Musikarbeiter unterwegs … Klagenfurt, Wien, Texte, Theater und Noise
Vulgo heißt das neue Album von Nikolaj Efendi. Neun Songs, die sich um das Partisan_innenleben von Kärntner Slowen_innen drehen.
Text: Rainer Krispel, Foto: Mario Lang
Garantiert, das ist heavy shit. Eine/r Frage wie «Leave the wounded behind?» möchte mensch sich nicht und niemals stellen müssen. Menschen mussten. Menschen müssen. «The young and the frightened have abandoned their post» heißt es im zweiten Lied Look Out For Them, dem dritten Stück des Albums mit Opener Intrude. Es hat etwas von Eindringen, oder präziser dem Gefühl, dass etwas in einen eindringt, stellt mensch sich den Fragen und «Möglichkeiten», die die Realität unumstößlich notwendigen, ausweglosen bewaffneten Widerstands gegen Mörder_innen-Regime aufwirft, andererseits eine verblüffende Abwechslung im oft – auch! – selbstgenügsam gesellschaftlich/politisch entkontextualisierten und ignorant kleinkünstlerischen hiesigen musikalischen Treiben (ich ich ich, wir wir wir) dieser Tage. Nikolaj Efendi: «Was machst du mit den Verletztesten einer Gesellschaft, den Ärmsten? Wie schafft man es, dass die Hoffnung am Leben bleibt?» Dabei sind dem 1986 geborenen Kärntner Slowenen, vor zwölf Jahren unter anderem des Studiums (Internationale Entwicklung und Slawistik – «was Lustiges studieren, wo man gescheite Bücher liest») wegen nach Wien gekommen, als Künstler wie einnehmendem Gesprächspartner jegliches Pathos oder Alarmismus fremd. Dennoch gehört es zu den ausgeprägten Qualitäten des auf eigenem Label verlegten Vulgo, dass es nicht notwendigerweise aus einer historischen Perspektive seine (Hör-)Bilder und Emotionen mit den Zuhörer_innen teilt.
Will That Be Enough?
Noch in Klagenfurt war Punkrock, und erste entsprechende eigene Bands, die Musik of choice. Nikolaj nennt die sich gerade reformierenden Rage Against The Machine als eine für ihn wichtige Band. Die Stimme – «an der Gitarre halt ich mich fest und ich brauche ein Instrument zum Komponieren» – sein erstes Instrument, um Wut und Alienation zu artikulieren. In einer Umwelt, in der die deutschsprachige Mehrheit Kärntens Slowenisch als «Bedrohung, nicht Bereicherung» auffasst, und mit Gewalt («Gehirnerschütterung, Glasl am Kopf») darauf reagiert, wenn Menschen ihre Muttersprache sprechen. «Wir waren definitiv nicht willkommen.» In Wien fällt das weg. Erlebte und gefühlte Freiheit, nach einigen Semestern wird der Wunsch, «richtig» Musik zu machen, stark. Roy De Roy entstehen, Eigendefinition: «world punk band». Ihr erstes Album Bohemian Bolsheviks (2011) nimmt noch den Balkan-Hype mit. Den eben Nicht-Widerspruch, mit politischem Background glänzend zu unterhalten, löst die Band auch mit späteren Arbeiten (Civil Riots, 2013 und Akterji, 2016) glänzend auf. Daneben fallen ruhigere Songs für Soloalben – «mit der selben Besetzung» – an, dabei schreibt Efendi, der zwei Bücher veröffentlicht hat, bis heute Texte zuerst in Slowenisch, um auf seinen emotionalen Wortschatz zugreifen zu können, und übersetzt sie dann – meistens – ins Englische (auf Vulgo blieben zwei unübersetzt, hier war die Sprache Trost/Stütze). «Es ging darum, meine Stimme zu finden.» The Red Wine Conspiracy (2015) kommt für ihn selbst «jazzy, folky» daher, mit Temper (2017) wurde es rockiger.
I’ll be waiting.
Bei Vulgo spielt Nikolaj Efendis Arbeit als Theatermusiker – existenzsichernd und kreativ belohnend, «ich mag das Suhlen im Noisigen, oder mit schlecht klingenden Instrumenten zu komponieren» – herein (er arbeitet aktuell fürs Burgtheater, 2020 im Vestibül), das Album des Konzeptalbumfans entfaltet sich wie eine durchgehende Geschichte, mit vielen Facetten. Dabei gelingt es dem Musiker mit Band (Thomas Liesinger, Trompete, Lärm; Marjan Metschina, Bass, mehr Lärm; Bernhard Scheiblauer, Tasten; Patrick Huter, Drums; Wendi Gessner singt auf dem Album Backing-Vocals) «dem Material zu vertrauen», was vor allem live eine Herausforderung sein kann, wenn ein 10-Minuten-Stück auf der Setlist steht und der Entertainer-Instinkt einen prägnanteren «Hit» fordert. Dabei gelingt dem «treuen» Nick-Cave-Fan (im Sinne der Auseinandersetzung mit neuen Werken) mit dieser Musik etwas wie Transzendenz. Vulgo ist kein Jammertal, und das obwohl Kurator Zebo Adam konsequent die sperrigeren der viel mehr aufgenommenen Lieder auswählte (der meisterliche Mix von Alex «Feia» Tomann will ebenso erwähnt sein!). «We’ll rebuild our homes! / We will reteach our tongues! / They will see us rise / But now: Leave it all to me», Leave It All To Me.
Das Touren mit Vulgo liegt vor Nikolaj Efendi und Band, neben dem aktuellen Album wird es ausgewählte ältere Stücke zu hören geben, in der aktuellen Klangästhetik, noisy, «dunkler». Schon denkt der arbeitsfreudige Künstler über das nächste Album nach, sieht, womöglich, eines, das ein 40-minütiger Film wird, womöglich.
«History does teach but the students are sleeping.» Oder doch nicht?
Nikolaj Efendi: Vulgo (dramatic pause)
nikolajefendi.com