Wie Weiland Smoky verachtet auch Hans-Dieter das "Affentheater"
Bist du Lebenskünstler? Sandler? Weltstreicher? Clochard? Aussteiger? „Mia is des wuascht, wia ana sogt. Ich bin einer, der leben will. Ich steig ein ins Leben, drum bin ich eigentlich kein Aussteiger.“ Ein Gespräch mit Hans-Dieter, 56, der vor fünfeinhalb Jahren zum Augustin kam und einer der erfolgreichsten Kolporteure ist, -weil er beim Verkauf in den Beisln nicht weniger den Komödianten hervorkehrt als in der Theatergruppe des Augustin.Mit 18 Jahren hielt er seinen Alten nicht mehr aus. Er habe dem Vater eines Tages aus irgendeinem Grund „a Watschn gebn, und er hat mich rausgeschmissen“, erklärt Hans-Dieter. Dabei war Vater selbst der größte Anhänger der These, leichte Schläge gegen den Hinterkopf erhöhten das Denkvermögen. Kein Wunder, er war bei der SS, sagt Hans-Dieter. Die Mutter war bereits gestorben, als Hans-Dieter 11 war.
Warum aus ihm, gemessen an den Kriterien der Leistungsgesellschaft, nichts „Anständiges“ geworden sei? „Wenn ich Geld hab, juckts mich, und ich will andere Kulturen kennen lernen -„hinter mir die Sintflut“. Dann auf in den Süden. Und dann hab ich wieder kein Geld. Aber was soll ich tun, ich bin kälteempfindlich.“ Von einem dieser Trips kam er ganz armselig zurück. „Im Herbst 1977 flog ich für ein Jahr nach Thailand. So der Plan. Schon Mitte Jänner ging mir aber das Geld aus. Bin zurückgeflogen nach Schwechat, mit T-Shirt und Schlapfen im österreichischen Schnee gestanden, ohne Wohnung, ohne Arbeit, ohne Geld. Gewohnt habe ich dann in der Waggonie, das Wort sagt euch was, will ich meinen. Nach drei Monaten ist mir dieses Sandlerleben zu blöd geworden, und ich las beim Arbeitsamt, dass ein Gärtner gesucht werde. Es stellte sich heraus: Der Obergärtner war der Geselle meiner Lehrstelle. In zwei Jahren mach ich mich selbständig, dann kannst du meinen Job hier übernehmen, versprach er mir. Dann kam die Anti-Zwentendorf-Bewegung. Ich bin gegen Atomkraft. Ich habe gekündigt. Und ging nach Marokko …“
Äußerlich erinnert beim schlaksigen Hans-Dieter wenig an das Augustin-Original Smoky, der die Welt, dessen vorherrschende Verhältnisse er bei jeder Gelegenheit verlachte, vor sieben Jahren verließ. Doch Hans-Dieter teilt Smokys Lust, die Erdkugel im Rhythmus eines zeitgenössischen Nomaden kennen zu lernen, und er teilt Smokys Philosophie. Gedanklich folgen wir Hans-Dieter in die Zeit des „Sandlerkönigs“. Wiens Sandlern machte es wahrscheinlich wenig aus, dass Smoky sich selbst zu ihrem König erklärt hatte. Wirklich König war er nur in dem Sinn, dass ORF-Reporter u. ä. nach seiner Pfeife tanzten. Smoky kannte ihren Hunger nach quotenbringenden exotischen Originalen und pfiff sie herbei, wenn er wieder einmal in einer Sendung vorkommen wollte: eine Symbiose zwischen der Hochstapelei eines Niedergesunkenen und der Niedertracht der Hochkultur, ein abgebrühtes Abkommen zwischen „Abschaum“ und Absatz. Als Smoky vor sieben Jahren aus seinem Schlaf auf einer Sitzbank im linksradikalen Café Dogma nicht mehr erwachte, war kein Nachfolger als König von Wien in Sicht. Dafür schillerten die möglichen Anwärter zu wenig. Nur seinem lädierten Körper und seiner Hassliebe zum Augustin war es zu verdanken, dass Weltstreicher Smoky sich in den letzten Jahren seines Lebens sesshaft in Wien aufhielt. „lch habe einen Schwur geleistet, als ich die Bundeserziehungsanstalt für Schwererziehbare überlebt hatte“, sagte Smoky. Erstens: „Ich kehre nie mehr zurück ins Affenrennen“ – so nannte er die neoliberalistische Speed-Diktatur. „Zweitens: besser in der Wildnis zu sterben als ein Sklave zu sein.“
Einer von denen, die mit dem Löffel durch die Stadt zogen
Das Schicksal habe ihn mit diesem Augustin-Urgestein zusammengeführt, lang bevor es den Augustin gab, erzählt Hans-Dieter. „Den habe ich Anfang der 70er Jahre in Katmandu kennen gelernt. Ich, jung und unschuldig, fang in einem Lokal mit einem Menschen zu reden an. Unverkennbar ein Fremdling wie ich. Where do you come from, fragte ich ihn. From Vienna, sagte Smoky. Und ich: Owa i bin a Weana“.
Auch Hans-Dieter hat dem Affenrennen den Rücken zugekehrt. Die Bedingungen dafür haben sich gebessert, seit der Augustin in sein Leben trat. „Ich hab mir den Augustin immer gekauft. Früher gab es da immer ein Eigeninserat drin: Termin für NeueinsteigerInnen. Ich war längst nicht mehr obdachlos, aber mir ist es finanziell dreckig gegangen damals, vor fünfeinhalb Jahren. Ich war einer von denen, die mit einem Löffel durch die Stadt zogen. Mit dem Löffel für die Klostersuppe. Als Augustinverkäufer hast du einen großen Vorteil: Dein Tag hat 24 Stunden. Du kannst verkaufen, wann du willst und wie lang du willst. Wenn meine anderen Kollegen sagen, ,Ich hör jetzt auf‘, fang ich erst an mit der Kolportage. Mir macht das Augustinverkaufen Spaß. Seit Ende April 2001 bin ich beim Augustin. So lange war ich noch bei keiner Firma“, grinst der „Ins-Leben-Einsteiger“.
Vielleicht weil seine früheren Firmen keine Schauspielabteilungen hatten. Das „K“ im Namen der Theatergruppe des Augustin („11%K.Theater“) steht aus Hans-Dieters Sicht für „kaotisch“. Sich in Szene zu setzen ist Hans-Dieters Talent, das er im Laienensemble ebenso freisetzt wie in der Kolportage. Seine Präsenz im 11%K.Theater ist quasi nur die Steigerung seiner 12,2%K.Kolportage (die unterschiedlichen Prozentzahlen bezeichnen die Steigerung der Wiener Reichweite des Augustin laut Media-Analyse). Dazu Hans-Dieter: „Wir lernen keinen Text auswendig. In den Proben kristallisiert sich heraus, welche Rolle wem Spaß macht. So werden die Rollen verteilt. Dann wird improvisiert. Wie wir meine Kunden bestätigen, spiele ich auch beim Verkaufen Theater, ich komme also von der Bühne gar nicht weg. Ich biete den Augustin als Nachspeise nach der Nachspeise an. Schokopalatschinken gibt’s bei der Kellnerin, den Augustin gibt’s bei mir. Meine Verkaufserfolge erreiche ich dadurch, dass ich mir immer was Neues einfallen lasse.“
Am liebsten verkauft Hans-Dieter in Lokalen, die er als „eher links“ einschätzt. „Ich betreue 25 Lokale. Drunter sieben mit einer Qualität, dass ich hängen bleib. In den Lokalen, in denen ich verkehre, gibt’s keine ausländerfeindlichen Kommentare, die ich einfach nicht mehr aushalte.“ Dass die Linken „untereinander nur streiten“, störe ihn gewaltig, meint unser Gesprächspartner. Dennoch schlage sein Herz links. Gern erinnert er sich an den Höhepunkt seiner aktivistischen Zeit. „Mit Fahrrad, Schlafsack und Rucksack“ nahm Hans-Dieter Ende der 80er Jahre an der Besetzung der A4-Baustelle an der Leitha teil. Rückblickend erlebte er diese politische Intervention von unten als „gmiadlich“. – „Wir waren eingestellt auf einen weichen Widerstand.“ Die fehlende Militanz ermöglichte den Draht zur lokalen Bevölkerung. „Die Bauern versorgten uns mit Speis und Trank“, betont Hans-Dieter.
Er sei eingefleischter Single. So lang er Herzerl in seinen Augen stehen habe, vertrage er ja die Frauen, meint er. Aber wie das Amen im Gebet fange dann die Umklammerung an. „Ohne mich“, bekräftigt Hans-Dieter. „Wollt i h r das – euch vereinnahmen lassen? Alla is a goidene Sta – ich fühle mich nicht einsam“, sagt Hans-Dieter.
Sein nächstes Ziel: zwei, drei Monate in Vietnam, Laos oder Kambodscha zu verbringen. Die Kunst zu sparen ist vielen nicht gegeben. Hans Dieter schafft es, das Nötige zurückzulegen. Irgendwann wird er auch zur Wüste zurückkehren. Wüste ist der Ort, „wo es so ruhig ist, dass du erschrickst über das Pochen deines Blutes“, erklärt Hans-Dieter. Wichtig: Die Wüste verhält sich antipodisch zum „Affentheater“. Sollte Hans-Dieter sein Vorbild Smoky dereinst wieder treffen, wird das wohl in einer transzendentalen Wüste passieren.