Hinter mir die ZukunftDichter Innenteil

Stellen Sie sich vor, Sie stehen neben einem Container, rauchen endlich Ihre Zigarette, überlegen sich, wie Sie die paar Cent, die Sie mit Schweiß, Schwielen, Muskelkater, Zungenbrechern, und von Schikanen begrüßt erworben haben, für überfällige Miete ausgeben müssen, obwohl ihr Kind verbogene Zehen hat, weil es die Schuhe von letztem Jahr noch trägt und die fast auseinanderfallen.

Illustration: © Silke Müller

Sie beugen sich nicht gerne diesen Gedanken, Sie würden sich viel lieber mit Ihrer Familie in Montenegro am Duft des Meeres und der Pinien erfreuen, doch die Tatsache, dass Sie hier in Wien auf einer Baustelle arbeiten und dass Routine daran schuld war, dass Sie total darauf vergessen haben, dass Sie …

Dass plötzlich in diesen Moment ein fremder, großer Mann, mit Augen wie ein Fisch, einer gefalteten Stirn, einem prüfenden Blick Sie anstarrt und Sie in diesen Moment ein ganz seltsames Bauchgefühl bekommen, als ob ein großes spanisches Pfefferkorn unzerkaut Ihren Magen durchbohrt. Ihre Stirn und Hände werden feucht, Ihre Knie weich und zittrig, die Lippen trocken, um den Hals ein enger Gürtel, der immer kürzer wird, Sie einschnürt.

Und bevor Sie weglaufen könnten, werden Sie erschossen mit einer Sprache, die Sie kaum verstehen. Die Klang-Patrone wölbt sich wie in Zeitlupe in Ihre Richtung, und anstatt dass Sie auf den Boden fallen, bekommen Sie runde kalte Ringe auf Ihre Handgelenke …

Es kommen ein paar andere Seelen mit, die, wie Sie, sich in Schweiß badeten für einen Stundenlohn von 6 schwarzen Euro, die aus der legalen Kasse Ihrer Landsleute kam, die Ihnen großzügige Arbeitsplätze verschafften.

Und bevor Sie noch ein letztes Mal dieses Geschehen in sich einatmen, befinden Sie sich in einem engen Raum, der dunkel ist und wo dicke, dichte Gitter Ihnen das wenige Licht versperren … Sie fahren schnell und lang, es ist eine erstarrende Stille, Sie und die anderen Gefangenen sprechen alle eine Sprache, doch keiner schafft es, den engen Gürtel um den Hals zu lockern, um einen Ton raus zu bringen. Ihre Hände sind hinten mit Handschellen gebunden.

Nur ihre Gedanken kreisen immer den gleichen Weg.

«Gde naš vode?» – «Wo gehen wir hin?»

«Šta će biti sada sa nama?» – «Was passiert jetzt mit uns?»

Wieder diese Stille, dann kommen Sie endlich raus, die Blicke der Passanten sind alle auf Sie gerichtet. Wie dem letzten Verbrecher schreien Ihnen stumme Gedanken entgegen.

Alltag der Beamten


Endlose matte Gänge. Sie kommen in einen Raum, der groß ist, aber für sie alle viel zu eng, dunkel und modrig, obwohl die Tische glänzen und der neue Computer den Alltag der Beamten begrüßt. Du dagegen bist neu hier und die paar dunklen Figuren beachten dich nicht, dir wird Platz auf einem grauen, kalten Stuhl geboten, doch du rastest nicht. Die Angst wird größer und unbarmherzig, sie klettert vom Rücken bis tief in den Bauch, dann über die Knie und das Karussell wiederholt sich. Es ist eine erstickende Stille, während der Beamte wie gewohnt auf der Tastatur klimpert.

Man bringt Ihnen Übersetzer. Die vielen Augen blicken fremd und beängstigend. Man stellt Ihnen viele Fragen, Sie in Ihrer Angst sagen nur JA JA JA, unterschreiben und der die gleiche Sprache Sprechende scheint Ihnen nicht verständlich zu sein.

Dann unterschreiben Sie. Mit einer Unterschrift sagen Sie JA zu Ihrer armseligen Situation und lassen die anderen als Sieger Ihnen entgegenwinken.

Sie werden in eine Zelle gebracht, wo viele andere auch vom gleichen Schicksal geformt sind.

Sie hoffen dort jemand zu finden, den Sie kennen, Sie erträumen, Sie könnten jetzt endlich die Angst aus dem Gürtel schnüren, Sie suchen ein dunkles, südliches Gesicht, das Ihnen ein wenig den warmen Wind ins Hemd hinein lässt, doch es ist niemand da.

Dann erinnern Sie sich an Ihr böses Schicksal …

Sie werden von der Person geschlagen und das wenige Haar, das Sie noch besitzen – denn das meiste ist ausgefallen, kurz davor – reißt man Ihnen aus.

Nach vielen Stunden der Qualen dürfen Sie telefonieren, Sie wissen zuerst nicht, was Sie sagen sollten zu Ihren Geliebten. Sie fangen an zu weinen, immer lauter, immer tiefer bis die Beamten kommen und ihnen den Telefonhörer wegreißen.

Sie stehen noch immer dort und flüstern, was Sie noch sagen wollten.

Doch sie weinen leise


Die Sonne geht unter, es wird dunkel, Sie liegen auf einem Bett, starren auf die Decke oder Sie haben sich zusammengerollt, im Bauch Ihrer Heimat Mutter, Sie möchten laut schreien, doch Sie weinen leise, Ihr Polster wird nass. Sie denken an die Schuhe Ihres Kindes, an das Abendessen, das Sie heute für es gerne gekocht hätten, Sie denken an den Morgen, Sie riechen den Kaffee und Sie vermissen den Gutenachtkuss Ihres Liebsten. Aus Ihren Augen fließen große, schwarze Tränen, der Staub von Wien auf Ihrem Hemd verschwindet. Was bleibt, ist der Geruch des fremden Schweißes. Sie probieren einen telepathischen Kontakt mit dem Schöpfer, Sie bitten ihn um Trost, um Hilfe, Sie bitten ihn, Ihre Allerliebsten zu trösten und die armen Kreaturen, die mit Ihnen gefangen sind, Sie beten sogar für diese Beamten, denn so hat Sie Ihr Meister gelehrt.

Sie warten, bis es grau wird in Ihren Augen, die Glieder werden schwerer, Sie schlafen ein und träumen vom Meer, von neuen Schuhen, schönen großen Wohnungen mit Balkon, vom Lachen Ihres Liebsten …

Sie träumen von einem schwarzen Loch, das alles hineinsaugt.

Es ist Morgen, der Halbtraum ist wach, Sie warten auf Besuch, dann endlich kommt jemand, jemand, den Sie kennen, eine bekannte Stimme, eine sehnsüchtige Stimme, jemand der Sie aus dieser Enge herausholt, jemand, dem Sie Ihr Herz öffnen. Sie sind da, die Familie. Sie weinen hilflos, gefangen vor der Glasscheibe, die Tränen rinnen ins Telefon, Sie möchten wieder zurück zu den alten Schuhen, Sie möchten mit ihnen zurück nach Hause, die Glasscheibe blinkt protzig.

Sie gehen ohne Sie …

Sie bleiben, doch Ihr Geist geht mit ihnen.

Sie weinen, das braune Hemd ist nass bis zum Nabel, Schweiß und Tränen treffen sich, um den Nabel zu küssen, leise und still, um Sie zu trösten.

Wohlgeruch des versprochenen Westens


Am 2. Tag bekommen Sie wieder die silbernen Ringe. Gleich in der Früh kommen sie, fahren in dem gleichen Auto, sie fahren lang. Sie sitzen hinten in der kleinen Kammer mit Gittern, Sie hören Autos …

Dann schreiten Sie in Ihren staubigen, schwarzen Schuhen in wunderschönen Gängen, von eilenden Menschen umgeben, die Koffer klingen ein wenig wie das Umrühren in der Kaffeetasse am Morgen mit dem Löffel, es steigt Wohlgeruch des versprochenen Westens auf, Versace und Égoïste treffen Sie noch ein letztes Mal in Schwechat. Ihr braunes Hemd ist zerknittert, die Jeans staubig, Danclor, Flecken und Schmutz vereinen sich im Morgenlicht, Ihr Geruch ist Scham, Verzweiflung, Einsamkeit, Armut und Fremde.

Sie werden von zwei Polizisten begleitet, am Schalter schaut man Sie an, die Handschellen glitzern in Touristen-Sonnengläsern. Sie gehen alleine, jetzt auf der anderen Seite, ohne Ihr Kind, ohne Ihren Mann, niemand ist da, Ihnen zu winken, Sie gehen mit einem neuen Zettel, Ihre Hände sind jetzt frei, Sie zittern, sie winken den 4 verlorenen Jahren, in denen Sie Wien nicht mehr besuchen dürfen. Die 4 ist schwarz gedruckt …

Sie gehen durch den langen, weißen Korridor und das «Dobro došli» klingt Ihnen fremd und weit entfernt …

Hinter Ihnen die Zukunft und vor Ihnen die Vergangenheit …

Jeder von uns kann in einem Land geboren sein, aus dem er dann abreist, um schwarz zu arbeiten.

Die Not hat keine Namen, sie ist transparent und sucht ihren Weg.

Diese Geschichte passierte einer lieben Freundin von mir, ich schrieb es bewusst so, damit jeder sich in diese Position hineinfühlen kann. Vielleicht werden eines Tages diese alten Paragraphen in einer staubigen Schublade bleiben und neue Gesetze entstehen, wo das Freundschaftsband unserer Nachbarländer geknüpft wird.

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