um etwa 18,30 Uhr treffen Biron und Grassl in der „Film-Stadt“ ein. Sie werden in ein kleines, kahles Gästezimmer geführt, in dem andere Kandidaten von diversen Shows bereits aufgeregt bei Kaffee, Snacks und Kuchen auf ihren Auftritt warten.

Am Gang eilen aufgeregt Leute hin und her, die dann in der Show im Publikum sitzen werden. Viele von ihnen wollen sich auf der Toilette noch extra dafür umziehen und schminken.

Die Teilnehmer der Show müssen zuvor noch einen Vertrag unterschreiben, der eigentlich gegen alle guten Sitten ist: Sie treten alle Rechte unhonoriert ab, versprechen, dass sie ein Monat lang in keiner anderen Show auftreten werden und nichts, was sie während der Aufnahmearbeiten sehen und hören, weitererzählen werden, sich also zum absoluten Stillschweigen verpflichten, als ob sie es mit einer strengen religiösen Sekte zu tun hätten.

Danach schminken, das versteckte Mikro befestigt, und dann heißt es warten, warten, warten.

Eine junge Frau ist ziemlich fertig: „Ich sitze nur im Publikum, der Papa am Podium. Er war Alkoholiker und ist nun seit drei Jahren trocken. Sie wollen mich dann fragen, ob und wie er sich während dieser Zeit verändert hat…“

Man gibt ihr gut gemeinte Ratschläge, und dann muss sie bereits los, hinaus ins Studio.

Im Gästezimmer wird der Monitor angeschaltet. Frau Karlich tritt im lila Kleid auf. Das Publikum applaudiert, aber nicht laut genug, daher wird ihr Auftritt wiederholt. Aber der Publikumsapplaus ist noch immer nicht laut genug, darum noch einmal.

So jetzt passt’s.

Auf dem Podium sitzt ein Mann, von Beruf Kellner und erzählt zaghaft von seiner Alkoholiker-„Karriere“. Aber was hat das mit dem Thema „Verantwortung“ zu tun? Na ja, schon. Er war so verantwortungsvoll und hörte mit dem Saufen auf. Die Tochter kommt im Publikum zur Angelegenheit zu Wort. Und dann: Der Papa hatte sich vor einem dreiviertel Jahr scheiden lassen und lebt nun mit einer anderen Frau zusammen. Und – Überraschung!!! Diese Dame sitzt „zufällig“ ebenfalls im Publikum. Das Problem besteht darin, dass die Tochter 0 Interesse zeigt, die Nebenbuhlerin ihrer Mutter kennenlernen zu wollen. Barbara Karlich zur Tochter: „Willst du nicht doch dieser Frau, die nur 7 Meter entfernt sitzt, die Hand geben? Der Papa würde sich darüber wahnsinnig freuen“.

Die Tochter bleibt angefressen bei ihrem Nein.

Happy end muss sein im Notfall durch Vergewaltigung

Das aber ist in der Show nicht vorgesehen. Man braucht ein happy end. Daher wird nun unterbrochen und Frau Karlich redet beschwörend auf die unwillige Tochter ein. Die junge Frau läßt sich schließlich tatsächlich zu einem unwilligen shake-hands breitreden. Eigentlich eine „Vergewaltigung“. Aber: The Show must go on!

Als nächstes ist eine 52-jährige Frau dran. Sie wurde als Kind von der Mutter an Pflegeeltern übergeben. Im Erwachsenenalter machte sich die Frau auf die Suche nach der leiblichen Mutter, fand sie und wurde von ihr mit den Worten „Belästigen Sie mich nie wieder!“ abgewiesen.

Die Frau bricht am Podium weinend zusammen. Schnitt. Unterbrechung. Die Frau muss getröstet werden. Schließlich kann es weitergehen. Als nächstes ist ein 39-jähriger Mann mit einer ähnlichen Geschichte dran. Auch er wurde von seiner Mutter im Kindesalter weggegeben. Er ist Krankenpfleger geworden. Vor zwei Jahren liegt seine leibliche Mutter vor ihm plötzlich in einem Krankenbett. Er gibt sich ihr zu erkennen. Sie schreit bloß erschreckt auf, tut aber dann weiterhin so, als ob sie mit ihm absolut nichts zu tun hätte. Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, rührte sie sich nie wieder bei ihrem Sohn…

Eine junge ausgeflippte Frau kommt nun auf die Bühne…

Biron und Grassl müssen sich inzwischen auf ihren Auftritt vorbereiten. Grassl hält eine Nummer vom AUGUSTIN in der Hand.

„Den müssen Sie weggeben, denn so eine Werbung ist nicht gestattet…“

„Ich bestehe darauf, sonst geh ich sofort wieder.“

Also gut.

Die beiden erzählen kurz die Geschichte ihres Hierseins und wollen nun ihre „Botschaft“ mitteilen, aber Frau Karlich deutet ihnen ruhig zu sein, denn „das wars für heute wieder meine Damen und Herren hier im Studio und bei Ihnen zu Hause, ich hoffe es hat Ihnen gefallen…“ usw.

Kurz jedem die Hand geschüttelt, auf Wiedersehen. Signation.

Die Leute können nach Hause gehen. Die Dame mit dem Nervenzusammenbruch und die Tochter des ehemaligen Alkoholikers bräuchten nun gewiss eine Möglichkeit, sich auszureden oder auch auszuweinen, aber so etwas ist hier – im Gegensatz zum ehemaligen Club 2 – nicht vorgesehen.

Biron: „In den deutschen Shows gibt es dafür extra Supervisoren, die diese Leute auffangen und ihnen psychischen Beistand bieten…“

Das war’s. Die nächste Show wird vorbereitet.

Biron: „Und? Was haben wir davon?“

Grassl: „Nichts. Eine Erfahrung mehr, auf die man gerne verzichten kann…“

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