Augustiner Robert Sommer
Fünf Jahre, nachdem die Zeitung, bei der ich gearbeitet hatte, die Volksstimme, eingestellt worden war, ging es mir ziemlich schlecht. Ich hatte einige Bücher gemacht, aber im Grunde genommen lebte ich sehr prekär. Zu dieser Zeit erfuhren wir, dass es in einer ganzen Reihe von Städten Straßenzeitungen gab.
Foto: Mehmet Emir
Ich und mein Freund Max Wachter, der den Uhudla damals noch als burgenländisches Alternativmedium herausgegeben hatte, dachten uns: Wenn das in München geht, dann müsste das eigentlich auch in Wien funktionieren. So ist die Idee zum AUGUSTIN entstanden. Wir wollten von Anfang an ohne jede Subvention auskommen und waren dafür bereit, auch eine Phase der Selbstausbeutung in Kauf zu nehmen.
Unsere Haltung der Nicht-Korrumpierbarkeit haben wir in der Folge gepflegt. 2003 wurde uns und vielen anderen Straßenzeitungen vom Carlsen-Verlag der kostenfreie Vorabdruck des ersten Kapitels der Harry-Potter-Reihe angeboten. Wir haben abgelehnt. Unser Grafiker und Cartoonist Karl Berger begründete damals, dass der Abdruck einer «einmaligen Gratis-Burenwurstaktion in einem vegetarischen Restaurant» gleichkäme. Geschadet hat es uns nicht, im Gegenteil.
Warum gerade ich den Preis der Stadt Wien in der Kategorie Volksbildung erhalte, weiß ich nicht. Es dürfte schon mit dem AUGUSTIN zu tun haben. Wobei: Ein Volk bilden, im Sinne von «erschaffen», wollte ich eigentlich nie. Näher fühle ich mich da dem Vorläufer der Volksbildung, der sozialdemokratischen Arbeiterbildung. Oder dem marxistischen Volksbildungsbegriff, der nicht unbedingt das Volk als Ganzes, sondern in erster Linie die unterdrückten Teile davon meint.
Ich war Hippie, dann Kommunist, heute fühle ich mich am ehesten als Anarchist. Im Jahr 1968 war ich 16 Jahre alt. Wenn eine Demo in Wien war, habe ich in St. Pölten die Schule g’stangelt und bin hin. Dort haben wir dann so merkwürdige Dinge wie «Enver Hoxha nach Kambodscha» gerufen. Wir haben uns als Antiautoritäre empfunden. Ich habe lange Haare gehabt und bin bloßfüßig und Flöte spielend durch die Stadt spaziert. 1973 habe ich ein Ferialpraktikum bei der Volksstimme gemacht und bin dort picken geblieben. Die Volksstimme war eine gute Schule – eine gute journalistische Schule und eine gute politische Schule. Später bin ich auch der KPÖ beigetreten. Der wirkliche Grund dafür war, dass ich in der Partei meine Wunscheltern getroffen habe, Menschen, die im Widerstand gewesen sind.
Die Reaktion von Teilen der Partei auf die Besetzung des Ernst-Kirchweger-Hauses war dann ausschlaggebend dafür, dass ich die Partei verlassen habe. Am meisten hat mich erschüttert, welches Juwel die Partei mit dem Haus eigentlich besessen hat. Meine Wahrnehmung war, es braucht eine Gruppe von Autonomen, um überhaupt zu erfahren, welche Möglichkeiten in diesem Haus stecken. Da habe ich mich richtig hintergangen gefühlt von der Partei.
Ich schreibe nach wie vor und bin an allem interessiert, was es gibt, außer an den allerwichtigsten Dingen: Die Auswirkungen von Digitalisierung und Roboterisierung interessieren mich nicht. Null. Im Moment schreibe ich an meinen sämtlichen Erinnerungen. An manchen Stellen erzähle ich darin ganze Geschichten, das meiste ist aber vollkommen unchronologisch, teilweise nur stichwortartig. Alles, was mich je im Leben interessiert hat, schreibe ich auf. Jeden Tag ein Kapitel.
Protokoll: Samuel Stuhlpfarrer
Am 21. November empfängt der AUGUSTIN-Mitbegründer und langjährige Redakteur Robert Sommer den Preis der Stadt Wien (Volksbildung). Wir gratulieren! Robert Sommers jüngsten politischen Essay lesen Sie auf den Seiten 6 und 7 in dieser Ausgabe.